Kindermord nach Snow-Dome-Besuch
Ein Vater fährt mit seinen beiden kleinen Töchtern, neun und zehn Jahre alt, aus der dänischen Region Nordjütland nach Norddeutschland. Ein paar Tage Urlaub machen, bevor die Sommerferien enden, so begründet er den Kurztrip gegenüber seiner getrennt lebenden ExFrau und Mutter der Kinder. Vielleicht wird ja doch alles wieder gut, denkt die sich womöglich. Und stimmt der Reise zu. Um das Sorgerecht für die Mädchen haben beide erbittert gestritten. Unüblich im familienpolitisch progressiven Dänemark, wo getrennt lebende Elternteile sich eigentlich ganz selbstverständlich wechselseitig um gemeinsame Kinder kümmern.
In diesem Fall klappt das anfangs auch. Aber das Leben von Mutter und Vater driftet nach der Scheidung 2009 immer weiter auseinander. Es wird immer schwieriger, noch miteinander zu sprechen, Regelungen zu finden, sich gegenseitig zu respektieren und auf Provokationen zu verzichten. Man weiß das alles so genau, weil die Beziehungen der Eltern zueinander und zu ihren Töchtern später vor dem Landgericht Potsdam sowie in unzähligen deutschen wie dänischen Zeitungsberichten, TV-Beiträgen und Crime-Podcasts ausgeleuchtet werden. Es gibt Interviews mit der Mutter und lange psychiatrische Gutachten. Man möchte gerne verstehen, was kaum zu verstehen ist. Manche wollen sich vielleicht auch einfach nur gruseln beim Blick darauf, zu was für monströse Taten Menschen fähig sind.
Ein neues Leben, in dem er keine Rolle mehr spielt
Nachdem ein Gericht der Mutter das Sorgerecht zuspricht, nähert sich der Mann seiner Ex-Frau wieder an, wird umgänglicher und freundlicher. Er weiß, dass er fortan nur so den Kontakt zu seinen Töchtern aufrechterhalten kann. Er will sie nicht verlieren, er hat ja nicht mehr viel. Seiner Frau gelingt es nach der Trennung besser, wieder Fuß zu fassen und sich ein neues Leben aufzubauen. Sie lässt sich erfolgreich zur Lehrerin ausbilden. Er leidet an Depressionen und findet nicht die Kraft, sich nach dem Scheitern des ehemals gemeinsamen Traums eines Bio-Bauernhofs in abgeschiedener Natur noch einmal neu zu erfinden. Kurz zieht er in einen anderen Ort, in den belebteren Süden Dänemarks. Aber bald kehrt er wieder zurück und schaut seiner Verflossenen dabei zu, wie die sich mit den Kindern ein neues Leben aufbaut. Eines, in dem er keine entscheidende Rolle mehr spielt. In dem ihm jetzt sogar die Papa-Rolle streitig gemacht wird – durch einen neuen Partner an der Seite der wieder verheirateten Mutter.
Eine Reise, die nie Urlaub war
Höhepunkt und Abschluss des Kurztripps mit seinen Töchtern soll ein Besuch im Snow-Dome sein. Die Skihalle wurde fünf Jahre zuvor eröffnet, seitdem lockt sie als besondere Attraktion auch Neugierige von weiter her nach Bispingen. Geplant ist eine letzte Übernachtung im benachbarten Hotel, anschließend soll es zurück nach Nordjütland gehen. In Dänemark beginnt bald wieder die Schule. Doch als das Trio am Abend den Snow-Dome verlässt, überrascht der Vater seine Kinder mit einer anderen Idee. Er erklärt, ihnen vor der Heimreise noch die deutsche Hauptstadt zeigen zu wollen. Es geht auf die nahe Autobahn, Richtung Berlin, die Mädchen auf dem Rücksitz des japanischen Kleinwagens. Vor Gericht wird der Vater später einräumen, den Schwestern Schlafmittel eingeflößt zu haben, angeblich, um ihnen eine entspannte Fahrt zu ermöglichen. Allerdings in so hoher Dosierung, dass in Presseberichten von betäubten Kindern die Rede sein wird. Es beginnt der letzte, fürchterliche Akt einer Reise, die nie Urlaub war.
Der Vater lenkt das Auto vor Berlin in ein Kiefernwäldchen nahe der brandenburgischen Ortschaft Börnicke. Dort entzündet er einen gefüllten Bezinkanister, den er schon in Dänemark im Kofferraum verstaut hat. Für das Gericht später neben den Schlaftabletten ein weiterer Beleg dafür, dass die Tat von vornherein geplant war. Im Snow-Dome sollten die Kinder ein letztes Mal eine schöne Zeit erleben, danach mit ihm in den Tod gehen, weil ein Leben bei der Mutter und ihrem neuen Mann für sie nicht lebenswert sei – so in etwa hat es sich der Täter in seinem Wahn und Narzissmus wohl ausgemalt.
Anfangs sah es nach einem tragischen Unfall aus
Aus dem mutmaßlich geplanten erweiterten Suizid wird nichts. Schmerzen und Panik treiben den Täter wohl aus dem Fahrzeug, auf dessen Rückbank die angeschnallten Kinder verbrennen. Mit schweren Brandverletzungen wird der umherirrende Mann nach seiner Auffindung in die Berliner Charité gebracht. Anfangs gilt er noch als ein Unfallopfer, dem am 12. August 2011 das Schlimmste ereilt hat, das einen Vater wohl ereilen kann. Dann kommen die Zweifel. Warum stand das Auto in einem einsamen Waldstück abseits der Landstraße, wie kam es dorthin? Die Brandursache wird schnell ermittelt und zieht weitere Fragen nach sich. Der Vater kommt in Untersuchungshaft. Auch das zu hoch dosierte Schlafmittel kann in den verkohlten Kinderleichen noch nachgewiesen werden. Das Bild vom Opfer verfinstert sich. Der Mann gerät ins Zwielicht. Die anfangs von einem tragischen Unfallgeschehen ausgehenden Presseartikel verändern sich. Plötzlich geht es um ein Verbrechen.
Der Prozess vor dem Landgericht Potsdam verzögert sich wegen eines Suizidversuchs des Angeklagten in seiner Zelle. Am Ende wird der nach anfänglichem Leugnen geständige Däne nach 14 aufreibenden Prozesstagen wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. „Was geschehen ist, geschah nicht aus Hass, sondern aus Liebe“, gibt er in seinem letzten Wort noch einmal Einblick in seine krude Vorstellungswelt. „Es ging meinen Mädchen nicht gut, das habe ich nicht ertragen“, behauptet er. „Ich bitte nicht um Vergebung. Ich kann mir selbst nicht vergeben.“