„Wir machen uns Heimwehtage immer besonders schön“
„Nach sechs Monaten Bike-Packing durch Südostasien haben wir unsere Fahrräder in Kuala Lumpur in Malaysia verkauft. Wir haben das Reisen per Rad sehr genossen. Es war erfüllend, sich mit eigener Muskelkraft fortzubewegen, langsam und nah an hilfsbereiten Einheimischen zu reisen und viele Orte zu sehen, die wir ansonsten niemals besucht hätten“, erzählen die Weltreisenden Pauline Kalender und Ole Maaß der Böhme-Zeitung.
Fast eineinhalb Jahre sind Soltauerin und der Soltauer mittlerweile unterwegs. Gestartet waren sie mit dem Ziel Vietnam – was sie mit ihrer bevorzugten Reiseart, dem „Daumen-Raus-Prinzip“, auch schafften. Den größten Teil des Weges sind sie innerhalb von sieben Monaten getrampt. In Vietnam hatten sie dann Lust auf Veränderung und stiegen auf die Fahrräder um. Nun sehnten sie sich erneut nach Abwechslung, zudem, so erzählen sie, hätten die tropischen Temperaturen ihnen bei der intensiven Bewegung stark zugesetzt.
Durch Indonesien ging es schließlich „per Öffis“, also öffentlichen Verkehrsmitteln. Der größte Inselstaat der Welt habe sie besonders beeindruckt: „Wir haben uns schnell in warme, kontaktfreudige Menschen, abwechslungsreiches und köstliches Essen, wunderschöne Vulkanlandschaften, Korallenriffe und abenteuerlich-chaotische Reiseinfrastruktur verliebt.“
Einer der Höhepunkte: „Wir wurden für drei Tage von einer vierköpfigen Familie adoptiert. Sie haben uns beigebracht, verschiedene indonesische Köstlichkeiten wie karamellisiertes Tempeh zuzubereiten – natürlich mit gemeinsam gekauften frischen Zutaten vom lokalen Markt.“ Sie hätten viel geredet, Gedanken ausgetauscht, Werte geteilt und „zum Glück haben unsere Kartoffelpuffer mit Apfelmus und Kräuterquark die Geschmacksnerven von Linda, Erwin, Kanah und Umar getroffen“.
Kennengelernt haben sie die Familie über die Plattform Couchsurfing. Weltweit kann man so Übernachtungsmöglichkeiten finden. Auch in Soltau gibt es solche Angebote. Ole und Pauline haben es selbst schon angeboten und so freundliche Heide-Park-Fans aus aller Welt kennengelernt. In Indonesien erlebten sie, wie ein Wochenende in Jakarta aussehen kann.
Erfahren haben sie dabei auch, wie Naturkatastrophen den Lebenswelten vieler Menschen zusetzen. Außer starken Erdbeben und Vulkanausbrüchen ist der Inselstaat vom Anstieg des Meeresspiegels unmittelbar betroffen. Eine der Folgen: Die Hauptstadt Jakarta wird auf diesen August auf eine andere Insel verlegt.
Nach Indonesien ging es drei Wochen lang mit Zug und Fähre nach Südkorea und Japan. Nun trampen sie endlich wieder und haben schon viele gastfreundliche Menschen getroffen, wie einen professionellen Balletttänzer, ein junges Paar auf Schrein-Sightseeingtour, einen Hardcore-Beatles-Fan und eine Aryuveda-Expertin. „Dabei wurden wir sogar auf Süßkartoffel- und Matcha-Eis eingeladen.“
In Südkorea und Japan sei der Lebensstandard vergleichbar hoch wie in Deutschland. Ein krasser Kontrast sei es zu vielen vorherigen Ländern, in denen sie viel Armut gesehen haben. Die beheizten Toilettenbrillen mit Hintergrundmusik und integriertem Bidet in jeder kostenlosen öffentlichen Toilette wären in den vergangenen Monaten anderswo undenkbar gewesen.
Tokio sei ihr östlichstes Reiseziel. Noch im vergangenen Dezember hatten sie vor, ihre Reise bis nach Amerika zu verlängern. Aber nun geht es ab Japan über die Himalaja-Region auf Heimreise. „Bis wir wieder in Soltau ankommen, wird es allerdings ein paar Monate dauern.“
Dennoch wollte die Böhme-Zeitung ein wenig mehr über die Reise wissen und schickte ein paar Fragen per Mail an die Reisenden.
Könnt ihr noch erzählen, wie ihr die Reise zurzeit finanziert? Gerade wenn ihr von Japan berichtet, wo die Übernachtungen sicher nicht mehr ganz so günstig sind wie anderswo.
