Kein Lennhoff-Stadion, aber sechs Stolpersteine

Das Hindenburg-Stadion in Soltau soll umbenannt werden: Der Sportverein MTV hatte bereits für den Namen Böhmewaldstadion plädiert. Nun hat sich auch mehrheitlich die Politik darauf verständigt. Die endgültige Entscheidung liegt beim Stadtrat. Foto: at

Das Hindenburg-Stadion in Soltau wird nach der Sanierung und Neueinweihung nicht den Namen der jüdischen Familie Lennhoff tragen. Nach intensiven Gesprächen und Beratungen wird nun Böhmewaldstadion als Bezeichnung für die Sportstätte vorgeschlagen.

Die Namenswahl wird von fast allen Fraktionen unterstützt, ist aber noch nicht endgültig festgelegt. Der Schulausschuss und letztlich der Rat müssen sich dazu positionieren.

Ein gemeinsamer Antrag der Stadtratsfraktionen CDU, SPD, FDP/Bürgerunion und Bündnis 90/Die Grünen geht allerdings weiter und befasst sich detailliert mit der Erinnerungskultur in Soltau, insbesondere mit dem ehrenvollen Gedenken an die jüdische Familie Lennhoff, deren Leidensweg schon vor der Reichspogromnacht in Soltau begann. Das Wohn- und Geschäftshaus in der Marktstraße 8 wurde schließlich demoliert und geplündert, 1938 wurde der Vater, Sally Lennhoff, im KZ Theresienstadt ermordet, der Familie gelang die Flucht.

Nun soll ein Erinnerungsort vor dem Haus Marktstraße 8 geschaffen werden. Eine Arbeitsgruppe ist für die Konzeption und Errichtung in Gründung, die finanziellen Mittel soll die Stadt Soltau bereitstellen. Zudem sollen in Soltau insgesamt sechs Stolpersteine vor dem ehemaligen Wohn- und Geschäftshaus verlegt werden.

Allen Familienmitgliedern gedenken

Diese sollen an die Familienmitglieder Sally (Simon) Lennhoff, Henny (Ida) Lennhoff, die Töchter Selma Lennhoff sowie Paula Feilmann und deren Mann Harry Feilmann sowie die Tochter Ursula Feilmann erinnern. Die Umsetzung der Vorhaben könnte bereits 2025 erfolgen.

Darüber hinaus regen die Fraktionen an, künftig einen Sally-Lennhoff-Ehrenamtspreis einzuführen, um verdiente Bürgerinnen und Bürger zu ehren. Zudem soll die in unterschiedlichen Publikationen veröffentlichte Geschichte der Familie in einem Sammelband neu herausgegeben werden.

In der Stadtratssitzung in der kommenden Woche am Dienstag, 18. Juni, wollen die Fraktionen den gemeinsamen Antrag stellen. Darüber beraten sollen der Schul- und der Kulturausschuss, um bei der nächsten Stadtratssitzung Ende August abschließend darüber zu entscheiden und die Vorhaben auf den Weg zu bringen.

Bei der Vorstellung des Antrags hob Bürgermeister Olaf Klang die sachliche Atmosphäre der Beratung mit der Fraktionsspitze zu dem Thema hervor. Seit den 1980er-Jahren werde über eine ehrenvolle Erinnerung diskutiert, nun werde sie abschließend betrachtet, betonte Ratsvorsitzender Volker Wrigge (CDU).

Auch wenn er sich persönlich für ein Lennhoff-Stadion ausgesprochen habe, sei es wichtig, dass nun ein Kompromiss gefunden worden sei, den viele mittrügen. „Erinnerungsarbeit gelingt nicht mit einer Kampfabstimmung.“

Vor dem ehemaligen Wohn- und Geschäftshaus in der Marktstraße 8 soll nun ein Erinnerungsort an die jüdische Familie Lennhoff geschaffen werden. Dort sollen zudem sechs Stolpersteine für die Familienmitglieder verlegt werden.

Ein Erinnerungsort in der Marktstraße

Seit den 1980er-Jahren wird in Soltau darüber diskutiert, der jüdischen Familie Lennhoff ansprechend zu gedenken. Damals wurde ein schmaler Gang, der von der Marktstraße abzweigt, nach Sally Lennhoff benannt. Längst nicht genug, finden seitdem Jahr für Jahr engagierte Bürgerinnen und Bürger, wenn sie am 9. November anlässlich der Reichspogromnacht dem Schicksal der Familie vor dem ehemaligen Wohn- und Geschäftshaus in der Marktstraße gedenken.

Doch nichts passierte. Bis zum vergangenen Jahr. Anlässlich einer Gedenkfeier zum 85. Jahrestag der Reichspogromnacht, als Ratsvorsitzender Volker Wrigge im Soltauer Ratssaal überraschend den Vorschlag unterbreitete, das Leichtathletikstadion, das ohnehin endlich den Namen Hindenburg loswerden sollte, nach der Familie Lennhoff zu benennen. „Der Abend war ein Impulsgeber dafür“, erinnert sich Wrigge.

Er bekam an dem Abend im Ratssaal viel Unterstützung. Später differenzierte sich das Bild. Der Sportverein MTV war gegen die Benennung des Stadions nach einer Person, auch viele Kommunalpolitiker fanden, dass das Stadion nicht der richtige Ort zum Gedenken an die Familie Lennhoff sei. Man warb eher für Wald- oder Böhmewaldstadion. Waldstadion wurde inzwischen fallen gelassen, das gibt es deutschlandweit zu häufig.

