Klingbeil trifft Lauterbach zum Bürgerdialog: Sorge um Apotheken ist groß

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (Mitte) stellt sich auf Einladung des Bundestagsabgeordneten Lars Klingbeils (rechts) in der Stadthalle Walsrode am Freitag den Fragen der Bürgerinnen und Bürger. Foto: sus

Gesundheitsminister Lauterbach stellt sich in Walsrode den Fragen der Bürgerinnen und Bürger des Heidekreises und Landkreis Rotenburg

Wie kann das Gesundheitssystem im ländlichen Raum gestärkt und erhalten werden? Zu dieser Frage kamen am vergangenen Freitagabend fast 200 Menschen aus dem Heidekreis und Rotenburg in die Stadthalle in Walsrode. Der heimische Bundestagsabgeordnete Lars Klingbeil (SPD) hatte zu dem Bürgergesprächformat „Klingbeil trifft…“ mit Bundesgesundheitsminster Karl Lauterbach eingeladen. Bei der Antwort auf die Eingangsfrage haben Lauterbach und die Gäste sehr unterschiedliche Perspektiven.

„Wir wollen diesen Dialog“, sagte Klingbeil einleitend, „weil wir glauben, es braucht Orte in der Gesellschaft, wo man miteinander diskutiert, sich austauscht und auch kritisch miteinander redet.“ Der Abend zeigte die Fülle an Baustellen und welche inhaltliche Breite und Tiefe diese Frage mit sich bringt. Obwohl Lauterbach eine halbe Stunde länger blieb, als geplant, blieben Fragen ungestellt.

Im Saal war kaum ein Platz frei. Menschen aus verschiedensten medizinischen Bereichen und viele mehr hatten sich angemeldet, um an dem Bürgergespräch teilzunehmen. Wer nicht dabei sein konnte, wie Wietzendorfs Bürgermeister Jörg Peters, gab Klingbeil vorab sein Anliegen mit. Im Falle Peters: In Wietzendorf gibt es eine Apotheke, die sehr wichtig für die Bevölkerung und die Touristen ist. Es müsse alles dafür getan werden, dass sie erhalten bleibt. Bis Ende Juni hat Deutschland allein in diesem Jahr 283 Apotheken verloren, davon in Niedersachsen 23.

Ein menschliches Miteinander können wir nicht wegdigitalisierten.
— Alexander Zörner, Apotheker aus Munster

Um die Apotheken stehe es derzeit nicht gut, machten auch mehrere Apotheker im Saal deutlich. Die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln besorgt beispielsweise Dr. Alexander Zörner aus Munster, Betreiber der Sonnenapotheke, mit Blick auf die Struktur der Apotheken. Bei der Reform würden Apotheken ohne Apotheker skizziert. Ihm fehle ein Bekenntnis zu den bewährten Strukturen, die eine flächendeckende und niedrigschwellige Versorgung 365 Tage im Jahr möglich mache, wo man ohne Termin hingehen kann und Beratung erfährt. 50 Prozent der Arzneien seien nicht verschreibungspflichtig, gerade dort sei eine Beratung durch Apotheker entscheidend. „Ein menschliches Miteinander können wir nicht wegdigitalisierten“, so Zörner, wie auch der Abend in Walsrode zeige. „Wir müssen die Struktur schützen.” Das Bekenntnis für die Apotheken brauche es auch mit Geld. Was die Reform skizziert, könne in Zukunft vielleicht funktionieren, jetzt tue es das noch nicht. Jetzt schließen Apotheken und um jede sei es schade. Zörner bittet, den Gesetzesentwurf nochmal zu überdenken. Sein Kollege Klaus Reichelt fügt hinzu, dass es eine schnelle Hilfe wäre, Skonti wieder zu erlauben. Für viele seiner Kollegen, die nicht mehr auf die Reform warten könnten, ein Rettungsanker.

