Mit niedrigeren Standards raus aus der Baukrise
Egal wo Bundesbauministerin Klara Geywitz auftaucht, eine Zahl ist schon da: 400.000. So viele neue Wohnungen werden pro Jahr entstehen, hat die Bundesregierung vollmundig verkündet und damit Forderungen nach stärkeren Sozialschutz durch einen bundesweiten Mietendeckel zurückgewiesen. „Wir müssen bauen, bauen, bauen“, tönte Bundeskanzler Olaf Scholz und pries das Konzept auch als wirksames Mittel gegen hohe Mieten. Doch das Versprechen wurde nicht eingelöst, die Hoffnungen verpufften. Im vergangenen Jahr brachen die Bauaufträge massiv ein – „das war kein Sinkflug mehr, das war ein kompletter Strömungsabriss“, brachte es ein Branchenvertreter am Dienstag in Bspingen gegenüber Geywitz auf den Punkt. Die Sozialdemokratin war auf Einladung des örtlichen Bundestagsabgeordneten Lars Klingbeil zu Gast im Heidekreis und sprach mit Bauunternehmern, Architekten, Stadtplanern, Lokalpolitikern und weiteren regionalen Akteuren. Als Fachministerien trägt Geywitz die politische Verantwortung für die Krise auf dem Wohnungsmarkt, die sozialer Sprengstoff ist. Politiker sind schon für weniger zurückgetreten.
Aber verzagt wirkte die 48-Jährige bei ihrer Tour keineswegs. Die Potsdamerin kam in Soltau mit Vertretern des Verbands der Wohnungswirtschaft zusammen und hielt im Bispinger Betrieb Heinrich-Meyer-Werke einen Vortrag mit anschließender Aussprache. Die HM-Geschäftsführer Volker und Moritz Meyer stellten zuvor ihr Familienunternehmen vor, in dem unter anderen Fenster und Türen produziert werden. Sie machten deutlich, dass serielles Bauen im Modulsystem preiswert und schnell Wohnraum schaffen könnte – die Niederlande machten es vor. Die deutsche Baubranche stehe in den Startlöchern, benötige aber veränderte rechtliche Rahmenbedingungen. Gemeint sind bürokratiearme Regelungen für einen „neuen sozialen Wohnungsbau“, der von bestimmten kostentreibenden Baustandards befreit ist.
Die Bundesministerin nahm den Ball gerne auf, will ihr Haus doch durch Anpassungen im Bundesrecht den Weg für die Aufnahme des „Gebäudetyps E“ in die Landesbauordnungen ebnen. Der neue Gebäudetyp geht auf eine Initiative der Bayerischen Architektenkammer zurück. Der Buchstabe E steht dabei sowohl für „einfach“ als auch für „experimentell“. Das Erstellen von Gebäuden dieses Typs soll von Vereinfachungen bei Bauvorschriften profitieren und generell mit weniger Bürokratie belastet sein. Dadurch soll schnelleres und preiswerteres Bauen ermöglicht und ein Weg aus der Krise der Wohnungswirtschaft gewiesen werden. Volker Meyer hatte die Zielmarke auf unter 2000 Euro Baukosten pro Quadratmeter gesetzt. So könne „die Baubranche wieder angekurbelt werden“, frohlockt Klingbeil.
Dass diese derzeit am Boden liege, stellte weder er noch Geywitz in Abrede. Die Verantwortung sahen sie allerdings weniger bei der amtierenden Bundesregierung als in den internationalen Großkrisen und falschen Prognosen. In der Baupolitik der vergangenen Jahrzehnte wurden „ziemlich viele Fehler“ gemacht, sagte Geywitz mit Blick auf die lange Vernachlässigung des sozialen Wohnungsbaus und der Fehlannahme stark schrumpfender Bevölkerungen im ländlichen Raum. Tatsächlich brauche man nun für einige Zeit sogar mehr als die versprochenen 400.000 neuen Wohnungen im Jahr. Allein mit Geld lasse sich das nicht bewältigen, überall fehlen Fachkräfte. „Die Produktivität muss gesteigert werden“, folgert Geywitz. Auch vor diesem Hintergrund sei es notwendig, einfacher zu planen und zu bauen.
„Wir hätten das Quartier nicht realisieren können, wenn wir es heute hätten bauen müssen“, sagt Auch Ralf Gattermann. Auch dem Geschäftsführer der Wohnungsbaugenossenschaft Soltau (WGS) setzt die Krise am Bau zu. Und so nutzte er die Gelegenheit, um Geywitz insbesondere die Sorgen über zu hohe Kosten für Neubau und Sanierung vor Ort zu schildern.
