Wolf attackiert bei Soltau ausgewachsenes Trakehner-Pferd
In der Nacht vom 28. auf den 29. Dezember attackierte mindestens ein Wolf eine Herde Trakehnerpferde in einem Offenstall im Soltauer Ortsteil Hötzingen. Ein ausgewachsener, 600 Kilogramm schwerer Wallach mit einem Stockmaß von 1,73 Metern wurde dabei laut Hofbesitzer Jörg Eggers schwer verletzt und musste in einer Tierklinik operiert werden. Der Wolf als Urheber sei anhand der gesicherten Spuren vom Wolfsbüro und dem zuständigen Förster bereits mündlich bestätigt, so Eggers.
Geschädigter fordert Vergrämung
Wölfe hat die Familie Eggers bereits mehrfach im Umfeld des Pferdestalls gesichtet. Auch die Wildkamera hat bereits ausgelöst. „In der Silvesternacht saß ein großer Wolf nur zwölf Meter vor mir im Gebüsch“, berichtet Eggers, der jede Nacht mehrfach aufsteht, um die Lage zu kontrollieren. Jetzt will er die Schutzmaßnahmen weiter ausbauen und nicht erst lange auf die Hilfe des Landes warten. „Die Sorge über die Rückkehr des Wolfes in die Pferdeherde ist zu groß.“
Eggers akzeptiert die Rückkehr des Wolfs nach Niedersachsen. „Aber ich halte eine Vergrämung des Wolfs von den Höfen und Siedlungen für erforderlich, er muss merken, dass er auf den Höfen nicht willkommen ist.“
Wolfsangriffe auf Großtiere gelten noch immer als Ausnahmesituation, größere Tiere sind wehrhafter als etwa Schafe. Wölfe können sich aber auf Pferde als Nahrungsquelle durchaus ausrichten, wie ein Rudel im Nordwesten Spaniens belegt, das sich laut Nabu zu 93 Prozent von wild lebenden galizischen Ponys ernährt.
Experte fordert verbesserte Rissliste
Seit der Rückkehr des Wolfs nach Niedersachsen gab es bereits 96 Übergriffe von Caniden auf Pferde, davon neun im Heidekreis. Der Wolf wurde allerdings nur in 30 Fällen zweifelsfrei als Angreifer bestätigt, im Heidekreis nur drei Mal.
Zum Schutz der Nutztierhaltung und zur Durchsetzung des Artenschutzes fordert der Wolfexperte und Gründer des Wolfcenters in Dörverden, Frank Faß, im Gespräch mit der Böhme-Zeitung die Aufstellung eines Spezialistenteams von Jägern. Diese sollten ausschließlich die Aufgabe zur Entnahme von Wölfen haben, die sich auf Großtiere konzentrieren. „Auch die Rissliste muss deutlich ausdifferenziert werden“, fordert Faß schon seit Längerem. Zwischen einem Kalb und einer ausgewachsenen Milchkuh sei ebenso ein Unterschied wie zwischen einem Shetlandpony und einem ausgewachsenen Trakehnerpferd. „Wir müssen das noch genauer in den Blick bekommen.“ Die Benennung von Rassen und Altershinweisen der attackierten oder getöteten Nutztiere gehören für Faß zu den notwendigen Daten, um aus der Rissliste weitere Schlüsse ziehen zu können.
Dass Wölfe in Niedersachsen auf der Suche nach Nahrung auf im Umfeld von Bauernhöfen und sogar auf den Höfen selbst nach Beute suchen, ist nicht neu. Wenn es dabei zu Rissen kommt, sind es meist Schafe oder Kälber, aber eher selten Großtiere wie ausgewachsene Milchkühe oder Pferde. Und auch bei den Pferden lohnt ein genauer Blick. Die Familie Ursula von der Leyen hatte im vergangenen September ein Pony zu beklagen, das einem Wolf zum Opfer fiel. Auch die kleinen Shetlandponys gehören zum Beuteschema, selten aber ausgewachsene Trakehner oder gar noch größere Kaltblüter. Zu gefährlich sind deren Hufe für den Prädatoren.
Will das Land Großtiere nicht schützen?
Wolfexperte Frank Faß, der seit bald 13 Jahren sein Wolfzentrum in Dörverden betreibt, kritisiert vor dem Hintergrund der zunehmenden Angriffe auf Großtiere, den Umgang des Landes mit dem zurückgekehrten Caniden.
„Die Förderkulisse des Landes ist nicht auf Großtiere ausgerichtet“, so Faß. Das müsse sich ändern. Bezogen auf den Fall des Hötzinger Hofs von Jörg Eggers sei es so, dass der Hofhalter jetzt einen Anspruch auf Förderung einer wolfssicheren Umzäunung habe. Die Erweiterung der Fördermittelansprüche auf alle Pferdehalter in der Region trete erst dann ein, wenn innerhalb eines Radius von 30 Kilometern um den betroffenen Hof herum in einem Zeitraum von 12 Monaten zwei weitere Übergriffe durch Wölfe erfolgten. „Das Kind muss in Niedersachsen dreimal in den Brunnen fallen“, kritisiert Faß den Lachsen Umgang des Landes mit den Nutztierhaltern.
