„Weiterhin eine volatile Qualität“
Ja, manches habe sich verbessert im lokalen Bahnverkehr, räumt Heinrich Kirchner von der Wintermoorer BahnhofsInitiative (WBI) ein. Einfach deshalb, weil in den vergangenen zwei Jahren alles noch katastrophaler gewesen sei. Aber zufriedenstellend laufe der Bahnverkehr auf dem Heidekreuz weiterhin nicht. „Es ist frustrierend“, sagt der Vielfahrer, der aufgrund seines langjährigen Engagements in der WBI zu einer Art Kummerkasten für Bahnkunden aus Wintermoor geworden ist. Viele Beschwerden werden an ihn und seine Initiative herangetragen. Er berichtet von gefrusteten Berufspendlern und enttäuschten Zugezogenen aus dem nahen Hamburg. „Manche haben sich inzwischen wieder ein Auto angeschafft, obwohl sie das eigentlich nicht mehr wollten.“ Andere hätten aufgrund häufiger Verspätungen ernsthafte Probleme im Job. „Arbeitgeber schauen sich das nicht ewig an“, sagt Kirchner. Es sind die altbekannten Klagen.
Die zuletzt feststellbaren Verbesserungen beim regionalen Netzbetreiber Start Niedersachen Mitte betreffen primär die Linie RB37, die Soltau und Munster an Bremen und Uelzen anbindet. Auf der für die meisten Bahnfahrer im Heidekreis wichtigeren Linie RB 38 zwischen Hannover und Buchholz respektive Hamburg lief es dagegen, nach einem schwachen Jahresstart 2024, im zweiten Quartal lediglich „tendenziell etwas besser“, wie die Landesnahverkehrsgesellschaft (LNVG) jüngst gegenüber der Böhme-Zeitung erklärte. Zugausfälle kommen nicht mehr so häufig vor, doch Verspätungen bleiben insbesondere in Fahrtrichtung Buchholz/Hamburg ein häufiges Ärgernis. „Stabil fährt die Linie ab 18 Uhr“, sagt Kirchner. Und das hat eine sehr konkrete Ursache. Denn Züge aus Hannover, die Soltau am späten Nachmittag und abends erreichen, legen dort seit einiger Zeit eine reguläre 20-Minuten-Pause ein. Erstmals geschieht dies um 17.58 Uhr. Der zu dieser Zeit eintreffende Regionalzug setzt seine Fahrt in Richtung Schneverdingen und Buchholz erst um 18.18 Uhr fort. Grund für den Zeitpuffer ist ein in den Abendstunden unbesetztes Stellwerk. Durch die Fahrpause werden etwaige Verspätungen aus dem Südkreis aufgefangen und der Zug verlässt den Knotenpunkt Soltau fahrplanmäßig. Dadurch entfällt die morgens und tagsüber oft bestehende Situation, dass sich die Züge aus Buchholz und Soltau nördlich von Schneverdingen auf eingleisiger Strecke ins Gehege kommen. Dabei genießt der Zug Richtung Hannover regelmäßig Vorrang. Er ist in der Regel stärker frequentiert, zudem wollen die meisten Fahrgäste im Nord-Zug nach Hamburg und müssen am Bahnhof Buchholz ohnehin umsteigen und 15 Minuten auf ihren Anschluss warten.
Zeitpuffer in Soltau gleicht Verspätungen aus
„Der Puffer in Soltau ist der Königsweg“, sagt Kirchner und wünscht sich diese Lösung auch für den Regionalverkehr vor 18 Uhr. „Der Grund für die Verspätung auf der Strecke sind fast nur die Züge aus Hannover, die oft verspätet in Soltau ankommen und dann meist schon in Schneverdingen auf den Gegenzug aus Buchholz warten müssen. Sie können von dort erst mit einer Verspätung von circa 25 Minuten weiter nach Buchholz fahren.“
Für Fahrgäste Richtung Hamburg, die in Soltau, Schneverdingen oder Wintermoor zusteigen, hätte eine solche Lösung zweifellos ihren Charme. Wer im südlichen Kreisgebiet zusteigt, dürfte die 20 Minuten Zwangspause in Soltau als weniger genialen Schachzug empfinden. Kirchner verweist aber darauf, dass Soltau ein Knotenpunkt ist, an dem viele Fahrgäste ein-, aus- und umsteigen. Früher einmal mussten Fahrgäste, die aus dem Südkreis nach Hamburg wollten, hier regulär den Zug wechseln. Wer die Strecke zwischen Hannover und Hamburg komplett mit dem Regionalverkehr bewältigt, kann den lästigen Puffer in Soltau vermeiden, indem er die Alternativstrecke über Uelzen wählt.
