SPD-Kandidatenkür im Autokino
Das Hupen der Autos tönt weit über die Wiese des Forellenhofs im Walsroder Stadtteil Hünzingen hinaus. Mit roten Ballons geschmückt, stehen die Fahrzeuge in Reih und Glied vor der Bühne, von welcher aus Lars Klingbeil zu den Genossinnen und Genossen spricht, die hinter den Lenkrädern sitzen. Damit alle ihn hören, wird das Mikrofon-Signal via „Radio Klingbeil“ drahtlos in die Autoradios übertragen.
83 Stimmen für den Direktkandidaten
Dass eine Wahlkreiskonferenz zum Schutz vor Corona wie am Sonnabend geschehen in Form einer Autokino-Veranstaltung stattfindet, ist auch für Klingbeil ein Novum. Groß ist die Freude des 43-Jährigen, als die SPD-Mitglieder im Bundestagswahlkreis Rotenburg I – Heidekreis ihn mit 100 Prozent der 83 abgegebenen Stimmen zu ihrem Direktkandidaten für die Bundestagswahl wählen.
Das Pkw-Thermometer zeigt eisige zwei Grad an. Wer aufs Grundstück fährt, bekommt ein Lunchpaket mit Getränken und Snacks durchs Seitenfenster gereicht. Ordner mit gelben Sicherheitswesten weisen die Autos ein und wer eingeparkt hat, sucht am Radio die Frequenz 92,8 Megahertz. Kaum eingestellt, tönen Rocksongs wie „Smoke on the Water“ von Deep Purple oder „Under Pressure“ von Queen aus den Lautsprecherboxen. Bis zum Veranstaltungsbeginn um 12 Uhr ist „Radio Klingbeil“ ein Musiksender, danach ein Wortprogramm – mit eingespielten Grußworten von SPD-Größen wie Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil oder Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder. Und natürlich mit der Rede von Lars Klingbeil, in welcher dieser live von der Bühne aus um das Mandat der Genossinnen und Genossen wirbt.
Millionen für die Region
Millionen habe man in die Region geholt, für das Schwimmbad in Schwarmstedt, die Stadthalle in Walsrode, die Stadtbücherei Munster, die beiden Krankenhäuser im Heidekreis und das Krankenhaus in Rotenburg, es habe Investitionen in die Bundeswehr-Standorte gegeben, Breitband- und Mobilfunkausbau gingen voran – wobei das alles nicht Werk eines Einzelnen sei, sondern das Ergebnis guter Zusammenarbeit vor Ort in der Region, so Klingbeil. „Arbeiten, damit unsere Heimat stark bleibt“
„Arbeiten, damit unsere Heimat stark bleibt“
Der 43-Jährige nennt seine Ziele für die kommende Zeit: „Ich will mit euch wieder das Direktmandat holen und jeden Tag hart arbeiten, damit unsere Heimat stark bleibt.“ In den nächsten zehn Jahre werde sich entscheiden, „ob unsere Region abgehängt wird oder ob wir vorne mit dabei sind.“ In punkto Digitalisierung müsse weiter aufgeholt werden, denn „50 MBit reichen nicht, wir brauchen die Gigabit-Gesellschaft.“ Es bedürfe der „besten Schulen in unserer Region, damit die bestmögliche Berufsausbildung stattfinden kann.“ Mehr noch: „Wir brauchen Macher an der Spitze von Kreisverwaltungen, Bürgermeisterämtern, im Bundestag und im Landtag. Wir brauchen Leute, die erkennen, dass es jetzt zum Beispiel darauf ankommt, dass wir Wasserstoffregion sein müssen und dass das viele neue Arbeitsplätze schaffen kann.“ Klingbeils Ehrgeiz ist groß: „Ich will alles dafür tun, dass wir in der Champions League spielen“, sagt er. Und auch: „Es geht mir darum, die Wirtschaftskraft zu stärken und gleichzeitig unser Klima und unsere Natur zu schützen.“
Auch auf die Corona-Pandemie geht Klingbeil ein: Unzählige Bürger hätten sich an ihn gewandt und ihm ihre Probleme geschildert. Er lobt die Solidarität der Menschen, zollt den Hilfsdiensten Respekt, die innerhalb kürzester Zeit das Impfzentrum aufgebaut hätten. Jedoch: „Es fehlte was – der Impfstoff.“
Kritik an Jens Spahn
Wie bereits um den Jahreswechsel herum, so kritisiert Klingbeil auch heute Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU): Dass es im Land zu wenig Impfstoff gebe, „das liegt nicht an Europa. Nein, das liegt daran, dass Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin und unser Bundesgesundheitsminister das Impfen zu schlecht vorbereitet haben.“ Klingbeils Forderung: „Ich erwarte, dass Jens Spahn jetzt alle an einen Tisch holt, die Feuerwehren, das THW, die Bundeswehr. Joe Biden in den USA zeigt gerade, dass es geht.“
Klingbeil nennt Masken-Affäre der CDU schäbiges Verhalten
Auch die Masken-Affäre in der Union thematisiert Klingbeil: „Was mir niemals in den Kopf kam, war der Gedanke, wie ich mich als Abgeordneter persönlich in einer solchen Situation bereichern kann. Was wir da seit Wochen aus der Union erleben – und ich bin mittlerweile soweit, dass man gar nicht mehr von Einzelfällen reden kann –, ist ein schäbiges Verhalten, das mich schockiert. Solche Menschen müssen raus aus dem Parlament, und zwar unverzüglich.“ Klingbeil fordert Gesetze: „Ich möchte, dass jeder Abgeordnete auf den Cent genau erklärt, welche Nebeneinkünfte er hat. Ich möchte, dass Abgeordnete Firmenbeteiligungen und Aktienoptionen offenlegen. Und ich möchte, dass wir als Abgeordnete – was wir in der SPD eh schon nicht machen – Spenden nicht entgegennehmen dürfen.“
Nerv getroffen
Lars Klingbeils kraftvolle Rede trifft den Nerv der Genossinnen und Genossen in den Autos. Immer wieder hupen sie ihm zu oder blinken mit dem Fernlicht. Am Ende reichen sie ihre Stimmzettel durch den Fensterspalt. Das Auszählen geht schnell, das Ergebnis übertrifft Klingbeils eigene Erwartungen: „Ich kann das grad gar nicht glauben, dass es 100 Prozent sind“, sagt er und ergänzt, er habe erst neulich gesagt, er würde sich „wahnsinnig freuen, wenn’s ein Ergebnis über 95 Prozent ist.“
Bereits im November vergangenen Jahres hatten die SPD-Vorstände im Heidekreis und im Landkreis Rotenburg Lars Klingbeil einstimmig als ihren Kandidaten für die Bundestagswahl vorgeschlagen. Nach der Wahl der Mitglieder am Sonnabend in Hünzingen ist Klingbeil nun offizieller Direktkandidat für die SPD.