Auch ohne A7-Stau: Zu viele Autos in Soltau
Selbst an Tagen ohne Stau – und die gibt es in Soltau derzeit selten – sind in der innerstädtischen Wilhelmstraße innerhalb von 24 Stunden rund 18200 Autos unterwegs.
Eine Zahl, die selbst Iris Pollesch überrascht. „Auf dem Hauptstraßenetz herrscht unfassbar viel Verkehr“, stellte die Verkehrsexpertin des deutschlandweit tätigen Stadtplanungsbüros Sweco fest. Einen Schutzstreifen für Radfahrer dürfte es in dieser Situation gar nicht geben. Normal sind nach ihren Angaben 10000 Fahrzeuge am Tag. Walsrode habe 9200, Stade 11500 und Nienburg 13700.
Es scheint also höchste Zeit, sich das Thema Verkehr in Soltau genauer anzuschauen. Die Stadt lässt dafür durch das Büro Sweco einen Verkehrsentwicklungsplan mit einem Zeithorizont von gut 20 Jahren erarbeiten.
Ob sich allerdings auf den Hauptverkehrsstraßen Änderungen erreichen lassen, bezweifelte selbst Bürgermeister Olaf Klang am Sonnabend vor mehr als 30 Soltauerinnen und Soltauern in der Alten Reithalle. Anlässlich einer Bürgerbeteiligung schilderte er seine Stau-Beobachtungen seit Freitag.
„Vor etlichen Jahrzehnten waren wir stolz auf die A7 und die zwei Bundesstraßen. Sie waren ein Segen, um schnell in alle Himmelsrichtungen zu kommen. Heute sind sie ein Fluch.“
Die Stadt habe wenig Handhabe an Bundes- und Landesstraßen: „Wir dürfen nicht einmal einen Bordstein anfassen“, so Klang. Daher müsse es darum gehen, dort einzugreifen, wo man es könne. Jetzt gebe es die einmalige Chance, genauer auf den Verkehr zu schauen – insbesondere die Straßennutzung durch Radfahrer, Fußgänger und Autofahrer gleichberechtigt zu denken, „und vielleicht dem nicht motorisierten Verkehr Vorrang zu geben“.
Was sich die Einwohnerinnen und Einwohner wünschen, wurde an vier verschiedenen Stationen deutlich. Immer wieder ging es aber um den überörtlichen Verkehr und die Forderung einer Umgehungsstraße, um die Belastung zu verringern.
Dennoch diskutierten die Teilnehmer auch über Parkgebühren und die Reduzierung von Parkflächen. Teils war man sich dazu einig, die unterschiedlichen Verkehre nicht gegeneinander ausspielen zu wollen, zumal Autofahren durch den ewigen Stau schon jetzt unattraktiv und furchtbar sei, wie ein Soltauer klagte.
Andere wünschten sich mehr Fahrradstellplätze und ein sicheres Fahrradnetz, um den Umstieg von vier auf zwei Räder zu schaffen. Auch die Schrankensituation an der Walsroder Straße wurde diskutiert – auch da liegt die Handlungshoheit nicht bei der Stadt. Kritik gab es am fehlenden ÖPNV, der sich nur an den Erfordernissen des Schülerverkehrs orientiere.
Relativ konkret scheint bislang eine Maßnahme: Der Ausbau einer Fahrradstraße parallel zur Lüneburger Straße. Um den Lückenschluss zwischen Tannen- und Lönsweg zu schaffen, benötigt die Stadt Fördermittel. Die könnten auf Grundlage des Verkehrsentwicklungsplans eingeworben werden, so Stadtplanungschef Daniel Gebelein.
Mit dem Auto bis vor die eigene Haustür
Etwas mehr Zuspruch hätte sich die Soltauer Stadtverwaltung zur Planungswerkstatt durch die Einwohnerinnen und Einwohner gewünscht. Angesichts der enormen Herausforderungen im Hinblick auf den Verkehr waren etwas mehr als 30 Anmeldungen für die Veranstaltung am Sonnabend in der Alten Reithalle übersichtlich.
Aber die, die da waren, diskutierten an dem Vormittag intensiv über Auto, Rad- und Fußverkehr sowie Bus und Bahn. Die Verkehrsexpertinnen des Planungsbüros Sweco, Iris Pollesch und Michelle Ries, hatten zunächst die bislang bekannten Fakten zusammengefasst.
