Im Wettlauf gegen den Klimawandel

In diesem Waldstück bei Bispingen hat Knut Sierk noch selbst aufgeforstet. Im Schutz der Nadelbäume vor Sonnenbrand wachsen Buchen heran. Fotos: sus

Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit – gegen die fortschreitenden Klimaveränderungen, die sich in zunehmenden Dürren, Hitzewellen, Starkregen und Stürmen in den Schlagzeilen wiederfinden, wie unter anderem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Helmholtz-Klima-Initiative beobachten. Wälder können sich zwar an veränderte klimatische Bedingungen anpassen, doch dazu brauchen sie Zeit. So schnell wie es aber derzeit geht, kommen die Wälder nicht mehr hinterher. Umso mehr rückt der Waldumbau in den Fokus. „Der Waldumbau ist eine Aufgabe, die wir schnell erfüllen müssen. Aber zugleich auch ein Generationenauftrag. Dabei müssen wir in Jahren, Jahrzehnten und Jahrhunderten denken. Gleichzeitig schreitet der Klimawandel rasch voran“, sagt Knut Sierk, regionaler Pressesprecher der Region Nord-Ost-Niedersachsen der Niedersächsischen Landesforsten (NLF). Sie ist vor Ort für die Landeswälder verantwortlich. Im Heidekreis sind die drei Forstämter Oerrel, Sellhorn und Rotenburg zuständig.

Obwohl sie sich seit 30 Jahren im Umbau zu Mischwäldern befinden, sind in den Wäldern Niedersachsens durch die Extremwetter der vergangenen Jahre deutliche Schäden entstanden. „Das große Absterben, wie es jetzt passiert, war nicht vorhersehbar“, sagt Sierk. Wie ernst die Lage ist, zeigen die Waldschadensberichte und die Ende März gestartete Kampagne des Landes „Forst-Aid – Erste Hilfe für den Wald“. „Die jährlichen Waldzustandsberichte für Niedersachsen weisen in der zeitlichen Entwicklung auf die zunehmenden Schad- und Absterbeprozesse bei den Baumarten hin. Exemplarisch steht die Buche also als Symbol dafür, dass dem Wald in Niedersachsen geholfen werden muss“, sagt Dr. Thomas Böckmann, Chef der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt, zum Start der Kampagne.

Die Folgen sind auch in den Wäldern des Heidekreises sichtbar, viele entwurzelte Bäume liegen seit den Stürmen im Fe-bruar noch immer auf und neben einigen Wanderwegen. Auch bestand im diesjährigen März bereits hohe Waldbrandgefahr. „Aufgrund der zunehmenden Wetterextreme werden die Bäume immer anfälliger, verfügen auch andere Baumarten als die Fichte über weniger Abwehrkräfte gegenüber Insekten“, berichtet Sierk. Bis Juni müssen die Sturmschäden aufgearbeitet sein, dann beginne der Schwärmflug der neuen Generation Borkenkäfer.

Die Sturmserie im Februar war nur eines in einer Folge von Extremwetterereignissen, die den Wäldern zusetzten und den Waldumbau vor Herausforderungen stellten. „Der Start des Dramas nahm mit den Stürmen im Herbst und Frühjahr seit 2017 seinen Lauf“, sagt Sierk. Zuvor war der Boden so stark durchweicht, dass die Bäume bei den Windböen keinen Halt hatten. Ab 2018 folgten dann Dürrejahre, in denen innerhalb kürzester Zeit der Boden so stark austrocknete, dass alte Bäume geschwächt wurden und damit ihre Anfälligkeit für Sekundärschäden durch Pilze und Insekten anstieg. Besonders nach Stürmen bieten die umgestürzten Bäume bis zum Sommer eine Brutstätte für Borkenkäfer und andere Schädlinge, die sich ungebremst verbreiten können. Gerade im Harz betrifft dies große Flächen, im Heidekreis sind nach Angaben der NLF nur kleinere Flächen betroffen. „Wir hatten Ängste vor ähnlichen Problemen wie im Harz“, so Sierk.

Ein Drittel der Fläche im Heidekreis besteht aus Wald

Ein Drittel der Landesfläche Deutschlands ebenso wie der Kreisfläche im Heidekreis sind mit Wald bedeckt. Die häufigsten Baumarten in Deutschland in den meist gemischten Wäldern sind die Nadelbäume Fichte (25 Prozent) und Kiefer (23 Prozent), gefolgt von den Laubbäumen Buche (16 Prozent) und Eiche (19 Prozent). Auch vor Ort sind sind vor allem Nadelhölzer wie die Kiefer vorherrschend.

