Bachblüten und Eierlikör
Der Verkauf von Feuerwerkskörpern ist angelaufen. Weil der 29. Dezember auf einen Sonntag fällt, erstreckt er sich in diesem Jahr über vier statt drei Tage. Obwohl Raketen und Böller offiziell nur am Silvesterabend und am Neujahrstag gezündet werden dürfen, hört man sie bereits vereinzelt knallen und zischen. Der hierzulande im europäischen Vergleich äußerst liberale Umgang mit dem privaten Feuerwerk sorgt Jahr für Jahr für Diskussionen. Manche vermissen in diesen Tagen fast schon die stille Corona-Zeit,
in der die Silvesterböllerei ausfiel. Deren Hoffnung auf ein dauerhaft verändertes Verhältnis der Deutschen zur Knallerei hat sich jedoch nicht erfüllt. Die Normalität ist zurück, und für viele Menschen gehört dazu ein lauter und bunter Jahreswechsel inklusive Feuerwerk. Schädliche Folgen wie eine hohe Feinstaubbelastung und abgesprengte Finger werden in Kauf genommen. Silvester ist schließlich nur einmal im Jahr.
Unabhängig von ihrer persönlichen Einstellung zur Knallerei, bereitet sie Haustierbesitzern oft eine Menge Stress. Hilflos müssen sie miterleben, wie ihre vierbeinigen Schützlinge verschreckt reagieren und leiden. Für die empfindlichen Ohren von Hunden und Katzen, aber auch Wildtieren, ist der Lärm viel bedrohlicher und lauter als für Menschen – die zudem wissen, dass die Knallerei einen harmlosen Hintergrund und ein baldiges Ende hat.
„Da muss man einfach durch“, macht Dr. Urte Schulze Hunde- und Katzenhaltern keine Hoffnung auf ein Patentrezept gegen tierischen Silvesterstress. „Die ultimative Tablette dagegen hat noch niemand erfunden“, sagt die Veterinärin, die in Schneverdingen eine Kleintierpraxis betreibt. Auch sie kennt die vielen gut gemeinten Ratschläge, die im Internet kursieren und bis hin zur Alkoholausgabe an ängstliche Hunde reichen. „Ein Schluck Eierlikör am Abend, davon habe ich auch schon gehört“, erklärt die Fachfrau und zeigt sich wenig überzeugt von solchen Methoden. „Als Tierärztin kann ich dazu nichts sagen“, formuliert sie es vorsichtig. Im Internet wird das Alkoholthema kontrovers diskutiert, wobei auch viele der grundsätzlichen Befürworter auf Risiken und Nebenwirkungen sowie unbedingt zu beachtende Dosierungsgrenzen aufmerksam machen. Weniger problematisch sind ebenfalls im Netz propagierte alternative Beruhigungsmittel, etwa auf Basis von Bachblüten oder Baldrian. „Das kann man versuchen, es schädigt das Tier jedenfalls nicht“, so Schulze. Ob solche Behandlungsansätze im Nervenkostüm von Hunden und Katzen eine spürbare Wirkung entfalten, steht freilich auf einem anderen Blatt.
„Hunde haben ein anderes Hörempfinden als Menschen“, erklärt Schulze, und dennoch litten nicht alle gleichermaßen unter der Silvesterknallerei. Manche seien schreckhafter als andere, abhängig nicht von der Rasse, sondern dem Charakter des einzelnen Hundes oder der einzelnen Katze. Herrchen und Frauchen täten jedenfalls gut daran, ihre verschreckten Haustiere während der Silvesternacht nicht durch zu große Fürsorge noch in der Wahrnehmung zu bestärken, dass etwas Schlimmes und Bedrohliches im Gange sei. Man sollte stattdessen eher versuchen, die Ängstlichkeit seiner vierbeinigen Hausgenossen weitgehend zu ignorieren und im eigenen Verhalten so viel Normalität wie möglich an den Tag legen, rät die Tierärztin zu einer gewissen Coolness und hofft auf eine nicht allzu laute Silvesternacht im Heidekreis. Immerhin verbringen nicht wenige Großstädter den Jahreswechsel mit ihren Haustieren bewusst im ländlichen Umland, weil dort zumindest weniger geböllert wird als daheim.
„Stresspegel von Wildtieren steigt an“
Auf einen vollständigen Verzicht auf privates Feuerwerk drängt derweil weiterhin Nabu. „Abgesehen von der hohen Feinstaubbelastung und den enormen Abfallmengen, die durch die lauten Raketen und Böller verursacht werden, steigt der Stresspegel von Wildtieren wie Vögeln, Fledermäusen oder Rehen explosionsartig an“, führen die Naturschützer ins Feld. Die Störung falle ausgerechnet in die ohnehin schwierige Winterzeit, in der Wildtiere sparsam mit ihrem Energiehaushalt umgehen müssten. „Vögel fliehen bis zu 1000 Meter hoch, können stundenlang keinen Schlafplatz finden und verlieren dabei lebenswichtige Energiereserven“, beschreibt Nabu-Pressereferentin Renée Gerber die Situation. Wasservögel reagieren demnach noch in vier bis sieben Kilometern Entfernung auf Knallgeräusche und fliehen. Igel und andere Tiere, die Winterschlaf halten, können mit fatalen Folgen in ihrer Ruhephase gestört werden. „Säugetiere mit empfindlicher Sensorik können sogar Gehörschäden erleiden“, berichtet Gerber. Regelmäßig würden nach Neujahr tote und verletzte Tiere gefunden.
Angesichts dieser gravierenden Auswirkungen plädiert der Nabu Niedersachsen für ein Verbot privater Feuerwerke. Niemand müsse deswegen auf seinen individuell besonderen Jahreswechsel verzichten, sagt Gerber und verweist auf Alternativen. „Es gibt viele Möglichkeiten, das neue Jahr nachhaltig zu feiern – sei es mit einem Lagerfeuer, einem Nachtspaziergang oder einen Spieleabend mit der Familie.“ Wer so ins neue Jahr rutscht, leiste damit einen wertvollen Beitrag, erklärt der Nabu: „Jede Silvesterrakete, die nicht gezündet wird, ist ein Gewinn für die Umwelt“.