Wir tragen unser Zuhause auf dem Rücken und reisen mit ,Küche und Schlafzimmer’, also Campingkocher und Zelt. Dadurch können wir die Reisekosten senken. Japan ist außerdem günstiger, als wir vorher dachten, da der Yen in den letzten Jahren stark an Wert verloren hat. Wir kochen oder essen meist im Convenience Store – wie die meisten Japanerinnen und Japaner wohl auch – und zelten vor allem an den Wochenenden, wenn die Hotelpreise in die Höhe schießen. Außerdem trampen wir hier endlich wieder. Natürlich ist Japan immer noch teurer als die meisten anderen Länder, aber das haben wir in unserem Budget eingeplant.
Also habt ihr vorher auch das Finanzielle gut geplant?
Die gesamte Reise finanzieren wir durch Ersparnisse. In Deutschland verdient man viel mehr Geld in weniger Arbeitszeit als fast überall sonst auf der Welt. Finanziell würde es sich für uns daher nicht lohnen, unterwegs zu arbeiten. Da wir vor der Reise zudem kein Auto hatten, in einer WG lebten und wenig beziehungsweise Secondhand kauften, fiel uns das Sparen leicht.
Habt ihr nach so langer Zeit inzwischen nicht auch Heimweh und habt ihr zwischendurch einmal Besuch von Zuhause bekommen?
Seit ein paar Wochen sehnen wir uns immer mal wieder nach Zuhause, vor allem nach Familie, Freundinnen und Freunden. Aber auch nach einem Rückzugsort, etwas Routine und einer sinnstiftenden Tätigkeit. Insgesamt haben wir allerdings weniger Heimweh, als vor der Reise befürchtet. Dank regelmäßiger Videocalls fühlen wir uns unseren engsten Freunden und unserer Familie ziemlich nahe. Einige Freundschaften sind aber leider auch eingeschlafen.
Und wie ist es mit den Feiertagen, an denen sich normalerweise die Familie trifft?
Vor Weihnachten, Geburtstagen oder Ostern sind wir tatsächlich etwas wehmütig. Aber an den Tagen selbst passiert dann so viel, dass wir gar nicht ins Grübeln kommen. An Oles letztem Geburtstag waren wir mit Meeresschildkröten und der ganzen Unterwasserwelt aus ,Findet Nemo’ auf den traumhaft schönen Gili-Inseln in Indonesien schnorcheln. An Weihnachten gingen wir mit neu gewonnenen Freunden in ein kambodschanisches Frühlingsrollenrestaurant, wichtelten und naschten im Campingkochtopf gekneteten Plätzchenteig. Paulines Geburtstag werden wir voraussichtlich in Pakistan im Himalaja verbringen. Wir machen uns diese ,Heimweh-Tage’ immer besonders schön.
Streckt man in Japan auch einfach den Daumen raus wie in Deutschland, um mitgenommen zu werden? Oder wie funktioniert es dort, reicht so ein Schild wie auf dem Foto?
Japan ist, was das Trampen angeht, für uns eine deutlich härtere Nuss als fast alle anderen Länder. Es hat ein wenig gedauert, bis wir herausgefunden haben, dass wir immer an Autobahnraststätten warten und uns bis zur nächsten Raststätte mitnehmen lassen müssen. Auf Google-Maps prüfen wir, wie viele Bewertungen die Rastplätze haben und können so abschätzen, ob dort viele Autos fahren. Dazu wurden wir nie nach 16 Uhr, bei Regen oder an Parallelautobahnen neben der Hauptverbindung zwischen großen Städten mitgenommen.
Also funktioniert es mit diesen Regeln auch in Japan?
Ja. Sogar sehr gut und wir werden von sehr herzlichen, freundlichen und neugierigen Menschen mitgenommen. Viele von ihnen kennen das Konzept des Trampens nur aus Filmen oder gar nicht richtig. Umso mehr freut es uns, dass sie dem Unbekannten eine Chance geben, indem sie uns mitnehmen. Einige der Fahrerinnen und Fahrer meinten, dass sie Trampen auch einmal ausprobieren wollen. Wir haben ihnen natürlich versprochen, dass wir sie ebenfalls mitnehmen, wenn wir sie eines Tages in Deutschland an der Straße sehen. Ist ja klar!
Wie kann man sich in Japan verständigen?
Sprachkenntnisse der jeweiligen Landessprache sind definitiv ein Schlüssel zu den Herzen der Menschen. Wir lernen in jedem Reiseland so viele Worte wie möglich. Es gibt keinen leichteren Weg, um den Einheimischen zu zeigen: Wir wollen eure Kultur kennenlernen, wir wollen Kontakt! Meistens kommunizieren wir per Google-Übersetzer. Dort laden wir die benötigte Sprache runter und können uns so – je nachdem, wie leicht oder schwer uns die Aussprache fällt – mindestens schriftlich unterhalten. In Japan konnten die Menschen unsere Aussprache ganz gut verstehen. In der Mongolei und China hat das leider gar nicht geklappt.