Seit 1991 bildet das Landesprogramm Löwe (Langfristige ökologische Waldentwicklung), das die NLF bis 2017 aus eigenen Mitteln finanzieren konnten, die Grundlage für den Umbau der Landeswälder von homogenen Nadel- zu vielfältigen Mischwäldern, berichtet Sierk. Es setzt zudem wichtige Grundsätze, wie die Wälder bewirtschaftet werden dürfen, und Standards zur Aufforstung wie standortgemäße Baumartenwahl und Bodenschutz. „Der Boden ist das höchste Gut, mit dem wir sensibel und mit Fingerspitzengefühl umgehen. Er ist die Grundlage, um die Wälder umzubauen.“

Die Baumartenwahl in den NLF wird immer wieder an die Klimaveränderungen angepasst: an den Anstieg der Durchschnittstemperatur und zunehmende Dürreperioden. Aufgrund längerer Vegetationszeiten – der Beginn hat sich von April auf März und das Ende von Oktober auf November verschoben – füllt sich der Bodenwasserspeicher nicht mehr vollständig. Danach richten sich die Kriterien für die Auswahl der Bäume für den jeweiligen Standort. Die Fichte ist der Verlierer des Klimawandels, aber auch die Buche als „Mutter des Waldes“ leidet, ihre Anpassungsfähigkeit sei durch den schnellen Wandel kaum zu leisten, so Sierk. Bis auf Douglasie und Japanische Lärche setzen die NLF vor Ort auf einheimische Arten, die auch Früh- und Spätfrösten trotzen können, da sie in das ökologische System eingebunden sind. Für die Integration fremdländischer Baumarten setzt Löwe strenge Kriterien. Weitere Informationen können hier eingesehen werden: https://www.ml.niedersachsen.de/startseite/themen/wald_holz_jagd/walder_fur_niedersachsen/regierungsprogramm-loewe-4756.html.

Mit einer Vielfalt an Baum-arten, die einen gesunden Mischwald bilden, wird das Risiko für Schäden gestreut. Dann können einzelne Schäden natürlich ausgeglichen werden, das Waldklima bleibt erhalten und kann sich aus sich selbst heraus erneuern. „Im Moment reagieren wir auf die Situation.“ Vordringlich gehe es daher darum, „aus Wald wieder Wald zu machen und ihn zu stabilisieren“. Dabei gehen die NLF vom Standort aus. Das Ziel sind Mischwälder und dass die Baum-art am Standort alt werden kann. Dazu können auch Umwege mit Fichten und Lärchen auf Freiflächen dienen, im zweiten Schwung können in deren Schutz die Mischwälder eingebracht werden. Das ist in den Wäldern vor Ort nicht notwendig. „Wir haben großes Glück, keine vielen Freiflächen zu haben. Das bietet waldbaulich viele Freiheiten“, sagt Sierk. So wurde die Buche bereits unter dem Schutzdach vor Sonnenbrand durch Fichtenbewaldung in Wälder eingebracht. Eichen bieten für kleinere Sturm- oder Borkenkäferflächen eine Chance. Von 150 000 Bäumen in der letzten Pflanzsaison waren 10 Prozent Nadelbäume.

Löwe-Waldumbau bewährt sich, kaum Schäden

Auffällig sei, so Antje Oldenburg vom Naturschutzbund Heidekreis, dass einige Waldgebiete, die von den NLF seit langem nach den Grundsätzen des Löwe gepflegt und bewirtschaftet werden, sich inzwischen zu struktur- und artenreichen Mischwäldern entwickelt haben, die kaum Schäden durch Hitze, Trockenheit, Borkenkäferbefall oder Stürme aufweisen. So spreche vieles dafür, dass sich die in dem Programm verankerten 13 Grund-sätze der ökologischen Waldentwicklung bewährt haben und weiterhin bewähren werden.

Der Waldumbau ist zwar ein wichtiges Puzzleteil, um den Wald für den Klimawandel fit zu machen. Doch ein Allheilmittel ist er nicht. Die Wälder zu schützen, indem wir den Klimawandel verlangsamen, die Rahmenbedingungen verbessern und für die Wälder Zeit gewinnen, sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, so Sierk. Dazu sei auch ein geringerer CO2-Ausstoß, weniger Energieverbrauch und der Ausbau regenerativer Energie notwendig. „Als Förster habe ich die Hoffnung, etwas für den Wald zu leisten und nicht erleben zu müssen, dass der Waldumbau an seine Grenzen kommt.“ Im Moment sei waldbaulich noch viel machbar, wenn auch weniger als noch vor zehn, zwanzig Jahren.

