Wahlplakate werden zerstört, Wahlkämpfer bedroht
Es sind verzweifelte Maßnahmen, mit denen die Parteien noch versuchen, der Zerstörung Herr zu werden. „Wir hängen die Plakate extra hoch, damit man nicht so leicht herankommt“, sagt Birhat Kaçar.
Doch nütze das nur bedingt, so massiv wie jetzt zur Europawahl habe er die Zerstörungswut bei den Wahlen in den Vorjahren nicht erlebt, sagt der Soltauer, der für die Sozialdemokraten im Kreis die Aufgaben der Wahlwerbung an Laternenpfählen und Zäunen übernommen hat.
In neun Tagen, am Sonntag, 9. Juni, findet die Wahl zum 10. Europäischen Parlament statt. Insgesamt 96 Abgeordnete können in Deutschland gewählt werden. Bis dahin aber werden wohl noch weitere Anzeigen bei der Polizei eingehen, wegen zerstörter und beschmierter Wahlplakate, wie eine Anfrage bei SPD, CDU, Grünen und der AfD im Heidekreis ergab.
Die reinen Anzeigendaten für die Monate April/Mai lassen bislang auf keine Steigerung der Vorfälle schließen. Polizeisprecher Tarek Gibbah hat die Zahlen im Heidekreis mit denen der Landtagswahl 2022 verglichen. Wie damals zählt er aktuell eine niedrige zweistellige Anzahl an Sachbeschädigungen von Wahlplakaten, die zur Anzeige gebracht wurden, überwiegend von AfD, Grünen und SPD.
In einem Fall sind rund 50 Wahlplakate heruntergerissen und zerstört worden, in einem weiteren waren es zehn. In den übrigen Fällen sind in der Regel ein bis drei Wahlplakate beschädigt worden, so Gibbah.
Für Kaçar sind die Taten höchst frustrierend. Man opfere Freizeit, um demokratisch tätig zu werden, es sei eine große Herausforderung und viel Arbeit. In dem Zuge hat er auch etwas Mitgefühl für die AfD, deren Ansichten er sonst tief verabscheut. „Auch wenn ich die Partei nicht gut finde, aber egal welche Partei betroffen ist, es ist unfassbar viel Arbeit, die zerstört wird.“
Tatsächlich ist es ein Problem, das für die AfD nicht neu ist, sagt Kreisvorsitzender Carsten Vogel. Seit zehn Jahren kenne man die Zerstörungen. Auch bei der Partei gebe es mittlerweile die Strategie, Plakate möglichst hoch zu hängen. Aber das helfe nur bedingt: In Walsrode habe er mittlerweile zum dritten Mal im Laufe des Europawahlkampfes neu plakatiert.
„Wir haben gar keine Großplakate oder Banner mehr.“ Die Plakate würden beschmiert, abgerissen, zerrissen, in Büsche gedrückt, manche tauchten nach der Wahl wieder auf, müssten mühsam eingesammelt werden, sonst drohe ein Ordnungsgeld. „Da ist jedes Mittel recht.“
Das spüren auch die Grünen im Heidekreis verstärkt. Aber auch die Ehrenamtlichen selbst sind Ziel von Beleidigungen und Bedrohungen, während sie die Plakate aufhängen. Da sei der ausgestreckte Mittelfinger noch harmlos, erklärt Vorstandsmitglied Marvin Kerkhoff aus Soltau.
Wachsender Frust, aber auch Trotz
Der Staatsschutz bei der Polizeiinspektion Heidekreis ist aktuell mit einer niedrigen zweistelligen Anzahl von Anzeigen aufgrund zerstörter Wahlplakate befasst. Dass da weitere Meldungen dazukommen, erklärten nicht nur die Grünen, sondern auch die AfD. Deren Kreisvorsitzender Carsten Vogel war am Donnerstag gerade mit einem ganzen Stapel an Vorfällen beschäftigt.
Noch sind die vorliegenden Strafanzeigen in der polizeilichen Sachbearbeitung, ein Ergebnis der Ermittlungen gebe es nicht. In allen Fällen, so Polizeisprecher Tarek Gibbah, werde gegen Unbekannt ermittelt.