Apotheker kämpfen dafür, dass Geld ins System kommt

Das jetzige System der Honorierung sei nicht richtig. Darin werde noch sehr hart budgetiert, so Lauterbach. Ab 2027 sollen Honorare durch Verband direkt verhandelt werden. Telemedizinische Leistungen müssten aber auch in die Apotheke kommen, wenn das dort nicht stattfinde, werde es der Versandhandel sein, der diese Leistung anbiete, betont Lauterbach. Das Vorhaben sei somit auch ein Schutz gegen den Versandhandel.

„Ich finde es sehr gut, dass Sie sich der Bevölkerung stellen“, sagte Berend Groeneveld, Vorsitzender des Landesapothekerverbandes Niedersachsen, an Lauterbach gerichtet. In Ostfriesland, wo seine Apotheke steht, gebe es die gleichen strukturellen Probleme, wie Allgemeinmedizinerin Claudia Hölzenbein sie für Soltau beschreibt. Dass das Apothekengesetz nur als Gesamtpaket zu nehmen ist, kritisieren Groeneveld und seine Kollegen. Wichtige Punkte seien das Skonto-Urteil und eine Dynamisierung, die aber in sehr engen Grenzen erfolgen müsse. Jede Apotheke ist vom Gesetzgeber beauftragt einen Versorgungsauftrag wahrzunehmen, da muss es möglich sein, diesen Auftrag vom Honorar erfüllen zu können. Das sei nicht mehr der Fall. „Deswegen kämpfen wir Apotheker so dafür, dass mehr Geld ins System kommt." Mit 2,8 Milliarden Euro, wie derzeit in die Meyer-Werft gesteckt werde, könnten 17 500 Apotheken gerettet werden“, so sein Plädoyer.

Mehr Allrounder und besseres Internet benötigt

Sie gehöre zu den Babyboomern, die bald in Rente gehen. Dr. Claudia Hölzenbein ist seit 24 Jahren niedergelassene Allgemeinmedizinerin in Soltau. Als sie 2000 nach Soltau kam waren es noch 12 niedergelassene Ärzte, im kommenden Jahr sind für die
20 000 Einwohner in Soltau noch sieben Ärzte da, von denen zwei unter 60 sind, berichtet sie. Ebenso gebe es auch zu wenige Fachärzte. Sie widerspricht, dass mit der Spezialisierung auf alle Fälle die Qualität verbessert werde. Für die Versorgung auf dem flachen und weiten Land brauche es nicht mehr Spezialisten, sondern mehr Allrounder. Für jede einzelne Krankheit müsste sich ein Patient einen anderen Spezialisten suchen, abgesehen davon, dass es sie nicht in Reichweite gäbe.

Um Rotenburg, Lüneburg, Verden oder Celle erreichen zu können, braucht es idealerweise ein Auto. „Es fährt kein Bus und kein Zug ohne große Umwege nach Rotenburg, auch nicht nach Lüneburg. Wir brauchen neben Allroundern auch eine Infrastruktur.“ Auch ein Internet, das schnell und zuverlässig ist, um ab Januar 2025 elektronische Patientenakten anlegen zu können. Die Internetverbindung komme bereits bei elektronischen Krankschreibungen an ihre Grenzen. „Wir haben 2000 und mehr Patienten pro Quartal zu versorgen. Währenddessen dreht sich das Rädchen beim Hochladen und dreht sich und dreht sich.“

„Überall bricht uns die Hausärztliche Versorgung weg”, entgegnete Lauterbach, in ganz Deutschland. Daher sei die Hausarztreform dringend notwendig, um den Beruf attraktiver zu machen. Zur Entbürokratisierung des Gesundheitswesen soll im Herbst ein weiteres Gesetz erarbeitet werden. Da hole Lauterbach derzeit Vorschläge ein. Bei den Krankenhäusern sei eine Spezialisierung notwendig. Die hausärztliche Versorgung plant er mit Telemedizin aufzuwerten, auch wenn das Internet das nicht für alle Flecken hergibt, könne er nicht auf die Reform verzichten. “Wir müssen da aber auch zu einer schnelleren Digitalisierung kommen”, räumt er ein. Er kennt Lage der Praxen sehr gut und die Regierung arbeite an Lösungen.

