„Einsamkeit ist ein häufiges Thema“
Obwohl die Ampelkoalition das Aus für die Kfz-Steuerbefreiung einkassiert und den Abbau der Agrardieselsubvention gestreckt hat, bleiben die Bauern wütend. Ihre Proteste dauern an, und manchmal eskalieren sie. So am vergangenen Freitag, als eine Treckerdemo in Bremerhaven aus dem Ruder lief. Absperrungen und Versammlungsauflagen wurden missachtet. Beamte hätten sich in Sicherheit bringen müssen, als Protestierer mit ihren Treckern auf sie zugefahren seien, berichtet die Polizei. Es hagelte Strafanzeigen. Am gleichen Tag blockierten andere Landwirte die Autobahn 2 bei Peine mit Mist, Holzstämmen und Reifen.
Druck in einer Branche mit Rekordgewinnen
Der Bauernverband distanziert sich von solchen Aktionen, scheint aber zusehends die Kontrolle über Teile der Protestbewegung zu verlieren. Was ist da los? Geht es wirklich noch um die Subventionierung von Agrardiesel? Den schrittweisen Abbau der Subvention könnte die Branche, die zuletzt Rekordgewinne eingefahren habe, durchaus verkraften, erklären Agrarökonomen. Doch die Branche ist kleinteilig, es gibt Gewinner und Verlierer und Druck von vielen Seiten. An den Parolen auf den Treckerdemos ist es abzulesen: Es geht um Anerkennung, zu viel Bürokratie und das Gefühl der Bevormundung durch städtische Eliten, „die noch nie gearbeitet, noch nie geschwitzt“ hätten, wie Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied es ausdrückte.
Und dann gibt es noch etwas anderes, die persönliche Seite. Über sie wird wenig gesprochen, die Studienlage ist dünn. Eine viel beachtete Umfrage der Psychologin Maria Roth unter 3800 Landwirten ergab im vergangenen Jahr, dass fast die Hälfte der Bäuerinnen und Bauern in Deutschland psychisch schwer belastet sei. Die Depressionsrate sei bei ihnen drei Mal höher als im Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Wohl auch deshalb, weil Landwirte bei ersten Anzeichen nicht so einfach eine Pause einlegen können wie angestellte Berufstätige. Tiere müssen versorgt werden, Felder abgeerntet, unabhängig davon, wie es der Person auf dem Trecker geht. Vernachlässigt ein in Depression versunkener Landwirt seinen Hof, kann es zur Katastrophe kommen. Im schlimmsten Fall sorgen Bilder von verwahrlosten Nutztieren dann für einen Skandal mit medialer Berichterstattung und strafrechtlichen Konsequenzen.
Cornelia Möller gehört zu den Menschen, die Einblick haben in die Psyche von Landwirten, in die persönlichen Konflikte auf den Höfen, die selten nach außen dringen. Die Pastorin, bis 2020 tätig in der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Neuenkirchen, ist nach einem Zwischenspiel in Mailand heute Referentin für Land- und Ernährungswirtschaft im kirchlichen Dienst auf dem Lande (KDL) in Hannover und beschäftigt sich mit der Lebenssituation bäuerlicher Familien. Die beim KDL angesiedelte evangelische landwirtschaftliche Familienberatung (ELF) bietet schon seit 1993 professionelle anonyme Telefonberatung für Menschen und Familien in der Landwirtschaft an, eingerichtet und gefördert durch das niedersächsische Landwirtschaftsministerium. Die BZ wollte von der Fachfrau wissen, wie es um die persönlichen Sorgen und Nöte auf den Bauernhöfen steht.
Warum gibt es ein Sorgentelefon speziell für Landwirtinnen und Landwirte?
Cornelia Möller: Das Leben auf einem Hof ist etwas Besonderes, es ist mit besonderen Freuden, aber auch besonderen Herausforderungen verbunden. In den Gesprächen geht es daher auch um spezielle Sorgen und betriebliche Dinge. Manchmal fallen Fachbegriffe. Beraterinnen und Berater, die selbst aus der Landwirtschaft kommen, wissen, was gemeint ist.
Welche Problemlagen stehen in den anonymen Gesprächen im Fokus?