Wolf schürt Angst um die Kinder
Jörg Eggers hat seinerseits nicht nur Angst um seine Pferde, sondern auch um die Jüngsten seiner Familie. „Was ist mit meinem zweijährigen Enkel, der seine Sandkiste direkt neben dem Pferdestall hat, darf der zukünftig noch allein in der Sandkiste spielen?“, fragt Eggers und trifft damit einen gesellschaftlichen Nerv: die Urangst vor dem Wolf seit seiner Rückkehr. Die Frage, wann Wölfe, die sich an ausgewachsene Trakehner heranwagen, auch Schulkinder angreifen, hält Faß keineswegs für Panikmache. „Weshalb greift ein Wolf, der locker ein Kleinkind töten könnte, lieber ausgewachsene Pferde an?“, fragt Faß andersherum. Zwischen 2002 und 2020 sei es in Europa, Asien und Nordamerika zu 489 Wolfsangriffen auf Menschen gekommen, von denen 26 tödlich geendet seien. 380 davon seien allein deshalb erfolgt, weil die Wölfe an Tollwut erkrankt seien. 67 Fälle seien sogenannte prädatorische Fälle gewesen, also echte Beuteangriffe, bei denen 9 Personen starben. Nur sechs dieser Fälle haben sich in Europa ereignet, davon 4 in Polen und jeweils ein Fall in Italien und im Kosovo.
Die weiteren 42 Fälle seien provozierte Angriffe auf sich verteidigende Wölfe gewesen. In diesen Fällen sieht der Wolf den Menschen primär nicht als Nahrung sondern als Gegner an, das Verhalten des Menschen ist ursächlich für den Angriff des Wolfs. Für die Landesregierung ist das noch kein Thema. Das Verhalten von Wölfen gegenüber Beutetieren und Menschen sei nicht vergleichbar, weist das niedersächsische Umweltministerium eine Anfrage lapidar zurück.
“Ohne Monitoring kein Wolfs-Management”
Raoul Reding, der für die Landesjägerschaft das Wolfsmonitoring betreibt, kann hingegen wie Faß Ängste nachvollziehen. „Der Mensch gehört aber nicht zum Beuteschema des Wolfs“, erklärt Reding, weshalb Wölfe sich bislang eher für das Großtier auf vier Beinen als für den zweibeinig laufenden Menschen interessieren. Wenn es dann doch zu Annäherung komme, sei „dummes Verhalten“ im Vorfeld ursächlich, etwa Anfütterung, durch die eine Erwartungshaltung des Wolfs aufgebaut werde. Das war zuletzt in der Region bei dem bekannten Wolf MT6, auch „Kurti“ genannt, gewesen. Kurti musste wegen seiner Annäherungen an den Menschen 2016 entnommen werden.
Um den Urheber des Hötzinger Angriffs besser identifizieren zu können, sei es wichtig, so Reding, dass alle Jäger und Menschen in der Region solidarisch zum Monitoring beitrügen. Denn das besondere Problem sei, dass Hötzingen sich im Bereich zweier überlappender Reviere befinde. Der Übergriff könne sowohl dem Munsteraner als auch dem Soltauer Rudel zuzuordnen sein. „Wir brauchen mehr Daten“, so Reding. „Die sind Grundlage für eine mögliche Entnahmeverfügung der Landesregierung, die eine Argumentationsgrundlage für die Maßnahme benötigt“, erläutert Reding. „Ohne Monitoring keine Entnahme“, bringt er die Herausforderung auf den Punkt.
Über Wolfmelde-App kann jeder Beobachter mithelfen
Die Meldungen liefen zurzeit zu 70 bis 80 Prozent über die Wolfsmeldungs-App ein. Die könne sich jeder herunterladen, sich registrieren und Meldungen in Echtzeit durchgeben. Wichtig sind vor allem DNA-Proben etwa aus Losungen (Kot). Die Wolfsberater seien im Zweifel darauf geschult, DNA-Proben richtig zu entnehmen.
Das nächste Problem sieht Reding in der Absicht von Umweltminister Christian Meyer (Grüne) Entnahmeverfügungen öffentlich zu machen. „Es gibt extremistische Wolfsschützer, die das sabotieren — das ist allgemein bekannt.“ Die Veröffentlichung sei kontraproduktiv und „wie die Ankündigung einer Drogenrazzia“, vergleicht Reding.
Für Reding ist es eine Illusion, anzunehmen, der Wolf verschwinde wieder von allein. „Jetzt geht es um die Reduzierung der Schäden auf ein Mindestmaß — und das geht nur über das Monitoring.“