Protest wird mit Naturschutz bestraft

Naturschutz auf einer nicht besonders schützenswerten Grünlandfläche. Alfred Dannenberg war Speerspitze des Protests gegen die scharfe Variante der Unterschutzstellung des Aller-Leine-Tals, jetzt hat der Landkreis nur ihm mitten auf die Fläche ein N…

Naturschutz auf einer nicht besonders schützenswerten Grünlandfläche. Alfred Dannenberg war Speerspitze des Protests gegen die scharfe Variante der Unterschutzstellung des Aller-Leine-Tals, jetzt hat der Landkreis nur ihm mitten auf die Fläche ein Naturschutzgebiet gesetzt, wo Flutrasen vermutet wird, und dabei gleich gegen mehrere Regeln verstoßen. Foto: bk

Heidekreis. Die von der Europäischen Union geforderte Schutzverordnung für das Flora-Fauna-Habitat (FFH) Aller-Leine-Tal ist vom Kreistag beschlossen. Das Jahre währende Verfahren ist abgeschlossen, wer sich jetzt noch benachteiligt fühlt, der wird auf den Rechtsweg verwiesen, muss also klagen. Die Untere Naturschutzbehörde (UNB) hat ein hartes Ringen mit der Bevölkerung hinter sich gebracht. Das ist nun abgeschlossen, es wird emotionslos weitergearbeitet, weil Verwaltung das eben so macht, sie nur nach Recht und Gesetz zu handeln hat. So einfach könnte man das Unterschutzstellungsverfahren sehen. Ein Blick auf Details indessen zeigt, dass Behörden sehr wohl zum „Nachtreten“ befähigt sind, wie es gleich mehrere Landwirte an der Aller gegenüber der Böhme-Zeitung nennen.

Hintergrund ist die wiederholte Zusage von Landrat Manfred Ostermann, dass Landwirte, die über lange Jahre Vertragsnaturschutz betrieben haben, ihr Recht auf Rückumwandlung nach Paragraf 30 des Bundesnaturschutzgesetzes und die damit verbundene Rückkehr zur Intensivbewirtschaftung geltend machen können. Zuletzt hat die Verwaltung das auf der Kreistagssitzung vom Juni vor der Öffentlichkeit verkündet – und macht trotzdem eine Ausnahme. Auf dem Grünland der Bierder Familie Dannenberg am nördlichen Allerufer befindet sich eine dünne Senke, die zuletzt als Flutrasen kartiert und als Naturschutzgebiet (NSG) ausgewiesen worden ist. Die Fläche wird seit dem Jahr 2000, also seit 20 Jahren, nur extensiv bewirtschaftet, weil die Dannenbergs sich auf Vertragsnaturschutz eingelassen haben. Alfred Dannenberg hat die Beseitigung des mit 900 Quadratmeter kleinen NSG und sein Recht auf Rückumwandlung eingefordert. Ohne Erfolg.

Doch noch einmal zurück zur Kreistagssitzung vom Juni. Da hatte Landrat Ostermann den Einwand des Kreistagsmitglieds Dietrich Wiedemann, ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom vergangenen März stelle das Recht auf Rückumwandlung von Vertragsnaturschutzflächen in intensiv bewirtschaftete Flächen generell infrage, mit geharnichten Worten zurückgewiesen: „Man muss schon dreimal interpretieren und viermal lesen, um auf diesen Gedanken zu kommen.“ Ostermann stellte final noch einmal fest, an dem Recht auf Rückumwandlung werde nicht gerüttelt.

Auf die Frage der Böhme-Zeitung, auf welcher Rechtsgrundlage im Falle der Dannenbergschen Fläche gegen eine Rückumwandelbarkeit entschieden werde, antwortete die Kreisverwaltung schriftlich:

„Im Sicherungsverfahren besteht kein Rechtsanspruch auf Rückumwandlung (vergleiche OVG Lüneburg 4 KN 390/17)“,

und berief sich damit auf exakt das Urteil, dessen Bedeutung der Landrat in der entscheidenden Sitzung noch harsch zurückgewiesen hatte. Das Urteil, gegen das eine Revisionszulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingelegt worden ist, ist nicht rechtskräftig.

