Böller-Flüchtlinge lieben die Lüneburger Heide
In den Pandemiejahren 2020 und 2021 war die Knallerei zu Silvester weitgehend untersagt. Das diente vor allem der Entlastung von Kliniken, hatte aber auch in anderen Bereichen positive Effekte. So gab es nach Berechnungen des Gesamtverbands der Versicherer 80 Prozent weniger Pkw-Brände als in Silvesternächten üblich. Und es wurde etwas für die Luftreinheit getan, denn laut Umweltbundesamt verursacht das Abbrennen von Feuerwerkskörpern jährlich rund 2.050 Tonnen Feinstaub.
Gutes Verkaufsjahr für die Feuerwerksbranche
Der Abgesang mancher Pyrotechnik-Gegner auf das Silvesterfeuerwerk erwies sich dennoch als verfrüht. Weder war die Politik bereit, das Böllerverbot unabhängig von der Corona-Lage zu verlängern, noch ist den Deutschen nach zwei Jahren erzwungener Knaller-Abstinenz die Lust auf Chinaböller, Leuchtraketen und Silvester-Heuler vergangen. Die Feuerwerksindustrie vermeldet einen Silvester-Umsatz wie in den Jahren vor Corona – mindestens. „Nachholeffekte in Teilen der Bevölkerung haben dazu geführt, dass wir in Deutschland ein außerordentlich gutes Verkaufsjahr haben“, teilt ein Sprecher des größten deutschen Feuerwerksherstellers Weco mit.
In manchen Städten eskalierte die Situation. Berichte von angegriffenen Polizisten und Feuerwehrleuten dominierten die Berichterstattung. Im Heidekreis verlief die Silvesternacht glimpflicher, hier hielten kleinere Feuer die ehrenamtlichen Brandschützer auf Trab (BZ vom 2. Januar). Zumindest eine Branche im Heidekreis scheint von der Eskalation der Feierkultur in den Metropolen zu profitieren: der Heide-Tourismus.
Schon jetzt müsse man Quartiere für kommendes Silvester buchen, wird in sozialen Netzwerken unter Hundehaltern verbreitet. Lösen die großstädtischen Böller-Exzesse gerade einen Ansturm auf Silvester-Unterkünfte in der Lüneburger Heide aus? „Nein“, sagt Ulrich von dem Bruch. „Die Nachfrage nach Urlaub über Silvester ist schon seit zehn Jahren extrem hoch, das hat nichts mit der aktuellen Diskussion zu tun“, so der Geschäftsführer der Lüneburger Heide-Touristik.
Träger des Trends seien tatsächlich vor allem Hundehalter, bestätigt der erfahrene Touristiker. „Die kommen in die Lüneburger Heide, weil hier viel weniger geknallt wird als in den Städten.“ Bei Unterkünften, die Haustiere akzeptieren, herrsche Knappheit – viele Plätze würden für Silvester schon zwei Jahre im Voraus gebucht. „Aktuell haben wir für dieses Jahr noch 44 freie Betriebe. Das ist nicht mehr viel. Die Nachfrage ist konstant hoch und wir müssen jedes Jahr Gästen, die sich zu späten melden, absagen.“
Zustimmung zu Böller-Verbot steigt
Derweil diskutiert Deutschland mal wieder über ein allgemeines Böller-Verbot. Anlass dazu bietet die Schreckensbilanz der Silvesternacht mit 18 verletzten Polizeikräften in Berlin und einem toten 17-Jährigen in Leipzig. Die Forderung nach einem Verbot ist populär. War in einer repräsentativen Umfrage der Verbraucherzentrale Brandenburg im vergangenen Oktober bereits eine knappe Mehrheit der Bevölkerung, rund 53 Prozent, dafür, so stieg die Zahl der Verbotsbefürworter unter dem Eindruck der Bilder aus Berlin und anderen Großstädten nochmals deutlich an. In einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstitus You-Gov, durchgeführt im Januar, sprechen sich bereits 61 Prozent der Bundesbürger dafür aus, privates Silvesterfeuerwerk zu untersagen.