„Noch nicht der große Wurf“
1109 Kommunen listet das bundesweite Bündnis „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ auf. Es ist ein bunter Haufen kleinerer und größerer Gebietskörperschaften, von der Nordseeinsel Sylt bis zur Zugspitze (Garmisch-Partenkirchen). Politisch sind alle Farben vertreten, die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister kommen aus allen demokratischen politischen Lagern, die relativ meisten aus der CDU und CSU. Eine ganz große Koalition von den Freien Wählern bis zu den Linken ist zu bestaunen und legt Zeugnis davon ab, dass es auf kommunaler Ebene weniger um Ideologien als um die Sache geht. In diesem Fall: um größeren kommunalen Gestaltungsspielraum für die Einrichtung von Tempo-30-Zonen. Als bislang einzige Kommune des Heidekreises hat sich Schneverdingen vor rund einem Jahr nach kontroverser Debatte im Stadtrat der schnell wachsenden Initiative angeschlossen, der damals erst 776 Gebietskörperschaften angehörten (BZ vom 6. Juni 2023: „Knappe Mehrheit für Tempo-30-Initiative“).
In seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause brachte der Bundesrat nach einigem parteipolitischen Streit doch noch die Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) auf den Weg, die Kommunen mehr Spielraum in der lokalen Verkehrspolitik einräumt. Ausgerechnet beim Thema Tempo-30-Zonen bleibe das neue Gesetz aber hinter den Erwartungen zurück, moniert unter anderem der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (BZ vom 12. Juli: „Tempo 30 weiterhin kein Selbstläufer“). Auch in Schneverdingen hat man sich inzwischen eingehender mit der neuen Rechtslage beschäftigt. „Der erste Eindruck, dass das noch nicht der ganz große Wurf ist, hat sich verfestigt“, sagt Johannes Bosselmann, der im Rathaus den Fachbereich Planen, Bauen, Umwelt und Ordnung leitet. Entscheidend werde aber sein, was in den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur neuen StVO steht. „Die sind unser Leitfaden, und sie wurden noch nicht angepasst“, erklärt Bosselmann. Einen neuen Vorstoß beim Landkreis für eine Tempo-30-Zone vor der DRK-Kita an der Schneverdinger Straße in Heber werde die Stadt erst lostreten, wenn die neuen Verwaltungsvorschriften vorliegen – unabhängig davon, dass man in Schneverdingen davon ausgeht, dass die vom Stadtrat angestrebte Geschwindigkeitsbegrenzung vor der Kita bereits nach der alten Rechtslage möglich und vom Landkreis eigentlich zu genehmigen gewesen wäre.
Bosselmann setzt bei der Analyse der neuen rechtlichen Möglichkeiten auch auf die Unterstützung durch die Initiative Lebenswerte Städte. Diese hat angekündigt, nach der Sommerpause auf ihrer dritten Online-Konferenz herausarbeiten zu wollen, „welche echten Verbesserungen im Gesetzespaket stecken“. In Schneverdingen ist man jedenfalls entschlossen, alle rechtlichen Spielräume entschlossen für sich zu nutzen. Notfalls auch, sie gegenüber dem beim Thema Tempo-30 zögerlich agierenden Landkreis gerichtlich durchzusetzen, wie Bürgermeisterin Meike Moog-Steffens schon vor einiger Zeit kundtat.