Und wie funktioniert das mit öffentlichen Verkehrsmitteln – also vor allem aufgrund der so anderen Sprache und Schrift?
In den Öffis in Japan wird fast alles auch auf Englisch angezeigt. Ansonsten sind immer Menschen da, die uns helfen. Überrascht hat uns allerdings doch, dass nahezu niemand Englisch spricht. Besonders, da Japan in ländervergleichenden Bildungsstudien sehr gut abschneidet. Wir haben gehört, dass bei der Sprachvermittlung weniger Wert auf Kommunikation gelegt wird. Es geht eher darum, im Test die richtigen Kreuze zu setzen.
Welchen Stellenwert hat die Weltpolitik und die Krisen dieser Zeit wie der Ukraine-Krieg oder auch die Wahl in den USA oder kürzlich für das Europaparlament in den Regionen, die ihr durchreist, spielt das eine Rolle?
Wir sprechen heikle Themen von uns aus nur selten an, um niemanden in Verlegenheit zu bringen – vor allem in Kulturen, die wie Japan als sehr höflich oder indirekt gelten. Dennoch gewinnen wir natürlich viele Eindrücke und nehmen vor allem wahr, wie unterschiedliche Länder unterschiedliche Schwerpunkte setzen. In Südkorea sorgen sich die Menschen vor allem vor einem Angriff Nordkoreas und glorifizieren die USA zumindest in staatlichen Museen geradezu, da das Land im Angriffsfall der wichtigste Verteidigungspartner wäre. Südkorea und Japan haben eine schwierige Beziehung, da Japan bis heute grausame Kriegsverbrechen gegenüber dem Nachbarland nur unzureichend aufgearbeitet hat. Davon bekommen wir immer wieder nebenbei etwas mit.
Wie sah es in den anderen Ländern aus?
In muslimisch geprägten Ländern wie Malaysia dagegen war der Israel-Palästina-Konflikt sehr präsent, was wir auch an zahlreichen Palästina-Flaggen in Vorgärten sehen konnten. Wir haben dort allerdings keine generelle Israel- oder Judenfeindlichkeit erlebt, sondern vor allem Kritik an der Regierung und den Wunsch nach Frieden vernommen. In den Ex-Sowjetländern wie beispielsweise Georgien, Kasachstan und Kirgistan, in denen Russisch Fremdsprache Nr. 1 ist, haben wir viele junge Männer aus Russland getroffen. Sie haben ihr Heimatland verlassen, um nicht im Krieg kämpfen zu müssen, und versuchen jetzt, sich ein neues Leben aufzubauen. Viele sind von ihrer Regierung enttäuscht. Das Wort ,Europa’ ruft vor allem wirtschaftliche Assoziationen hervor, da der Kontinent so viel wohlhabender und sicherer ist als der Großteil des Rests der Welt. Das Geschehen in der EU beobachten die meisten Menschen allerdings nicht. Nur europäische Sportevents werden fast überall begeistert verfolgt.
Welchen Stellenwert hat die Klimakrise?
Die Klimakrise war vor allem dort ein Thema, wo die Auswirkungen besonders spürbar sind. In Indonesien zum Beispiel werden in den nächsten Jahren viele kleinere Inseln versinken, wodurch einige unserer Bekanntschaften ihren Besitz und ihre Heimat verlieren werden. Außerdem muss Indonesiens Millionen-Hauptstadt Jakarta auch aufgrund der Klimakrise auf eine andere Insel verlegt werden. Grundsätzlich sind die Auswirkungen aber überall spürbar. Einheimische berichten dann von ungewöhnlichen Dürren, Starkregen oder Stürmen, die ihre Felder vernichten. Oder auch wie eine Familie, die uns einige Tage in Jakarta aufgenommen hat, dass ihre Kinder regelmäßig von der hohen Luftverschmutzung krank werden. Das führt uns einmal mehr vor Augen, wie nachhaltige Lösungen und Verhaltensweisen uns auf vielen unterschiedlichen Ebenen guttun können.
Wie wollt ihr zurückreisen? Wieder per Anhalter, Fahrrad oder mit Bus, Bahn und Flugzeug?
Wir reisen weiterhin mit einer Mischung aus öffentlichen Verkehrsmitteln und – in Südkorea, China, Europa und einzelnen Regionen anderer Länder – per Anhalter. Es ist auch ein Traum von uns, einen Teil der Rückreise mit einem Segelboot zurückzulegen. Wir lieben es, jeden Schritt unserer Reise zu erleben statt plötzlich am anderen Ende der Welt von einem Flugzeug ausgespuckt zu werden. Unser Hauptgrund, aufs Fliegen zu verzichten, bleibt allerdings der Klimaschutz. Wobei es eigentlich Menschenschutz heißen sollte, denn letztendlich betreffen die Auswirkungen größtenteils uns selbst.