Sweco begleitet seit 30 Jahren Projekte in kleinen und großen Kommunen in Deutschland und stellt in dem Zuge immer wieder fest: „Viele Probleme sind hausgemacht“, so Pollesch, etwa wenn ein Gewerbegebiet auf der grünen Wiese oder ein Wohngebiet am Stadtrand entstehe, es aber keinen Bus gibt, der dorthin fährt und jeder sein Auto nutzt: „Da müssen wir verkehrliche Strukturen gleich mitdenken, beispielsweise mit einem Fahrradnetz oder dem ÖPNV.“ Zudem gelte für die Zukunft, die Entwicklung bei E-Autos und E-Fahrrädern sowie die Digitalisierung beispielsweise für smarte Rufbussysteme oder smarte Fahrgemeinschaften zu bedenken.
Eine gute Grundlage für die Verkehrsentwicklungsplanung war die Bestandsanalyse sowie die Haushaltsbefragung in Soltau. Die brachte zutage, wie wenig der ÖPNV in Soltau genutzt wird: Nur 0,57 Prozent der Befragten gaben an, mit Bus oder Bahn unterwegs zu sein. Kein Wunder, gebe es vorwiegend den Schülerverkehr, der restliche ÖPNV sei untauglich für Pendler, die Ortsteile seien nicht angeschlossen. In den größeren Städten liegt die Zahl der ÖPNV-Nutzung teils sogar bei 30 Prozent. „In Soltau ist ein gigantischer Mangel da“, stellte Pollesch fest.
Stattdessen ist das Auto das bevorzugte Verkehrsmittel in Soltau: Fast 60 Prozent sind als Fahrer oder Mitfahrer mobil. Die mauen Bus- und Bahnzahlen werden in Soltau aber durch die Fahrradnutzer aufgebessert.
22 Prozent der Befragten fahren Rad, mehr als doppelt so viele wie in größeren Städten. Und das, obwohl das Hauptstraßennetz nicht geeignet ist für den Radverkehr. Da seien getrennte Wege notwendig, betonte Pollesch. Genauso wichtig seien Schließanlagen, wo auch teure Räder sicher stünden.
„Wir brauchen aktive Mobilität, auch im Hinblick auf den Gesundheitsgedanken.“ Zudem forderte Pollesch gleichberechtigte Teilhabe für Alte, Kranke, für Schüler: „Wir grenzen aktuell viele Menschen aus.“
Fußläufig sei die Innenstadt gut zu erreichen, hat die Befragung ergeben. Allerdings seien Wege eng und das hohe Verkehrsaufkommen eine Barriere: „Umwege sind für Fußgänger ein absolutes No-Go“, so die Verkehrsplanerin. Auch lange Wartezeiten an den Ampeln seien für den Fußverkehr eine Zumutung. Es dürfe bei der Ampelschaltung nicht mehr darum gehen, nur die Leichtigkeit des Autoverkehrs zu ermöglichen.
20 Prozent der Pkw und Lkw fahren durch Soltau durch
Nicht überraschend bei der Erhebung: Die extrem hohe Belastung durch den Autoverkehr. Dabei mache davon der Durchgangsverkehr etwas mehr als 20 Prozent aus, 6 Prozent davon ist Schwerverkehr, in Stauzeiten sogar deutlich mehr. „Den Durchgangsverkehr aus der Stadt heraus zu bekommen, das wäre sehr wichtig“, stellte die Verkehrsexpertin fest. Hinzu kommen die Schrankenschließzeiten mit einem Rückstau durch die ganze Stadt.
Betrachtet habe die Verkehrsexpertinnen die innerörtliche Parksituation mit dem beliebten Lidl-Parkplatz, der auch für den Verkehr auf der Ortsdurchfahrt verantwortlich sei.
Überrascht habe, dass am Bahnhof noch große Parkkapazitäten vorhanden sind. „Insgesamt haben wir wenig Falschparker gefunden, was zeigt, dass jeder mit dem Auto bis vor die Haustür fahren kann.“
Verschiedene Ideen hatten die Verkehrsplanerinnen bereits im Gepäck: Außer dem Ausbau des Fahrradnetzes und barrierefreie Fußwege die Einführung eines Parkleitsystems, aber auch von Parkgebühren. Zudem könnten Parkflächen verlagert werden, um die Flächen in der Innenstadt umzunutzen.
Außerdem will sich das Büro der Frage widmen, ob Kreisverkehre an den großen Kreuzungen der Stadt sinnvoll seien. Insgesamt, so die Expertinnen, wolle man keinen Schubladentiger entwickeln, sondern ein Verkehrskonzept, das gelinge.