„Ja, was denn nun? Die Behörde spielt hier massiv mit dem Vertrauen“, springt der Eickeloher Biolandwirt Johannes Blanke der Bierder Familie bei. „Wir brauchen einen Maßstab, an dem alle gleich behandelt werden.“ Er kenne auf Anhieb 15 Flächen des Biotoptyps „sonstiger Flutrasen“, die nicht mit Naturschutz belegt worden sind. Und: „Ich kenne keinen vergleichbaren Fall.“ Die Böhme-Zeitung hat zur Zahl der vergleichbaren Fälle beim Landkreis nachgefragt, von der Behörde allerdings nur die ausweichende Antwort erhalten, dass „alle Einwendungen gleich behandelt“ worden seien. Eine offensichtlich Falschaussage, wie ein Blick auf die Kartierungen in der Gebietskulisse und den platzierten Naturschutzgebieten zeigt.

Lag es an der Besonderheit der Fläche, an den dort wachsenden Arten? Auskunft über die Lebensraumtypen, die im gemeinschaftlichen Interesse „als Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen“, erteilt der sogenannte Anhang I der FFH-Richtlinie der EU. Das Biotop „sonstiger Flutrasen“ kommt in dem Anhang nicht vor, er gilt damit nach EU-Recht sowieso als nicht besonders schützenswert. Dass Flutrasen-Biotope im Aller-Leine-Tal – mit einer Ausnahme – nicht mit Naturschutz belegt worden sind, ist insoweit sogar nachvollziehbar.

BZ hat Flutrasenflächen verglichen

Was aber macht den Dannenbergschen Flutrasen so besonders? Die BZ hat sich das Flurstück vor Ort angesehen und auch vergleichbare Flächen abgeschritten, die anders behandelt worden sind. Das umstrittene Biotop der Dannenbergs ist Teil einer großen Grünlandfläche, die sich nördlich der Aller erstreckt. Das regelmässig von der Aller überspülte Grünland hat Profil. Leichte Erhebungen und kleinere Senken wechseln sich ab. Beim Durchschreiten der Fläche springen unzählige kleine Heuschrecken auf, ansonsten sind keine Insekten auszumachen. Das Gras wächst in einer Höhe von knapp 20 Zentimetern. Aber nicht sehr dicht, der Boden ist deutlich auszumachen. Vereinzelt wachsen hier Löwenzahn, selten Ampfer sowie dicht am Boden Pfenningkraut und auch kriechendes Fingerkraut. Tatsächlich ist hier nichts, was die Senke von allen anderen Senken auf derselben Fläche unterscheidet.

„Wenn die Flut zurückgeht, dann bleibt hier das Wasser natürlich etwas länger stehen“, berichtet Dannenberg vor Ort. „Aber nur für wenige Tage, denn unterhalb der Grasnarbe ist Kies“, verweist Dannenberg auf die Durchlässigkeit der Bodenschichten. In dem als Flutrasen kartierten Bereich könnte in der Theorie, bei hoher Feuchtigkeit auch Schilfarten auszumachen sein. Doch hier ist der Boden trocken, von Schilf oder gar Röhrichtbildung ist nichts zu sehen.

Ganz anders sieht es auf einer ebenfalls als Flutrasenfläche kartierten Fläche am sogenannten gelben Winkel südlich der Aller bei Hademstorf aus. Direkt hinter dem Deich an einem Altarm des Flusses befindet sich eine größere extensiv bewirtschaftete Grünlandfläche. Auch hier sind leichte Senken, knapp 15 Zentimeter tiefer als das umliegende Grünland, auszumachen. Die Fläche liegt insgesamt aber tiefer als die Dannenbergsche im Norden des Flusses. Tatsächlich ist der Ansatz von schilfartigem Wuchs erkennbar. Hier wächst Gras der Sorte Knick-Fuchsschwanz, eine Grasart, die Staunässe anzeigt. Die Fläche ist als Flutrasen erkennbar – anhand von Höhenniveau und Lage der Fläche dürfte das auch schon seit ewigen Zeiten so gewesen sein. „Selbst wenn man hier einmal brutal Dünger drauffahren und alles totspritzen würde, was hier ist, würde man nach drei, vier Jahren genau dasselbe Erscheinungsbild wiederfinden“, erklärt Blanke. Der hier erkennbare Flutrasen ist zudem deutlich größer im Vergleich zu der umstrittenen Fläche bei Bierde. „Das Areal ist von der Lage, den vorhandenen Arten und auch der Größe her klar höherwertig“, weiß Biolandwirt Blanke. „Hier wurde seit Langem Vertragsnaturschutz betrieben, die Rück-umwandelbarkeit ist auf dieser Fläche akzeptiert.“ Nicht so zugunsten des Dannebergschen Flutrasens. Landrat Ostermann beruft sich in einer der Redaktion vorliegenden Mail vom 25. Juni – also einen Tag vor der Kreistagssitzung – darauf, dass ausweislich einer Luftbildaufnahme von 1989 der Flutrasen als solcher erkennbar sei. Der Vertragsnaturschutz soll demnach nicht ursächlich gewesen sein für die Bildung des Biotops, so die Behauptung des Landrats.