Nichts übers Knie gebrochen

„Bei mir hat es eine Weile gedauert“, räumt Wrigge in dieser Woche ein, dass er relativ lange an seiner Idee festgehalten habe. Letztlich sei es aber wichtig gewesen, sich Zeit zu lassen, nichts übers Knie zu brechen, und nun einen Vorschlag auf den Weg zu bringen, der der Erinnerungskultur tatsächlich gerecht werde. Und der von einer breiten politischen Basis in Zusammenarbeit mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern getragen wird, wie die CDU-Fraktionsvorsitzende Heidi Schörken bei einem gemeinsamen Termin im Alten Rathaus betont: „Ich bin froh, dass wir das zusammen hingekriegt haben.“

Ein Antrag von CDU, SPD, BU/FDP und Bündnis 90/Die Grünen wird nun in der nächsten Ratssitzung eingebracht. Schwerpunkte darin sind die Schaffung eines Erinnerungsorts vor dem ehemaligen Wohn- und Geschäftshaus der Familie Lennhoff an der Marktstraße 8 und die Verlegung von sechs Stolpersteinen für alle Familienmitglieder.

Einen gemeinsamen Antrag haben die Fraktionen von CDU, SPD, BU/FDP und Bündnis 90/Die Grünen für ein ehrenvolles Gedenken an Familie Lennhoff erarbeitet. In mehreren Sitzungen legten dafür Bürgermeister Olaf Klang (von links), Dr. Hans Willenbockel, Heidi Schörken, Volker Wrigge und Birhat Kaçar die Grundlage. Foto: at

Alle einen Schritt aufeinander zugegangen

„Hier sind alle einen Schritt aufeinander zugegangen“, erklärt Wrigge auch dazu, dass nicht jeder von der Stolpersteinidee überzeugt sei. Kritiker, darunter auch jüdische Verbände, weisen darauf hin, dass die eingelassenen Steine mit den jeweiligen Namen der jüdischen Verfolgten im Gehwegpflaster mit den Füßen getreten werden. Dennoch sei nun ein Kompromiss für ein würdiges Gedenken gefunden worden.

Von einem guten Streit mit positiver Zäsur spricht Birhat Kaçar, Fraktionsvorsitzender der SPD. Im gemeinsamen Gespräch der Fraktionsvorsitzenden der demokratischen Parteien und dem Bürgermeister sei es gelungen, die Erinnerungsarbeit positiv aufzuarbeiten.

Dr. Hans Willenbockel als Gruppensprecher BU/FDP gibt zu, aus den oben genannten Gründen kein Freund der Stolperstein-Idee zu sein, aber zu dem Kompromiss zu stehen. Und wenn, dann müsse der gesamten Familie gedacht werden. Vom Tisch seien die Bedenken, dass ein Stolperstein nur dort verlegt werden dürfe, wo der- oder diejenige vor der Deportation zuletzt gelebt habe. Für Sally Lennhoff gibt es bereits einen in Bremen. „Inzwischen dürfen auch mehrere gelegt werden“, so Schörken.

Das unterstreicht auch eine Initiative der Historikerin Barbara Meier, die seit Jahren für die Stolpersteine kämpft und vor gut zwei Monaten einen entsprechenden Antrag bei der Stadt eingereicht hat. Vieles hat sie dazu schon in Erfahrung gebracht, die Texte für die Steine liegen vor. Auch Meier erklärt, dass mittlerweile an unterschiedlichen Stationen der jüdischen Verfolgten Stolpersteine gelegt werden dürfen.

Initiator Gunter Demnig ist schon im Bilde

Das sei mit dem Initiator der Stolperstein-Aktion, dem Künstler Gunter Demnig, geklärt. Zudem sei der letzte freigewählte Lebensmittelpunkt der Familie Lennhoff die Marktstraße 8 in Soltau gewesen. Die Initiative steht zudem in Kontakt mit den Urenkeln von Sally Lennhoff in den USA. Auch von dort gebe es ein großes Interesse an der Erinnerung, so Meier.

Wenn der Stadtrat den Antrag zur Erinnerungskultur in Soltau zur weiteren Beratung in die Ausschüsse verweist, wird bereits eine Arbeitsgruppe die Arbeit aufnehmen, um insbesondere ein Konzept für die Marktstraße 8 zu entwickeln. Fest steht, dass ein Mahnmal oder ähnliches eher schlicht gehalten werden soll. Nähere und ausführliche Informationen könnten über einen sogenannten QR-Code individuell abgerufen werden. „Und es gebe zur Erinnerungskultur noch weitere Ideen. Was noch kommen kann, das werden wir sehen“, erklärt Kaçar.

Für ihn persönlich sei es keinesfalls ein Gesichtsverlust, dass das Stadion nun nicht seinem Vorschlag entsprechend nach der Familie Lennhoff benannt wird, so Wrigge. „Hier gehen nach 40 Jahren Diskussion alle aufeinander zu, der Kompromiss kann sich sehen lassen.“

Seit den 1980er-Jahren gibt es in Soltau den Sally-Lennhoff-Gang. Foto: at