Alpha-E-Bahnlinie: Kein Ausbau gegen die Menschen fordert BI Unsynn
Soltau. Was die stärkere Frequenz auf einer Bahnstrecke bedeuten kann, das hat Stephan Müller direkt vor Augen. In seinem Wohnort Bispingen hat der Güterverkehr auf der OHE-Strecke stark zugenommen, seitdem das Containerterminal in Harber bei Soltau ausgebaut, aber auch die Strecke selbst teilweise saniert worden ist.
Müller ist gemeinsam mit Jörg Eggers einer, der sich in der hiesigen Bürgerinitiative Unsynn gegen die Y-Trasse, also den Bau neuer Bahntrassen stark gemacht hat und sich jetzt für die intelligente Nutzung vorhandener Schienenwege einsetzt. Mit Argusaugen achtet Unsynn darauf, dass die Ergebnisse des Dialogforums Schiene-Nord eingehalten und nicht aufgeweicht werden. Dazu gehört der Lärmschutz, der beim Ausbau der Amerikalinie über dem eigentlich gesetzlich vorgeschriebenen liegen soll. Auf der Strecke sollen einmal Züge von mehr als einem Kilometer Länge und in einem engen zeitlichen Takt fahren.
Eisenbahn-Bundesamt hatte lange Bauzeit befürchtet
Sorge nämlich bereitet ihnen eine Entwicklung an anderer Stelle: Beim Ausbau der Bahnstrecke Hamburg – Puttgarden, der sogenannten Fehmarnbeltquerung, ist ebenfalls ein Schutz vor Lärm und Erschütterung über die gesetzlichen Vorgaben hinaus im Zuge eines Dialogforums vereinbart worden, der Bundestag hat dem Anfang auch Juli zugestimmt. Allerdings hatte noch im Juni das Eisenbahn-Bundesamt erklärt, dass die erheblichen Mehrkosten durch den höheren Lärmschutz zu einem geringeren Kosten-Nutzen-Verhältnis und einer längeren Bauzeit führen würde. Deshalb hatte das EBA die zusätzlichen Forderungen zur Fehmarnbeltquerung nicht zur Umsetzung empfohlen.
Auch für die Amerikalinie müsste der zusätzliche Lärmschutz vom Bundestag extra beschlossen werden. „Der Ausbau kann nicht gegen die Menschen umgesetzt werden“, sagt Müller. Letztlich sei der zusätzliche Lärmschutz auch Gesundheitsschutz, der sich nicht mit Geld beziffern lasse. Die Mandatsträger, so Müller, müssten unabhängig vom Eisenbahn-Bundesamt entscheiden, zudem dürften die übergesetzlichen Maßnahmen gar nicht in eine Kosten-Nutzen-Analyse eingerechnet werden. Wenn man am Bodensee seine Turnschuhe über den Hamburger Hafen beziehen will, dann müssten die Bedingungen der Region, durch die die Ware transportiert wird, gelten, sagt Eggers. Der Bundestag müsse die Verantwortung übernehmen. Dass die A7 einen Deckel erhalte, sei sicher auch übergesetzlicher Lärmschutz. Dort wie auch bei der Bahn müsse es darum gehen, Lärm zu vermeiden, die Gesundheit zu schützen und nicht an falscher Stelle zu sparen: Eine Eisenbahn plane man nicht für 20, sondern für 100 Jahre – und dann richtig.
Mit der aktuellen Entwicklung sind die Unsynn-Vertreter zumindest ansatzweise zufrieden. Im Gegensatz zum vorherigen Bundesverkehrswegeplan, in der der Ausbau der Amerikalinie schon enthalten war, tue sich in Sachen Alpha-E schon etwas bei den Planungen. Müller und Eggers wünschen sich dafür zwar mehr Beteiligung der Bürger, aber auch von deren Seiten mehr Engagement. Da passiere wenig, hinterher könnte das Geschrei groß sein, fürchten sie.