Im Falle Dannenberg werden Maßstäbe verschoben

Die Argumentation des Verwaltungschefs geht allerdings ins Leere. Zum einen ist das der Redaktion ebenfalls vorliegende Infrarotbild nicht aussagekräftig. Vor allem aber hat sich der Kreis stets auf Kartierungsregeln nach dem Biologen Olaf von Drachenfels berufen, die eine sichere Bestimmung des Biotops nur durch eine Vor-Ort-Begehung erlauben. Genau diese Begehung erfolgte allerdings frühestens 2003, also drei Jahre nach Beginn des Vertragsnaturschutzes. Es gibt also keine valide Kartierung und Biotop-Feststellung aus der Zeit vor dem Vertragsnaturschutz. Dennoch beruft sich der Kreis in diesem einen Fall auf ein altes Luftbild, will diesen einen Flutrasen schützen, lehnt in diesem konkreten Fall das Rückumwandlungsrecht ab.

Jurist rügt Verletzung des Gleichbehandlungsprinzips

„Was der Kreis da auf Basis eines Luftbildes macht, ist schon gefällig“, findet der Potsdamer Experte für Naturschutzrecht Dr. Helmar Hentschke. Der Rechtsanwalt verfolgt das Verfahren bereits seit Längerem. „Entweder sind alle Flutrasen unter Naturschutz oder unter Landschaftsschutz zu stellen“, sieht er den Gleichbehandlungsgrundsatz massiv verletzt.

Weshalb die Kreisverwaltung sich hartnäckig weigert, die kleine Fläche auf der Dannenbergschen Liegenschaft aus dem NSG zu entlassen – dafür haben Blanke und auch Dannenberg selbst nur eine Erklärung. „Das ist ein absolutes Unding, nicht vertrauensfördernd, sondern ein Nachtreten der Behörde“, so Blanke. Die nördlich der Aller ansässige Bierder Familie trat auf allen Umweltausschuss- und Kreistagssitzungen auf, die sich mit der Unterschutzstellung befassten. Mehr noch: Alfred Dannenberg junior ist bestens vernetzt und vereinigt gleich mehrere Funktionen auf seine Person. Er ist Vorsitzender des Ahldener Sportanglervereins, Jäger, Forstwirt und Vorsitzender des Vereins Kulturlandpflege. Allein die letzte Funktion hat es in sich, denn der Verein Kulturlandpflege, dessen Gründung als Interessenverband ohne das ambitionierte Unterschutzstellungsverfahren nicht erfolgt wäre, umfasst in seiner Mitgliedschaft rund die Hälfte aller von der Unterschutzstellung betroffenen Flächen. Dannenberg ist damit gewissermaßen eine der Speerspitzen gegen das von der UNB ursprünglich angestrebte großflächige Naturschutzgebiet.

Der Eickeloher Biolandwirt Johannes Blanke weist auf eine von mindestens 15 Flutrasenfläche entlang der Aller, die alle nicht mit Naturschutz versehen worden sind. Nach seiner Sicht hält sich die Kreisverwaltung im Falle Alfred Dannenbergs nicht an …

Der Eickeloher Biolandwirt Johannes Blanke weist auf eine von mindestens 15 Flutrasenfläche entlang der Aller, die alle nicht mit Naturschutz versehen worden sind. Nach seiner Sicht hält sich die Kreisverwaltung im Falle Alfred Dannenbergs nicht an die eigenen Maßstäbe und trete gegen den Protestbürger nach.

KOMMENTAR

Von Bernhard Knapstein

Wertloses Wort des Landrats

Es ist kaum zu begreifen, mit wieviel Verve der Landkreis ein aus EU-Sicht nicht schützenswertes Biotop unter Naturschutz stellt und dabei kreativ – aber auch offensichtlich – gegen alle Regeln verstößt.

Kartierungsregeln außer Kraft gesetzt, Gleichbehandlungsprinzip über Bord geworfen, Verhältnismäßigkeitsprinzip missachtet. Bei dem viel beschworenen Rückumwandlungsrecht der vertragsnaturschützenden Landwirte wird es überdeutlich. Es soll gelten, nur nicht für einen, der sich unter den Protestlern besonders engagiert hat.

Der Fall Dannenberg könnte zum Präzendenzfall werden, da der Landkreis einen Anspruch auch Rückumwandelbarkeit ja nun doch verneint. Landwirte können sich demnach nicht mehr bedingungslos auf das Wort des Landrats verlassen.