Bei den Anrufen im Sorgentelefon ist Einsamkeit ein häufiges Thema. Sich alleingelassen fühlen mit Sorgen und Problemen, die einem über den Kopf zu wachsen drohen. Mit den Sorgentelefonen arbeiten wir eng zusammen, mehr kann ich jedoch zur evangelischen landwirtschaftlichen Familienberatung sagen, die in unserem Arbeitsfeld „Kirche und Landwirtschaft“ im Haus kirchlicher Dienste angedockt ist. Deswegen beziehe ich mich im Folgenden auf diese. Die Beratungsgespräche der evangelischen landwirtschaftlichen Familienberatung werden oft bei Generationenkonflikten angefragt, oder wenn sich eine schwierige Situation so festgefahren hat, dass man Hilfe sucht, um gemeinsam neue Perspektiven zu entwickeln.
Haben sich die Themen in den vergangenen Jahren oder Monaten verändert?
Im Kern sind die Themen die gleichen geblieben: Konflikte zwischen den Generationen im Zusammenhang mit der Hofübergabe, Kommunikations- und Verständnisschwierigkeiten untereinander, Überforderung, die zu Spannungen in der Familie oder Partnerschaft führt.
Hat sich die Zahl der Anrufe signifikant verändert?
Die Zahl der Anfragen ist seit dem zweiten Halbjahr 2023 nach einer länger nachwirkenden Corona-Pause wieder deutlich gestiegen. Die steigende Tendenz hält an, es ist aber noch nicht abzusehen, ob es signifikant mehr Beratungsanfragen sein werden als vor Corona.
Stimmt das Klischee (noch), dass es Landwirten besonders schwerfällt, über Gefühle zu sprechen und sich bei psychischen Problemen Hilfe zu holen?
Unter Landwirten und Landwirtinnen ist eine Zurückhaltung verbreitet, über Gefühle zu sprechen. Man redet darüber eher nicht und versucht, es mit sich selbst abzumachen. Wir merken, dass jüngere Generationen in dieser Hinsicht offener sind und sich eher Hilfe suchen. Sich Unterstützung bei Problemen zu holen, ist für sie kein Tabu mehr, es ist glücklicherweise selbstverständlicher geworden. Man wird heute in der Regel nicht mehr schief angesehen, wenn man sich Hilfe holt.
Rufen überwiegend Frauen oder Männer an?
Es sind etwas mehr Frauen als Männer. Aber der Unterschied ist gering und in den letzten Jahren etwa gleich geblieben.
Belasten vor allem zwischenmenschlich-persönliche oder finanzielle Konflikte? Welches Gewicht haben demgegenüber allgemeine Aspekte wie die Wertschätzung durch die Gesellschaft oder das Gefühl der Bevormundung durch „städtische Eliten“?
Vor allem zwischenmenschliche Konflikte stehen im Vordergrund. Für finanzielle Konflikte verweisen wir auf Fachleute, zum Beispiel die sozioökonomische Beratung der Landwirtschaftskammer. Mangelnde Wertschätzung kann zwei Aspekte haben: Innerhalb der Familie fällt es manchmal den Jüngeren, die anders wirtschaften als die Elterngeneration, schwer, das wertzuschätzen, was die Eltern geleistet haben. Das kann zum Thema im Zusammenhang mit einem Generationenkonflikt werden. Mangelnde Wertschätzung durch die Gesellschaft ist in den vertraulichen Gesprächen eher nicht das Thema. Dieser Punkt wird von Landwirten und Landwirtinnen bei vielen anderen Gelegenheiten offen angesprochen.
Welche Hilfestellungen gibt es für Landwirte, die an einem Burnout oder einer Depression leiden? Sind Auszeiten angesichts von Tieren, die versorgt werden müssen, und anderen Verpflichtungen auf den Höfen und Feldern überhaupt realistisch?
Es gibt viele Formen der Unterstützung. Wenn sich eine Überlastungssituation abzeichnet, im Vorfeld einer Erkrankung, kann man sich Unterstützung suchen durch Betriebshelfer und Maschinenringe, oder sich in der kollegialen Nachbarschaft gegenseitig unter die Arme greifen. Dorfhelferinnen kommen in die Familien und unterstützen, wenn jemand zum Beispiel durch Krankheit ausfällt. Die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) bietet psychologisches Coaching an. Ist ein Burnout oder eine Depression erst einmal da, braucht man medizinisch-professionelle Hilfe durch einen Arzt oder eine Ärztin, beziehungsweise einen Psychotherapeuten oder eine Psychotherapeutin. Das in Anspruch zu nehmen, ist kein Zeichen von Schwäche – ganz im Gegenteil. Wer sich Hilfe sucht, ist stark und den ersten wichtigen Schritt schon gegangen.