MdB Kindler fordert ein Zugehen auf Bürger
Positiv sei, dass mit der Änderung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes, ebenfalls auf Initiative des Dialogforums, die Städte beim Umbau der Bahnkreuzungen erheblich entlastet würden. Das betrifft in Soltau den Umbau der höhengleichen Bahnübergänge an der Celler und der Walsroder Straße, in Munster die Soltauer (B71) und Breloher Straße sowie den Rehrhofer Weg. Auf Anfrage des Bundestagsabgeordneten Sven-Christan Kinlder (Grüne) hatte die Bundesregierung erklärt, dass Soltau, Munster und Visselhövede gegenüber der Deutschen Bahn Gesprächsbedarf bezüglich mehrerer Bahnübergänge geäußert hätten. „Sobald Planungserkenntnisse vorliegen, will die DB AG mit den Städten in Verbindung treten“, so Verkehrsstaatssekretär Steffen Bilger (CDU). Kindler hatte gegenüber dem Weser-Kurier gefordert, dass es vielmehr umgekehrt sein müsse: „Die Deutsche Bahn sollte schon jetzt aktiv auf alle anliegenden Kommunen zugehen. Jetzt und nicht erst, wenn alles fertig geplant wurde, ist der richtige Zeitpunkt.“ Die ungelöste Frage der Bahnübergänge treibe die Menschen um, so zitiert der Weser-Kurier Kindler, der zudem darauf verweist, dass eine frühe Mitsprache nicht nur das Projekt beschleunige, sondern auch Akzeptanz vor Ort schaffe.
Das unterstreichen auch Müller und Eggers von Unsynn. „Wir brauchen eine vernünftige Lösung für die Städte.“ Auch mit den Landwirten müsse über die kleinen Bahnübergänge gesprochen werden. Wenn von den 58 Übergängen auf der fast 100 Kilometer langen Strecke zwischen Langwedel und Uelzen eine Vielzahl geschlossen werde, könnten manche erheblich längere Wege zu ihren Äckern haben. Erste Gespräche mit Ortsvorstehern fänden aber bereits statt, sagen die Unsynn-Vertreter. Sie gehen davon aus, dass nicht nur die Frage der Bahnübergänge schwierig wird, sondern es zudem hinsichtlich des Naturschutzes entlang der 100 Jahre alten Bahnstrecke heikle Punkte geben werde. Die Eingleisigkeit bestehe seit 20 Jahren, da hätten sich etliche Biotope entwickelt.
Überholgleise möglichst in unbewohnten Bereichen
In dem Zuge raten die Unsynn-Sprecher den Kommunen dazu, sich mit dem Thema der Überholgleise auseinanderzusetzen. Dort sollen sich die Züge begegnen oder auch überholen können. Dabei könnte es laut werden, weil die Züge bremsten und anführen. „Das bietet sich daher in unbewohntem Gebiet an.“ Da diese Wartegleise mindestens einen Güterzug mit mehreren hundert Metern Länge aufnehmen müssen, müssten sie entsprechend lang, möglicherweise bis zu zwei Kilometer, gebaut werden. Positiv sieht Unsynn die Resolution für den weiteren Ausbau der Heidebahn zwischen Hannover und Hamburg für den Personnahverkehr. Dafür sei die Verbindung exzellent, „ein echter Gewinn“. Wenn aber darauf auch der Güterverkehr rauschen solle, „sind wir dagegen“, zumal die Heidebahn, wie der Name schon nahelege, durch touristische Regionen fahre.
Ob insgesamt nach der Coronakrise Geld für den Bahnausbau vorhanden sei, da sind sich die Unsynn-Vertreter nicht sicher. In Kürze ist es schon fünf Jahre her, dass sich das Dialogforum Schiene-Nord auf das Alpha-E geeinigt hat.
Gedruckt in der Böhme-Zeitung vom 3.8.2020