Ein „Kletterer“ sorgt für Verunsicherung
„Die Vermutung ist zur Gewissheit geworden“, schrieb der Spiegel 2012: „In der Lüneburger Heide gibt es Wolfswelpen“. Die Kleinen waren auf dem Truppenübungsplatz in Munster in eine Fotofalle getappt. Rund 100 Jahre nach ihrer Ausrottung durch den Menschen zogen wieder freilebende Wölfe mit ihrem Nachwuchs durch die Natur.
Zwölf Jahre später hat der Wolf sich im Land etabliert und wird mit größerer Skepsis betrachtet. Auch in Munster, dem Ursprungsort der Niedersächsischen Population, wo sich die Raubtiere längst nicht mehr nur auf Flächen der Bundeswehr aufhalten. Besonders angezogen werden sie vom Muffel- und Dammwildgehege im einzigen Naherholungsgebiet der von militärischen Sperrgebieten umgebenen Garnisonsstadt. Das Gatterwild verspricht leichte Beute, mehrfach fielen Tiere Rissen zum Opfer. Sie waren unzureichend gesichert für die neuen Zeiten – bis 2021.
In dem Jahr rüstete Munster auf. Nach Vor-Ort-Beratung durch Frank Faß, Wolfsexperte des Wolfcenters Dörverden und Autor eines Fachbuchs über wolfssichere Tierhaltung, schritt man zur Tat (BZ vom 22. Oktober 2021). Bei der Absicherung der Gatter ging man noch über die Richtlinie des Landes hinaus, deren Einhaltung Bedingung für Entschädigungszahlungen bei Wolfsrissen ist. Der Weidezaun wurde auf eine Höhe von 2,20 Meter gebracht und im oberen Bereich mit Stacheldraht und zwei Stromlitzen versehen. Zudem wurden Gitter zum Untergrabeschutz in den Erdboden versenkt.
Der Zaun könne weder mit einem einzelnen Sprung überwunden, noch untergraben werden, hieß es 2021. Allenfalls „Kletterer“ könnten zum Problem werden – Wölfe, die es schaffen, sich am Zaun hochzuziehen und auf diese Art auf die andere Seite zu gelangen. Nur wenige Exemplare seien dazu in der Lage. Sollte ein Wolf diese Technik erlernen, könne es aber zum ernsten Problem werden.
Jetzt ist es in Munster offenbar soweit. In der offiziellen Übersicht des Niedersächsischen Umweltministeriums wurde in dieser Woche unter der laufenden Nummer 2689 ein Wolfsriss im Mufflon-Gehege der Stadt Munster final bestätigt. Der Vorfall selbst ereignete sich demnach am 27. Mai. Dass es jetzt zumindest einen Wolf gibt, der in der Lage ist, die vermeintlich wolfssicheren Zäune um die Gatter zu überwinden, ist alarmierend. „Nur Zäune und Hunde zu haben, reicht nicht mehr aus“, hatte Wolfsexperte Professor Dr. Klaus Hackländer von der Deutschen Wildtierstiftung erst jüngst im Gespräch mit der Böhme-Zeitung erklärt. Angesichts weiter wachsender Wolfspopulationen seien neue, personalaufwendige Konzepte notwendig. Immerhin: Die Weitergabe besonderer „Kletterfähigkeiten“ einzelner Wölfe an Artgenossen ist bislang nicht nachgewiesen.