Die Bitte, ihre Berufsgruppe bei der Reform mitzunehmen, richteten zwei Hebammen an Lauterbach. Als erste Rednerin schilderte Hilke Schaumann, sie arbeitet seit 35 Jahren im Kreißsaal, die Zerrissenheit bei der Betreuung von zwei Müttern vor und nach der Geburt: „Ich muss mich kontinuierlich fragen: Bin ich jetzt im richtigen Raum, oder muss ich doch nochmal schnell rüberspringen?“ Wichtig wäre daher eine 1:1-Betreuung, die auch den Hebammenkreißsaal im Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz und die Verfügbarkeit miteinschließt, damit ein gewisser Stellenschlüssel hinterlegt ist. 1:1-Betreuung sei wichtige Schaltstelle, antwortet Lauterbach. „Wir werden eine Regel einbringen, dass bei der Weiterentwicklung der Leistungsgruppen im kommenden Jahr auch Hebammen die Kreissäle leiten dürfen.“ Zunächst werden die Qualitätskriterien aus NRW für die Leistungsgruppen aufgenommen, dazu hat sich die Regierung in einem Eckpunktepapier mit den Ländern verpflichtet. In NRW dürfe eine Hebamme das bisher nicht.

Es ist Wahnsinn, was auf unseren Schultern liegt, welche Verantwortung.
— Wiebke Brockmann, freiberufliche Hebamme

Als freiberufliche Hebamme erlebt Wiebke Brockmann die Situation im Heidekreis noch verschärfter. Es sei oft der Standard, dass eine Hebamme vier Frauen gleichzeitig begleite. Das sei eine gefährliche Geburtshilfe. In Niedersachsen als Flächenland sei die Situation eine andere als in Köln, Familien müssten 45 Minuten fahren, um eine geburtshilfliche Klinik zu erreichen. Hebammen seien die Primärversorger. Doch in vielen Gesetzen falle diese Berufsgruppe hintenüber. „Es ist Wahnsinn, was auf unseren Schultern im gesamten Gesundheitssystem vor Ort liegt“, sagte sie.

Im Leistungsgruppenausschuss sitzen die Hebammen jedoch nicht. „Wir möchten auch gehört werden, wenn es darum geht auch der Geburtshilfe einen sicheren Standort zu geben.“ Er komme selbst vom Land und kenne die Probleme ebenso wie die Bedeutung, die Hebammen dort haben, antwortete Lauterbach. Er sei mit vielen Hebammen und dem Hebammenverband in engem Austausch. Ein von Hebammen geleiteter Kreißsaal wäre für ihn ein Schritt nach vorne.

Wo bekommen suizidgefährdete Menschen schnell Hilfe her?

Sven Krawitz betreibt in Walsrode die Selbsthilfegruppe Semi-Cool-On. Jeden Mittwoch fragt er sich, ob alle Teilnehmer wieder kommen. Seine Frage an Lauterbach war: Wo bekommen suizidgefährdete Menschen schnell Hilfe her? Dazu arbeite das Ministerium an einem Suizidpräventionsgesetz im Auftrag des Parlaments, berichtet der Gesundheitsminister. „Wir haben eine hohe Suizidquote, die auch wieder steigt. Dem müssen wir begegnen.“ Da sei das Gesetz eine wichtige Baustelle. „Das brauchen wir seit vielen Jahren.“

Während der Fragerunden ging Klingbeil durch die Reihen, die Anwesenden stellten ihre Fragen, Lauterbach schrieb mit und antwortete im Anschluss monologartig darauf, was dem Dialog etwas die Dynamik nahm. Das Ziel vieler Menschen, die sich zu Wort meldeten, war es in erster Linie gehört und wahrgenommen zu werden.

„Diese Art Bürgerdialog bringt es, weil Reformen erklärt werden, aber auch durch Zuhören der Politik verbessert werden können. Ich habe wieder eine Menge gelernt“, twitterte Lauterbach noch am gleichen Aend. Diesen Herbst stehen eine ganz Reihe von Reformen an, die den großen Problemen des Gesundheitssystems begegnen sollen.