„Dem Wohl aller verpflichtet“
27,5 Prozent der Stimmen hat Birhat Kaçar (SPD) am Wahlsonntag, 23. Februar, auf sich vereint. Bei der Auszählung der Stimmen für die sieben Kandidaten in den einzelnen Wahllokalen lag er fast immer vorn. Jetzt gilt es sein letztes Rennen am kommenden Sonntag zu bestreiten. Öffentlich für ihn geworben hat inzwischen sein ehemaliger Konkurrent Olaf Ahrens.
Welche Qualität schätzen Sie an Karsten Brockmann? Trauen Sie ihm das Bürgermeisteramt zu?
Karsten Brockmann und ich wurden 2016 erstmals in den Stadtrat gewählt. Intensive Berührungspunkte hatten wir nie, da er in seiner Fraktion eher im Hintergrund blieb und ich hauptsächlich mit seinem Fraktionsvorsitzenden zusammenarbeite. Im Wahlkampf hatte ich jedoch die Gelegenheit, ihn besser kennenzulernen, und ich schätze seine sehr freundliche und ruhige Art. Nach dem ersten Wahlgang hat er mich angerufen, und wir haben uns darauf verständigt, den Wahlkampf fair und respektvoll zu führen. Selbstverständlich traue ich ihm auch das Amt des Bürgermeisters zu. Dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass wir einen Bürgermeister brauchen, der die politischen Prozesse versteht und langfristig die offenen Baustellen in Soltau angehen möchte.
Sie betonen, dass Ihr junges Alter kein Nachteil ist. Aber welche konkreten Führungs- und Verwaltungserfahrungen bringen Sie mit, um eine Stadt mit 22000 Einwohnern und einem Millionenhaushalt zu leiten?
Es ist klar, dass ich keine 40-jährige Laufbahn als Hauptverwaltungsbeamter vorweisen kann. Blickt man jedoch auf die Aufgaben eines Bürgermeisters und vergleicht sie mit meiner bisherigen Arbeit, wird schnell ein Vorteil sichtbar. Neben meiner achtjährigen Tätigkeit im Stadtrat, darunter drei Jahre als Fraktionsvorsitzender, arbeite ich seit drei Jahren im Kreistag, habe also eine fundierte Perspektive auf kommunale und regionale Herausforderungen. Besonders prägend war meine Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Landtag, wo ich tiefe Einblicke in die parlamentarischen Abläufe und Gesetzgebungsprozesse gewinnen konnte. Diese Erfahrungen haben nicht nur mein Verständnis für Entscheidungsprozesse geschärft, sondern auch meine Fähigkeit, komplexe politische Themen zu analysieren. Zusätzlich habe ich als Sozialarbeiter Erfahrungen in der Arbeit mit Menschen in verschiedenen Lebenssituationen gesammelt. Diese Kenntnisse sind besonders wertvoll, wenn es darum geht, bürgernah zu arbeiten und Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen zu finden. Diese Erfahrung – kombiniert mit meiner Führungskompetenz aus der Fraktionsarbeit und meiner fachlichen Expertise – macht mich zu einem gut vorbereiteten Kandidaten.
Zu Beginn Ihrer Kampagne haben Sie gesagt, Sie wollen realistisch bleiben. Gleichzeitig nennen Sie Projekte wie einen Badesee, einen Hochschulstandort und eine lebendige Innenstadt. Sind das keine Luftschlösser?
Meine Wahlkampagne trägt den Slogan „Zukunftsbürgermeister“, weil ich zeigen möchte, dass die Projekte, die ich anstoße, langfristig ausgerichtet sind. Politik erfordert Beharrlichkeit. Ein Bürgermeister muss langfristige Ziele entwickeln und verfolgen. Mein Plan ist keineswegs unrealistisch, sondern ergebnisorientiert. Ein Badesee lässt sich mit touristischen Partnern und Investoren realisieren. Auch die Idee eines Hochschulstandorts ist ambitioniert, aber notwendig, um junge Menschen zu halten. Das ist eine Einladung, neue Wege zu gehen. Und wenn es nicht funktioniert, ist das in Ordnung – wir dürfen scheitern, sollten es aber wenigstens versucht haben. Die Belebung der Innenstadt ist bereits auf einem guten Weg. Jetzt geht es darum, diese Mittel sinnvoll zu nutzen.
Ist der Tunnel unter der Walsroder Straße auch nur annähernd realistisch?
Der Tunnel ist nicht das Allheilmittel, um den Stau zu verringern. Ziel muss es sein, das Fahrradfahren für die Bürger attraktiver zu machen. Zudem sollten wir dringend ein Parkleitsystem einführen und prüfen, inwieweit wir Ampeln durch Kreisverkehre ersetzen können. Ein Verkehrsentwicklungsplan wird Antworten liefern. Auch den Antrag der CDU-Fraktion zur Umgehungsstraße sollten wir sorgfältig prüfen. Letztlich ist es eine Frage der Beharrlichkeit, ob wir das Projekt an der Walsroder Straße weiterverfolgen. Wie würden wir in zehn Jahren darüber denken, wenn wir heute einfach sagen, dass wir nicht daran glauben und es aufgeben?