Die WBI will Druck machen, damit sich die partiellen Verbesserungen auf der Linie RB 38 verstetigen und die Zuverlässigkeit weiter steigt. Kirchner hat sich in dieser Sache zuletzt mit einer Petition an den Landtag gewendet.Der Petitionsausschuss befasste sich auf seiner Sitzung am 19. Juni mit der Causa Start und pflichtete dem Petenten aus Wintermoor bei. „Die anhaltend schlechte Betriebsqualität auf dem Heidekreuz“ sei „auch aus Sicht des Landes und der Landesnahverkehrsgesellschaft (LNVG) nicht akzeptabel“. Der Ausschuss verweist auf ergriffene Maßnahmen wie die Erhöhung des Fahrzeugpools und die zuletzt messbaren Verbesserungen. Die WBI will aber mehr als das, sie strebt Schritte wie den ganztägigen Zeitpuffer in Soltau an, um die Stabilität des regionalen Schienenverkehrs nachhaltig zu stärken. Daher soll es im Oktober eine neue Petition geben, diesmal in Form einer Online-Petition, an der sich Bürgerinnen und Bürger aktiv beteiligen können.
Etwas zufriedener als Vielfahrer Kirchner zeigt sich Berufspendler Steffen Gloge. Er nutzt regelmäßig die Linie RB37, um von seinem Wohnort Munster zu seiner Arbeitsstelle bei Hagebau in Soltau zu gelangen. In den vergangenen zwei Jahren hat er viel durchmachen müssen. Immer wieder fielen Züge aufgrund mangelnder Fahrzeugverfügbarkeit aus, schließlich wurde der Zugverkehr auf der Strecke für Wochen komplett eingestellt und durch Busse ersetzt. Verglichen damit ist die aktuelle Situation sehr erfreulich.
Gloge ist Betriebswirt und hat in der Analyse-Datenauswertung gearbeitet. In den vergangenen Jahren dokumentierte er die streckenweise mangelhafte Qualität des Zugverkehrs in Munster und suchte das Gespräch mit Politikern und Vertretern des Streckenbetreibers Start Niedersachsen Mitte. Während sich die Politik – mit Ausnahme von Vertretern der SPD – nicht sonderlich an einem Austausch interessiert gezeigt habe, sei das Bahnunternehmen gesprächsbereit gewesen. Anfang des Jahres nahm Gloge als Fahrgastvertreter an einen StartWorkshop in Soltau teil, in dem es um bessere Kundenkommunikation gegangen sei. Auch auf diesem Feld lief in der Vergangenheit vieles schief. Oft seien Verspätungen, Ausfälle und Ersatzverkehre nicht angemessen kommuniziert worden. Das funktioniere mittlerweile aber deutlich besser. Auch das Warten auf Anschlusszüge bei geringer Verspätung, wie es bislang eher im Fernals im Regionalverkehr praktiziert werde, mache Fortschritte. Wobei es da einen Zielkonflikt gebe: Wenn ein Anschlusszug etwa in Uelzen oder Buchholz wartet, seien oft zwei verschiedene Bahnunternehmen betroffen. Da lasse sich niemand gerne von einem konkurrierenden Unternehmen die eigene Pünktlichkeitsstatistik ruinieren.
„Am Ende sitzen wir alle im selben Boot"
Aber miteinander zu sprechen, sei immer der richtige Weg, findet Gloge. „Am Ende sitzen wir doch alle im selben Boot“, sagt er und regt für den Heidekreis einen Runden Tisch zum Bahnverkehr an. Was die Performance von Start Niedersachsen Mitte insgesamt betrifft, sieht Gloge auch auf der Linie RB 37 noch Luft nach oben. „Persönlich sehe ich auf dem Heidekreuz aktuell weiterhin eine volatile Qualität der Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit“, erklärt der 36-Jährige. Seit der Übernahme des Netzes durch Start Niedersachsen Mitte im Dezember 2021 habe es immer mal wieder auch stabilere Phasen gegeben, die sich aber nie als nachhaltig erwiesen hätten. Gloge hofft, dass es diesmal anders sein wird.