Wahlen in schnelllebigen Zeiten
Das absolute Debakel für die SPD blieb im Heidekreis und damit im Wahlkreis ihres Bundesvorsitzenden Lars Klingbeil zwar aus. Die Sozialdemokraten konnten bei der gestrigen Europawahl ihren zweiten Platz mit 21 Prozent hinter der CDU verteidigen. Sie verlor prozentual im Vergleich zu Wahl 2019 leicht und blieb damit deutlich über dem Bundesergebnis von nur 14 Prozent.
Aber das täuscht nicht darüber hinweg, dass die AfD auch in der Region kräftig zugelegt hat. Von 9 auf 15,6 Prozent steigerten die Rechtspopulisten ihr Ergebnis, sie legten am stärksten zu – gefolgt vom Bündnis Sarah Wagenknecht, das im Heidekreis aus dem Stand auf mehr als 4 Prozent kam.
AfD-Kreisvorsitzender Carsten Vogel freute sich über den deutlichen Zuwachs. Man sei grundsätzlich zufrieden insbesondere mit Blick auf den Heidekreis, klang es bei Vogel nach einem Aber und das schob er dann auch nach: Insbesondere kritisierte er die Art und Weise des Wahlkampfes und meinte damit genauer die Plakataktion der Kreis-SPD. „Das war ziemlich zweifelhaft“, so Vogel.
Insgesamt hätte die AfD noch besser abschneiden können, wenn denn die Skandale um die EU-Spitzenkandidaten Maximilian Krah und Petr Bystron nicht gewesen wären, „das hat uns sicher Stimmen gekostet“, meinte Vogel, der gemeinsam mit Parteifreunden in Walsrode im Wahlkreisbüro feierte.
Stabil blieb im Heidekreis die CDU mit leichten Zugewinnen bei 32,2 Prozent. Mit gemischten Gefühlen beurteilte Kreisvorsitzender Timo Albeshausen das Ergebnis. Die Christdemokraten hätten zwar besser abgeschnitten, als noch vor ein paar Monaten abzusehen gewesen sei. Sorgen bereite ihm die Stärke der AfD, was er durchaus mit der Unzufriedenheit an der Bundesregierung erklärte.
Unterm Strich sei es für die Christdemokraten gut gelaufen. Dennoch solle man als CDU/CSU nicht übermütig werden, warnte Albeshausen und hatte diesbezüglich auch Mitgefühl mit den Grünen, denen vor fünf Jahren ein enormer Aufschwung angesichts der Klimakrise gelungen war. Im Heidekreis verdoppelten die Grünen 2019 ihr Ergebnis auf gut 20 Prozent. Am gestrigen Wahlsonntag stürzten sie im Heidekreis auf 9 Prozent ab. Ohne Häme, so betonte Albeshausen, „ist die Partei ein Opfer der schnelllebigen Zeit geworden“. So schnell wie es mit dem Fahrstuhl nach oben gegangen sei, sei es wieder nach unten gegangen.
Marvin Kerkhoff, Kreisvorstandsmitglied der Grünen, war im Vergleich zum Bundesergebnis noch schlechteren Ausgangs im Heidekreis fast sprachlos: „Das ist ganz bitter für uns Grüne. Das ist eine Abreibung.“ Er persönlich empfinde es tatsächlich als Quittung für die Arbeit der Bundesregierung. Die meisten Leute fühlten sich nicht abgeholt, hinzu kämen solch schwerwiegende Themen wie Krieg und Frieden.
Besorgt blickte der Grüne auf das Ergebnis der AfD und sah für die Europäische Union die Gefahr eines starken Rechtsrucks, deren Politik sich gegen freien Handelsverkehr und offene Grenzen und damit die Errungenschaften der EU richte. Insgesamt sei er mit der Regierungsarbeit der Grünen im Bund zufrieden, dennoch müsse viel mehr erklärt werden und man sollte weniger populistischen Aussagen anderer hinterherlaufen. Auf europäischer Ebene treibt Kerkhoff nun die Sorge um, ob der „Green Deal“ und damit der Kampf gegen die Klimaerwärmung überhaupt noch umgesetzt werden kann. Dabei sei die Klimakrise nicht wegzureden, das sehe man an den Hochwassern der letzten Monate in Niedersachsen und Bayern.
„Genauso gedämpft wie zuvor“, so beschrieb am gestrigen Abend Andreas Reinert seine Stimmung. Die FDP blieb im Heidekreis stabil bei 5 Prozent. Vermutlich, so der Kreisvorsitzende, sei das auch auf Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann zurückzuführen. Sie sei ein Mensch mit dem Herz am richtigen Fleck und habe sicher Wählerstimmen gezogen.
„Es scheint, als hätten viele Menschen den Ampelparteien einen Denkzettel gegeben“, ordnete schließlich SPD-Kreisvorsitzender Sebastian Zinke das Ergebnis der ein. Im Vergleich zu den Nachbarwahlkreisen hätten die Sozialdemokraten im Heidekreis stärker abgeschlossen. Möglicherweise habe der Partei zudem die fehlende Fünf-Prozent-Hürde auf Europaebene zugesetzt. Es sei auffällig, dass bei der EU-Wahl viele kleine Parteien gewählt würden, insgesamt kam dabei im Heidekreis ein zweistelliges Ergebnis zusammen. Dennoch habe die SPD im Heidekreis den Anspruch eine gestaltende Kraft zu sein: „Das ist nicht gelungen.“
Auch Zinke empfand es als „bitter“, dass die AfD zweitstärkste Kraft in Deutschland habe werden können. Gerade mit Blick auf die aktuellen Veränderungen in Zeiten mit fragiler Sicherheitslage, einer Energiekrise, der Frage, wie mobil man künftig sein wolle, würden viele Pfade verlassen, die man bisher gegangen sei. „Das wollen nicht alle“, analysierte Zinke. Letztlich habe die AfD mit Themen gepunktet, die Unsicherheitsthemen seien. „Aber das ist keine positive Politik.“
Dazu gab er sich aber auch selbstkritisch: „Wir müssen unsere Hausaufgaben tun, insbesondere auch bei der Migration und Integration“, so Zinke. Insgesamt gebe es aber sehr viele Veränderungen mit einmal – und diese würden in der Zukunft an Schnelligkeit noch zunehmen, prognostizierte der Kreisvorsitzende. Letztlich gelte es nun für den Heidekreis zu analysieren, welches Thema, aber auch ob die eigene Wahlkampagne Niederschlag im Wahlergebnis und vielleicht bei der Wahlbeteiligung gefunden habe. Die lag tatsächlich höher als 2019: Damals waren es 59,2 Prozent, am gestrigen Sonntag waren es 61,5 Prozent. „Es sind mehr Leute zu Wahl gegangen und die haben überwiegend demokratische Parteien gewählt“, so Zinke.