„Wie eine militärische Aktion“

In diesem Wohnhaus in Westervesede erschoss der Angeklagte mutmaßlich zwei Menschen.

20 Minuten brauchte der Fallschirmjäger Florian G. laut der am gestrigen Mittwoch verlesenen Anklageschrift, um in der Nacht zum 1. März dieses Jahres vier Menschen in Scheeßel-Westervesede und Brockel (Kreis Rotenburg) heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen zu ermorden. Seine Opfer soll der 32-Jährige für das Scheitern seiner Ehe verantwortlich gemacht haben: einen 30-Jährigen aus Westervesede und dessen 55-jährige Mutter sowie eine 33-Jährige aus Brockel und deren dreijährige Tochter. Das erschossene Kind will der Angeklagte nicht gesehen haben. Der Bundeswehrsoldat in Handschellen will sich in dem Verdener Landgerichtsprozess schweigend verteidigen.

Betont gerade saß der in Herzberg am Harz geborene Mann zwischen seinen beiden Pflichtverteidigern. Die Sitzordnung in der Verdener Stadthalle, wo gestern wegen der erwarteten zahlreichen Zuschauer und Medienvertreter verhandelt wurde, sie hatte fast Symbolcharakter.

Ganz vorne die Schwurgerichtskammer. Seitlich direkt angrenzend die Staatsanwältin. Die Nebenklägerin der Mitte. Gekommen waren zwei von neun Nebenklägern. Angehörige der beiden ersten Opfer mit ihrer Anwältin. Ihr Kollege, der die Hinterbliebenen der anderen beiden Opfer vertritt, erklärte später vor laufenden Kameras, dass diese psychisch nicht in der Lage seien, dem Verfahren beizuwohnen.

Hinten am Rand saß der Angeklagte. Selbstbewusst, fast stolz, wirkte er. Mit einem militärisch anmutenden „richtig“ bestätigte er jeweils sein Geburtsdatum, dass er inzwischen geschieden sei, in Brockel gewohnt habe und nun in der Justizvollzugsanstalt Bremervörde in Untersuchungshaft sitze. Ohne jegliche Regung hörte er sich an, was ihm die Staatsanwaltschaft Verden vorwirft.

Auslöser der Taten sei die Mitteilung seiner damaligen Ehefrau gewesen, dass sie sich trennen und eine Beziehung mit dem später getöteten 30-Jährigen aus Westervesede eingehen wolle. „Er glaubte, dass der Mann ihr geraten habe, sich zu trennen, und seine Eltern die neue Beziehung unterstützten“, verlas die Staatsanwältin.

„Je länger er sich mit der Trennung befasste, umso größer wurde der Hass. Spätestens am 26. Februar 2024 fasste er den Entschluss, sie zu töten.“ Damit habe er den Kontakt der „verachteten Personen zu seinem vierjährigen Sohn verhindern“ wollen. „Er plante die Taten wie eine militärische Aktion. Teilte die Ziele in primär und sekundär ein.“ Habe sich Kenntnis über die Häuser der Opfer verschafft, sich extra in einem Zevener Baumarkt einen Spalthammer gekauft sowie Molotowcocktails gebaut.

Ausgerüstet mit einem Sturmgewehr und einer Pistole soll er am ersten Tatort gegen 3.20 Uhr eine Glasscheibe zerstört und die Haustür geöffnet haben. Der schlafenden 55-jährigen Mutter habe er zweimal gezielt in den Hinterkopf geschossen. Davon sei der 30 Jahre alte Sohn aufgewacht. Dieser habe nach einer Begegnung mit dem Täter versucht zu flüchten. „Mindestens zehnmal schoss er auf das Opfer, wodurch der Mann sofort verstarb.“

Dann sei er zum Haus der besten Freundin seiner Frau gefahren. Dort habe er, zwölf Minuten nach dem Eindringen in das erste Haus, mit dem Hammer ein Fenster zerschlagen und, „wie für einen Häuserkampf beigebracht“, zunächst fünf Blindschüsse abgegeben.

Drinnen sei das spätere Opfer erwacht. „Sie erkannte die drohende Lebensgefahr für sich und ihre Kinder.“ In Panik sei sie ins Kinderzimmer gelaufen und während sie die Dreijährige aus dem Bett genommen habe, soll Florian G. die Tür aufgestoßen haben. „Sie setzte sich aufs Kinderbett und versuchte noch, auf ihn verbal einzuwirken.“ 14-mal habe der 32-Jährige dennoch auf Mutter und Kind geschossen. „Das Kind war ihm mindestens gleichgültig.“

Als er den Raum verließ, habe er die elfjährige Schwester der Dreijährigen zur Seite gestoßen und sei aus dem Haus gelaufen. Am nächsten Morgen stellte er sich bei der Von-Düring-Kaserne in Rotenburg.

Dass der Angeklagte nicht aussagen will, überraschte den Vorsitzenden Richter Volker Stronczyk, denn gegenüber einem psychiatrischen Sachverständigen habe er sich geäußert. Der Mediziner soll davon nun an einem der folgenden Termine berichten.

Die Kammer erteilte noch den rechtlichen Hinweis, dass neben der Verurteilung wegen Mordes auch die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld in Betracht komme. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung ebenfalls.

Nach nicht einmal einer halben Stunde war der erste Verhandlungstag beendet. Dann stellten sich Helen Wienands und Steffen Hörning als Anwälte der Nebenkläger den Fragen zahlreicher Journalisten. Sie wollen versuchen, dass in dem Prozess auch geklärt wird, ob die Tat, die Hörning als „unbeschreiblich in ihrer Ausführung“ bezeichnete, hätte verhindert werden können. Denn im Vorfeld habe es eine Gefährderansprache nach einer Bedrohungssituation gegeben.

Der auf sieben Monate terminierte Prozess soll am 5. September fortgesetzt werden. wib