„Wir ersticken im Verkehr“
Nachts eine Transitstrecke – und auch tagsüber sei die Situation auf der Lüneburger Straße in Soltau nicht besser. Anlieger Bernd Guderian schilderte bei der jüngsten Sitzung des Bauausschusses einen drohenden Verkehrskollaps, berichtete über seine persönlichen Erfahrungen und gab an, „stellvertretend für etliche Bürger“ zu sprechen.
Mit Tempo 70, 80 bretterten Autos und Lkw von Harber kommend über die Lüneburger Straße und würden erst durch die Ampel an Krauls Eck gebremst. Aber auch tagsüber raube einem die Situation den Nerv. Jeder überlege, wie er selbst am besten zum nächsten Supermarkt komme, weil sich ständig der Verkehr staue. Da müssten doch Maßnahmen ergriffen werden, forderte der Mann und schlug ein Nachtfahrverbot oder wenigsten Tempo 30 vor. „Aber es tut sich nichts. Die brettern in einem Affentempo die Lüneburger Straße runter. Da stehen Sie nachts senkrecht im Bett.“
Laut des Lärmaktionsplans, dessen Erarbeitung durch die Stadt der Stadtrat im Juni beschlossen hat, sind in Soltau innerhalb von 24 Stunden 3600 Menschen und nachts 2500 den Grenzwerten der Lärmbelastung an den Einfallstraßen ausgesetzt – davon sind statistisch 856 Menschen betroffen, die sehr stark belästigt werden, unter besonderen Schlafstörungen und ischämischen Herzkrankheiten leiden. Hinzu kämen die Anlieger auch kleinerer Straßen. Der Grenzwert liegt im Zeitrahmen von 24 Stunden bei 55 Dezibel, in der Nacht bei 50 Dezibel.
Die vom Verkehrslärm betroffenen Bereiche in Soltau, bei denen die sogenannten Auslösewerte überschritten wurden, liegen größtenteils im Stadtkern. Betroffen ist also, wie Guderian richtig vermutet, vor allem die Lüneburger Straße, aber auch die Wilhelm- und die Bergstraße (B71) sowie die Walsroder Straße. An den Fassaden entlang der Straßen wurden vereinzelt deutlich über den Grenzwerten liegende Schallpegel gemessen. An zweiter Stelle stehen die Harburger-, die Winsener sowie die Celler Straße, auch dort gab es teilweise Ausschläge über die Grenzwerte hinaus. Alle weiteren von Verkehrslärm betroffenen Bereiche liegen nahe der A7.
Verschiedene Tipps für Veränderungen haben die Gutachter herausgearbeitet. Doch schon die im dritten Lärmaktionsplan vorgeschlagenen Maßnahmen wurden nicht umgesetzt. Im Bauausschuss merkte dazu Daniel Gebelein von der Verwaltung an, dass die Stadt wenig Handhabe insbesondere bei Bundes- und Landstraßen habe. Man könne mögliche Maßnahmen in den Plan aufnehmen, sei aber für die Umsetzung nicht zuständig. Man habe etwa Tempo 30 oder ein Lkw-Durchfahrtsverbot angeregt – doch nichts werde umgesetzt.
Im Zuge des Verkehrsentwicklungsplans, den die Stadt Soltau aktuell erarbeite, wolle man schauen, was die Kommune selbst tun könne. Aber auch in diesem Rahmen sei auf überregionalen Straßen nichts zu machen. „Wir sind seit Jahren dran, es ist mühselig“, gab Gebelein zu. Er könne nicht versprechen, dass es in fünf Jahren besser sein wird.
Susann Bäger wohnt mit ihrem Mann in einem niedrigen Haus an der neuralgischen Kreuzung von Celler- und Reinickendorfer Straße und der Böhmheide. „Es ist das erste Mal in 25 Jahren, dass ich das Gefühl habe, ich müsste hier wegziehen“, erzählt sie an ihrem Küchentisch, während der Verkehr am Montagnachmittag ohne Pause rauscht. Dabei, so stellt sie später fest, sei es „heute gar nicht so schlimm – Vorführeffekt“.
So schlimm, dass man nicht vom Hof komme
Sie habe bereits Tage erlebt, da stauten sich die Fahrzeuge aus allen Richtungen, rücksichtslos seien die Autofahrer bis mitten auf die Kreuzung gefahren. Sie selbst sei nicht aus ihrer Hofeinfahrt rausgekommen. „Wenn wir mehr auswärtige Kennzeichen sehen, dann ist klar: Die Autobahn ist wieder dicht.“
Sie erzählt von einem wahnsinnigen Lkw-Verkehr und dem Zustand der Fahrbahn, der schon „sehr darunter gelitten haben“, sodass die Lkw-Auflieger beim Überfahren schepperten, dass man sich jedes Mal erschrecke. Gerade in den vergangenen Nächten sei es schlimm gewesen, weil die A7-Auf- und Abfahrten teilweise gesperrt waren.