Es ist also auch ein Wettlauf gegen uns selbst. Das verdeutlicht der im Februar erschienene Teilbericht des Weltklimarats (IPCC) mit seinem Appell, dass Klimaziele und Maßnahmen dringend nachgebessert werden müssen, um eine Erderwärmung mit desaströsen Folgen zu vermeiden.

Der Ausbau von Sonnenenergie und Windkraft sowie weniger Waldzerstörung werden hier als die Königswege im Kampf gegen die Klimakrise bezeichnet. Dem sei nicht zu widersprechen, so der Verein Klimaschutz Heidekreis. „Ein möglichst rascher Ausstieg aus fossilen Energieträgern, das muss das Ziel der Menschheit sein. Es ist die wichtigste Grundbedingung zur Bewältigung der Klimaerhitzung“, schreibt Vereinsvorsitzender Wilfried Stegmann. Um Wälder besser zu schützen, müsse aber auch dafür gesorgt werden, dass sich der Grundwasserstand, von dem sich Bäume mit ihren Wurzeln teilweise speisen, nicht immer weiter absenkt. Daher sollten natürliche Wasserkreisläufe erhalten werden: Es dürfe keinesfalls mehr Wasser entnommen werden als von oben nachsickert. Das sei auch eine Frage der Reduktion des Wasserverbrauchs und der Verbesserung des Wasserrecyclings. Zudem sei es nach Einschätzung des Nabu wichtig, dass nicht weitere Wälder für Bauvorhaben wie Neubau- oder Gewerbegebiete und Infrastrukturprojekte weichen müssen, „da dem Schutz bestehender und der Wiederherstellung verschwundener Waldökosysteme eine besondere Bedeutung im Kampf gegen die Klima- und Artenkrise zukommt“. Er spricht sich daher auch für einen weitgehenden Ausschluss der Windkraft im Wald aus.

Die Grenzen der Kulturlandschaften Heide und Wald werden weder durch die NLF noch durch den Verein Naturschutzpark Lüneburger Heide (VNP) in Frage gestellt. Für den Erhalt der Biodiversität sind beide Ökosysteme gleichermaßen wichtig, so Sierk, sind miteinander verknüpft und wertvoll für viele Arten.

60000 Hektar Wald sind in Niedersachsen geschädigt

In Niedersachsen sind rund 60000 Hektar Wald geschädigt. Zum internationalen Tag des Waldes, am 21. März, begann die landesweite Kampagne „Forst Aid - Erste Hilfe für den Wald“. Das Landwirtschaftsministerium Niedersachsen trägt die Kampagne gemeinsam mit den Kooperationspartnern Niedersächsische Landesforsten (NLF) und Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt (NW-FVA). Einbezogen werden sämtliche Akteure, die sich für den Wald engagieren, ob auf kommunaler und kirchlicher Ebene oder im Privatwald.

Interessenten können sich über die Internetseite www.forst-aid.de informieren. Dort werden ab April auch Aktionen und Veranstaltungen rund um das Thema angeboten. Die Waldkampagne läuft bis Ende des Jahres.

Die NW-FVA ist eine Einrichtung für Waldforschung in Göttingen. Ihre Waldzustandserhebungen bieten seit 1984 repräsentative Daten zur Vitalität der Waldbäume.

Wesentlich beeinflusst wird der Waldzustand vor allem durch Luftschadstoffe, unerwünschte Anreicherung der Böden mit Stickstoff, natürliche Einflüsse wie Trockenstress oder ausgeprägte Fruchtbildung, Insekten wie Borkenkäfer oder blattfressende Schmetterlingsraupen, krankheitserregende Pilze und die Veränderung des Klimas.

Die NLF sind der größte Waldeigentümer des Bundeslands mit 335 000 Hektar Landeswald. Dazu gehören in der Region folgende Forstämter: Forstamt Sellhorn mit 13 000 Hektar Landeswald, plus 520 Hektar Genossenschaftswälder in den Landkreisen Heidekreis, Lüneburg und Harburg; Forstamt Oerrel mit 15 189 Hektar Landeswald, plus 203 Hektar Kommunalwald der Stadt Munster – verteilt in den fünf Landkreisen Heidekreis, Uelzen, Celle, Lüneburg, Lüchow-Dannenberg; Forstamt Rotenburg mit 10 600 Hektar Landeswald plus 2100 Hektar Genossenschaftswald in den Landkreisen Rotenburg, Heidekreis, Verden und Nienburg.