Haben Sie die Möglichkeit genutzt, sich mit Olaf Klang über den Tagesablauf und die praktischen Anforderungen des Amts zu sprechen? Falls ja, was hat er Ihnen mitgeben können. Falls nicht, warum nicht?
Olaf und ich haben während seiner Amtszeit viel gesprochen, und ich schätze ihn sehr. Ob er mir einen konkreten Ratschlag mitgegeben hat, kann ich nicht genau sagen, aber eine wichtige Erkenntnis habe ich als Fraktionsvorsitzender gewonnen. Wenn man in die Reihen der Ratsmitglieder blickt, sieht man, dass die großen Fraktionen wie CDU und SPD oft von Anwälten, Landwirten, Lehrkräften, Sozialarbeitern oder Kaufleuten geprägt sind. In der Gruppe der Bürgerunion/FDP hingegen haben wir als Stadtrat immer wieder heftige Konflikte erlebt, da dort häufig wirtschaftliche Interessen – unter anderem aus der Immobilienbranche – eine große Rolle spielen. Nicht ohne Grund kommt genau aus diesen Reihen massive Kritik an der AWS. Für mich ist klar: Ein Bürgermeister muss unabhängig handeln und darf sich nicht von bestimmten Gruppen treiben lassen. Ich stehe für eine Politik, die sich an den Bedürfnissen der gesamten Stadt orientiert.
Sie betonen Ihre Unabhängigkeit von der SPD. Wieso haben Sie dann im Wahlkampf auf die Unterstützung von Lars Klingbeil gesetzt?
Ich bin seit elf Jahren stolzes Mitglied der SPD. Die Vorstellung, dass ein Bürgermeister, der einer Partei angehört, von Parteibeschlüssen abhängig ist, halte ich für an den Haaren herbeigezogen. Als Christa Erden (CDU) und Wilhelm Ruhkopf (SPD) Bürgermeister waren, ging es für Soltau nicht bergab – im Gegenteil. Ich bin überzeugt, dass wir einen Bürgermeister brauchen, der politische Prozesse versteht, die Fraktionen im Stadtrat kennt und Brücken bauen kann. Mein enger Kontakt zu Lars Klingbeil ist dabei eine echte Chance für Soltau. Ein direkter Draht in die Bundesregierung, nach Hannover zur Landesregierung und zu unserem Landrat kann enorme Vorteile für unsere Stadt bringen. Diese Netzwerke unterscheiden mich von meinem Mitbewerber, dem genau diese Verbindungen fehlen.
Als SPD-Fraktionschef haben Sie im Rat Kontroversen geführt, als Bürgermeister bräuchten Sie breite Unterstützung. Wie wollen Sie mit anderen Parteien zusammenarbeiten?
Seit meiner Wahl zum Fraktionsvorsitzenden arbeite ich regelmäßig mit den anderen Parteien zusammen. In der Podiumsdiskussion der BZ habe ich scherzhaft gesagt, dass ich teilweise mehr mit der CDU-Fraktionsvorsitzenden Heidi Schörken zusammenarbeite als mit meiner eigenen Fraktion – weil es in der Kommunalpolitik darauf ankommt, Mehrheiten zu organisieren und gemeinsame Anträge zu erarbeiten. Das gilt auch für die Gruppe BU/FDP und die Fraktion der Grünen. Diese überparteiliche Zusammenarbeit ist für mich selbstverständlich und wird auch als Bürgermeister eine zentrale Rolle spielen.
Sie waren anfangs einer von sieben Männern, die sich für das Amt beworben haben. Welche Veränderungen sind Ihrer Meinung nach in Soltau nötig, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass bei der nächsten Wahl eine Frau sich für das Amt der Bürgermeisterin bewirbt?
Zur Kommunalwahl haben wir als einzige Partei eine paritätische Liste aufgestellt, bei der die Listenplätze abwechselnd zwischen Männern und Frauen vergeben wurden. Dadurch hatten wir zu Beginn der Legislaturperiode den größten Frauenanteil im Rat. Als Bürgermeister werde ich mich dafür einsetzen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Verwaltung zu verbessern und weitere Maßnahmen zu ergreifen, um mehr Frauen zur Kandidatur für den Rat zu ermutigen.
Wie wollen Sie die gut 70 Prozent von sich überzeugen, die Sie am 23. Februar nicht gewählt haben?
Es wird ein spannender Sonntag. Ich bin sehr dankbar für die Unterstützung von Olaf Ahrens und die positive Rückmeldung vieler CDU-Mitglieder, die mir ihre Unterstützung zugesagt haben. Ich mache den Menschen ein klares Angebot: Mit mir wird es einen Bürgermeister geben, der nicht von Eigeninteressen oder Interessengruppen abhängig ist, sondern sich ausschließlich dem Wohle der Bevölkerung verpflichtet – auch denen, die keine laute Lobby haben. Wir brauchen langfristige Ziele wie eine Verkehrswende, eine Bildungsoffensive, eine zukunftsfähige Wirtschaftspolitik und vor allem mehr Stadtleben. Ich weiß, wie diese zähen Prozesse funktionieren und kenne sowohl die Verwaltungsstrukturen als auch die Menschen, die sie gestalten. So werde ich auch als Bürgermeister arbeiten – auf Augenhöhe und für alle Soltauerinnen und Soltauer.