„Unser Haus wurde 1898 gebaut, das ist ein alter Fachwerkbau", sagt sie. Einst, so Bäger, als die Celler Straße noch mit Kopfsteinen gepflastert war, hatte man vor dem Haus sogar einen Vorgarten. Jetzt rausche der Verkehr fast am Fenster vorbei. An vieles habe sie sich zwar gewöhnt, aber mittlerweile klappere das Geschirr im Schrank, die Heizungsrohre machten Geräusche. „Wir haben Schäden am Haus, wer bezahlt uns das?“
Sorge hat die Anliegerin, dass ein Ende nicht abzusehen sei. Wenn erst die Erweiterung der Autobahn 7 auf sechs Spuren anstehe, … lässt sie das Ende offen. Aber auch unabhängig davon habe der Verkehr zugenommen. Wenn nachts noch die Ampeln ausgeschaltet würden, werde die Celler Straße zur Rennstrecke. Einen Autofahrer mit getuntem Auspuff höre sie regelmäßig: „Der zieht Kreise.“
Eine Lösung? Sie wünscht sich wenigstens die Aufstellung von Blitzern, um die Autofahrer abends und nachts zu auszubremsen. Eine Tempo-30-Zone wäre sinnvoll, verweist sie auch darauf, dass die Celler Straße eine Gemeindestraße sei. Dort könne die Stadt selbst eingreifen. Die beste Lösung aber wäre eine Umgehungsstraße. „So jedenfalls kann es nicht weitergehen, wir ersticken im Verkehr. Da muss doch etwas passieren.“
Auch für Bürgermeister Olaf Klang ist die Umgehungsstraße notwendig: Dann komme der Verkehr erst gar nicht nach Soltau hinein, erklärte er im Bauausschuss. Doch auch er gab wie Gebelein zu bedenken, dass die meisten Autofahrten Quell- und Zielverkehr seien, das heißt, dass vor allem Einheimische unterwegs seien.
Dennoch: 20 Prozent ist Durchgangsverkehr. Die dafür nötige Ortsumfahrung für die Bundesstraße 71 ist sogar im Bundesverkehrswegeplan aufgeführt. Dort ist das Projekt als wirtschaftlich eingestuft und mit der Dringlichkeitsstufe „Weiterer Bedarf mit Planungsrecht“ versehen, damit mit der Planung unmittelbar begonnen werden kann. Das war 2012. Seit 2013 ist das Projekt nicht weiter bearbeitet worden.
Nördliche Umgehung Soltaus
2012 wurde die Umgehungsstraße für die Bundesstraße 71 in den Bundesverkehrswegeplan 2030 aufgenommen. Die Projektbegründung basiert auf Verkehrszahlen aus dem Jahr 2005 sowie Unfallzahlen von 2005 bis 2007. Festgestellt wurde im Projektbericht dazu, dass die bestehende Ortsdurchfahrt der B 71 erhebliche Mängel aufweist, auch hinsichtlich der Verkehrssicherheit sowie der Auswirkungen auf den Verkehrsablauf. In einigen Abschnitten der Ortsdurchfahrt wurden sowohl auffällig viele Unfälle mit Personenschaden als auch überdurchschnittlich viele Unfälle beim Überschreiten der Fahrbahn festgestellt. Zudem werde auf der Straße mit durchschnittlich 65 deutlich schneller gefahren als erlaubt. Bedingt durch Halte an plangleichen Knotenpunkten liege die mittlere Reisegeschwindigkeit in einigen Abschnitten lediglich bei 15,6 Stundenkilometer. Nennenswerte Mängel im Straßenumfeld ergeben sich durch einen deutlich erhöhten Grad der Lärmimmissionen (71,8 Dezibel am Tag, 64,4 dB in der Nacht) und die durch Fahrzeuge hervorgerufenen Abgasimmissionen (14,2 CO2 mg/m³). Die geplante Maßnahme führe in allen Bereichen zu der angestrebten Entlastung der Ortsdurchfahrt, heißt es in den Unterlagen im Bundesverkehrswegeplan. Eine Südumgehung des Ortes sei wegen intensiver Bebauung ohne Gebäudeabriss nicht möglich, auch dort wäre eine mehrmalige Bahnquerung erforderlich. Die nördliche Umfahrung ist sogar zeitlich eingerahmt: 24 Monate würde der Bau der Straße laut Unterlagen dauern.