Wobei unter den Anzeigen, die Vogel noch stellen will, eine ist, bei der er einen Täter gesehen und auch fotografiert habe. Zum dritten Mal sei vor seinem Haus ein Plakat von einem Laternenmast geholt worden. Ein Nachbar könne das bezeugen.
„Ich bin es leid“, klingt Vogel bezüglich der Plakatzerstörungen inzwischen eher deprimiert und sieht die AfD von der Zerstörungswut mehr getroffen als andere. Es sei nicht die Demokratie und der Wahlkampf, wie er ihn sich vorstelle. Dann aber kommt bei ihm der Trotz durch: „Ich fahre wieder los und werde niemals aufhören.“
Weitere Strafanträge sind auch bei den Grünen in Arbeit: „Es ist wirklich schade, dass durch solche Prozesse die ehrenamtliche politische Arbeit massiv gestört wird“, sagt Marvin Kerkhoff, Vorstandsmitglied der Heidekreis-Grünen. Zumal man aus Klimaschutzgründen nicht so viele Plakate bestellt habe. Es sei deshalb nicht möglich, dauernd die beschädigten auszutauschen.
"Im Heidekreis ist es noch human."
Bei den Grünen komme es bei diesen Wahlen sehr viel häufiger zu Beschädigungen, Schmierereien oder zum Diebstahl, erklärt Kerkhoff. In Munster beispielsweise seien von vier Plakaten nur Papierschnipsel übrig geblieben. Trotz der Erfahrungen andernorts im Europawahlkampf, wo zahlreiche Politikerinnen und Politiker von AfD, Grünen, aber auch der SPD-Spitzenkandidat in Dresden Opfer von Angriffen wurden, ist er noch häufig allein unterwegs.
Erst kürzlich habe eine „junge Truppe“ ihn aufgefordert: „Häng den Scheiß ab, Du dummer Grüner.“ Das ordnet er als harmlos ein, anders als einen weiteren Ruf aus einem Auto: „Ich bring euch alle um, ihr Grünen.“
Noch habe er zu solchen Vorfällen keine Anzeigen erstattet, „bislang habe ich es wegignoriert“, sagt Kerkhoff. Weitere Anzeigen zu zerstörten Wahlplakaten will er fertigen. Trotz der Erfahrungen weiß er aus dem Austausch mit Grünen anderer Landkreise: „Dort ist es noch viel schlimmer. Im Heidekreis ist es noch human.“
Niemals alleine zum Plakataufhängen
Niemals allein beim Plakateaufhängen ist Soltaus CDU-Stadtverbandsvorsitzende Elke Cordes. „Wir sind inzwischen grundsätzlich zu zweit oder zu dritt und niemals am späten Abend unterwegs“, erklärt sie. Im Stadtgebiet sei die Zerstörungswut, die sich gegen CDU-Plakate richte, überschaubar. Gleich zu Beginn habe es Vorfälle in Drögenheide und Ahlften gegeben.
Stellvertretende Kreisvorsitzende Steffy Bahr hat dennoch drei Anzeigen gestellt. Sie berichtet vom Verlust eines Großplakats in Bad Fallingbostel: Dort wurde ein sogenannter Wesselmann mit dem Konterfei von Kandidatin Lena Düpont gestohlen: „Ob sich das jemand zu Hause hinhängt“, fragt sie sarkastisch. In Munster hätten zwei Plakate an Laternenpfählen gebrannt. Es sei aber vergleichsweise wenig, verweist sie auf Vorfälle bei AfD oder Grünen.
Auf anderer Ebene auseinandersetzen
„Man sollte die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner auf andere Weise suchen“, findet Bahr. Wenn die Plakate hängen, seien die Parteien zur Wahl zugelassen. Insgesamt sieht sie zurzeit in Deutschland keine schöne Entwicklung, die Zündschnur der Menschen sei kurz, die Hemmschwelle sinke. Da helfe es nicht, bei der Schuldfrage mit dem Finger auf andere Leute zu zeigen.
Vielmehr sei es wichtig, vernünftige Politik nah an der Realität der Menschen zu machen, nicht aufzugeben und aktiv zu sein. Ihr persönlich bringe der Wahlkampf Spaß, setzt auch sie auf ein „Trotzdem und jetzt erst recht.“ Sie sei hoch motiviert: Nun müssten die Menschen nur noch zur Europawahl gehen.