„Es gibt keinen Nachweis“
Waren die Generalfeldmarschäle Paul von Hindenburg und Erwin Rommel „nachweislich keine Kriegsverbrecher“? Auf diese vermeintliche historische Tatsache verwiesen jüngst Jens-Oliver Kaiser (CDU) und Detlef Rothe (SPD) und begründeten unter anderem damit ihre ablehnende Haltung zu einer möglichen Umbenennung der Hindenburgallee und Rommelstraße in Munster (BZ vom 26. August: „Straßennamen: Nur Ehre, oder auch Mahnung?“). Doch so eindeutig, wie die beiden Lokalpolitiker in öffentlicher Ausschusssitzung Glauben machen wollten, liegen die Dinge nicht. Schon eine kurze Internet-Recherche zeigt, dass vor allem Hindenburg bis zum heutigen Tage sehr wohl Kriegsverbrechen vorgeworfen werden. Liegen diejenigen, die solche Vorwürfe erheben, alle nachweislich falsch? Die Böhme-Zeitung hat bei Dr. Gerd Hankel nachgefragt. Der Völkerrechtler forscht am Hamburger Institut für Sozialforschung, ist als Gutachter im Bereich des Völkerstrafrechts tätig und hat das Standardwerk zu den Leipziger Kriegsverbrecherprozessen vorgelegt, bei denen Hindenburg mit auf der Anklagebank saß (Die Leipziger Prozesse – Deutsche Kriegsverbrechen und ihre strafrechtliche Verfolgung nach dem Ersten Weltkrieg, Hamburger Edition 2003).
„Hindenburg wurde nach dem Ersten Weltkrieg von Frankreich beschuldigt, Kriegsverbrechen begangen zu haben“, erklärt der Jurist. „Frankreich forderte seine Auslieferung, um ihn vor ein Militärgericht zu stellen. Zu dieser Auslieferung kam es nicht.“ Stattdessen kam es zwischen 1921 und 1927 gemäß des Versailler Friedensvertrags zu den „Leipziger Prozessen“, mit denen Deutschland seine eigenen Kriegsverbrechen strafrechtlich aufarbeiten sollte – ein wohl von Anfang an zum Scheitern verurteiltes Vorhaben, wie sich der Lektüre von Hankels Standardwerk entnehmen lässt. „Die Reaktion der Öffentlichkeit auf die Verfahren waren durchweg negativ, und zwar sowohl in Deutschland wie auch in den Ländern der Entente“, heißt es dort. Von einer „nationalen Schande" und einer „juristischen Farce" war die Rede. Populäre Angeklagte wie Hindenburg, der im Ersten Weltkrieg die Dritte Oberste Heeresleitung angeführt hatte, und dessen Stabschef General Erich Ludendorff galten den Deutschen nicht nur nicht als Verbrecher – sie genossen Heldenstatus. „Obwohl qua Gesetz zu ihrer Verfolgung verpflichtet, zeigten Reichsanwaltschaft und Reichsgericht nur sehr wenig Neigung, hinreichend tatverdächtige Kriegsverbrecher ernsthaft in Bedrängnis zu bringen“, resümiert Hankel in seinem Buch. Der unergiebige Verlauf der Leipziger Prozesse gilt als einer der Gründe dafür, dass die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse nach dem Zweiten Weltkrieg nicht vor einem deutschen Gericht stattfanden, sondern vor einem eigens eingerichteten Internationalen Militärgerichtshof.
Im Ergebnis verlief das Verfahren gegen Hindenburg „im Sande“, erklärt Hankel gegenüber der Böhme-Zeitung. Zum einen, weil die erhobenen Vorwürfe, die sich auf „systematische Zerstörungen und Verwüstungen in Nordfrankreich und die Deportation von Zivilpersonen“ bezogen, „zu pauschal“ gewesen seien. Zum anderen, weil auch die Alliierten nach 1922 das Interesse verloren, die Tatvorwürfe ernsthaft zu verfolgen.
Das trübe Ergebnis der halbherzigen juristischen Aufarbeitung der Rolle Hindenburgs im Ersten Weltkrieg sei aber keinesfalls dazu geeignet, ihn historisch freizusprechen, stellt Hankel klar. „Es gibt keinen Nachweis dafür, dass Hindenburg kein Kriegsverbrecher war“, so der Völkerrechtler. „Man kann es annehmen, aber nicht belegen oder beweisen.“
Etwas anders liegen die Dinge im Fall von Generalfeldmarschall Erich Rommel, der in beiden Weltkriegen diente und als Befehlshaber des Deutschen Afrikakorps der Wehrmacht legendär wurde. Er wird generell nur selten mit Kriegsverbrechen in Verbindung gebracht. „Erwin Rommel spielte in der Frage, welche deutschen Militärs von den Alliierten nach dem Ersten Weltkrieg strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden sollen, keine Rolle“, erklärt Hankel. „Ob darin ein Nachweis zu sehen ist, also etwas Schriftliches oder zumindest konkret Fassbares, ist eine andere Frage.“