Wohnquartier Winsener Straße wäre heute nicht mehr umsetzbar
Die Bundesbauministerin hat sich das neue Wohnquartier an der Winsener Straße in Soltau mit mehr als 200 Wohnungen angeschaut, ein Erfolgsprojekt – zum Großteil noch vor der Krise umgesetzt. Die WGS nimmt dort für ihre Wohnungen Mietpreise zwischen 6,50 und 10 Euro. Müsste man heute bauen, so Gattermann, wäre das Projekt wirtschaftlich nicht darstellbar – oder Mieter müssten 17 bis 18 Euro Miete je Quadratmeter aufbringen, das sei utopisch.
Gut eine Stunde widmete Geywitz sich den Sorgen, aber auch Vorschlägen für kostengünstigeren und schnelleren Wohnungsbau. Die Wohnungsbauunternehmen aus Niedersachsen und Bremen vertrat Verbandsdirektorin Dr. Susanne Schmitt, zudem war Architekt Norbert Behrens von der Planungsgemeinschaft Nord (PGN) aus Rotenburg bei dem Gespräch dabei, dessen Firma das Soltauer Wohnquartier projektiert und umgesetzt hat.
Geywitz stellt klar, dass das Problem der Hemmnisse für mehr Bauaktivitäten längst bei der Bundesregierung angekommen sei und Gegenmaßnahmen auf dem Weg gebracht seien, etwa der „Gebäudetyp E“. Vieles sei aber auch Ländersache, machte Geywitz zur Forderung deutlich, die Vorschriften für Autostellplätze bei Neubauten zu lockern. Das Land Niedersachsen sei dazu noch im Prozess.
Schmitt erklärte, dass die Wohnungswirtschaft zurzeit nicht wisse, wie es in Sachen Neubau und Sanierung weitergehen könne. Der Gebäudetyp E sei eine Lösung, diese müsse sich aber auch in einer Haltungsänderung widerspiegeln: Es könne nicht nur darum gehen, Gesetze zu ändern. Architekten, Bauherrn und Mieter müssten von einfacherem Bauen überzeugt werden. Schmitt sieht die Politik in der Pflicht, diese Haltungsänderung zu begleiten, damit der Bautyp nicht allein für den sozialen Wohnungsbau Standard werde.
Doch was sei den Mietern wichtig, wenn einfacher gebaut werde, fragte Geywitz. Die meisten Beschwerden gebe es über zu laute Nachbarn, wenn der Schallschutz nicht passe. Das unterstrich auch Architekt Behrens. Es müsse abgewägt werden, was letztlich bezahlbar sei. Ob dazu dicke Wände oder hohe Decken gehören müssen, die früher bei 2,50 und inzwischen bei 2,70 Meter lägen, hinterfragte auch er. Möglicherweise müsse man gezielter erkunden, was Mietern wichtig sei, ergänzte Schmitt. Geywitz nahm den Vorschlag an: Schließlich wolle man im Neubau Kosten sparen, aber nicht im Gegenzug Frust aufbauen.
Nicht nur Kosten, auch Klimastrategie
Schmitt ging aber nicht nur auf Baukosten ein, sondern auch auf die Klimastrategie für Wohnquartiere. Dort, so die Verbandschefin, würden die Verbandsunternehmen von den Kommunen oder den beauftragten Stadtwerken zu spät oder erst gar nicht eingebunden, wenn es um die kommunale Wärmeplanung gehe. Dabei sei eine frühzeitige Berücksichtigung sinnvoll. Das sah Geywitz ähnlich und schlug eine Art Musterwärmeplanung vor, die als Handlungsempfehlung bei der Umsetzung genutzt werden könnte.
In dem Zuge warb Schmitt darum, auch beim Einbau von Heizungsanlagen Standards zu senken. Heutzutage seien viele Anlagen überdimensioniert und für extreme Kälteperioden und hohe Zimmertemperaturen ausgelegt. Das sei nicht nötig und ein Verzicht darauf würde viel Geld am Bau sparen, so die Verbandsdirektorin. Sie warb zudem dafür, nicht nur auf den sozialen Wohnungsbau zu schauen, sondern die Mittelschicht bei der Unterstützung nicht zu vergessen. Gattermann erinnerte zudem an den WGS-Altbestand mit geringen Mieteinnahmen. Dafür bedürfe es ebenso einer gestaffelten sozialen Förderkomponente.
Zudem sprachen die Vertreter der Wohnungswirtschaft mit der Ministerin über bürokratische Hürden im Zuge von Baugenehmigungen. Dazu stellte Schmitt allerdings klar, dass es Regelungen beispielsweise zum Branddchutz weiter geben müsse. Und: Manches könne durch Digitalisierung in Zukunft deutlich schneller gehen.