„Wer wegschaut, billigt das Geschehen“
Das Wetter meinte es nicht gut mit den Demonstranten, aber das spielte letztlich keine Rolle. „Der Kampf gegen Faschismus kennt kein schlechtes Wetter“, sagte Lennart Meyer. „Das muss immer sein.“ Wie viele andere war er am gestrigen Sonntag vor der Schneverdinger Rathaus gekommen, um im norddeutschen Schmuddelwetter ein Zeichen gegen Rechtsextremismus und für die Demokratie zu setzen. Die Veranstalter um die 18-jährige Henny Schröder hatten 200 Menschen erwartet. Es wurden viel mehr, es dürften um die 800 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gewesen sein, die dem Dauerregen trotzten.
Schröder eröffnete die Kundgebung. Sie habe sich schon seit der 8. Klasse gefragt hat, wie es zu so viel Rassismus kommen konnte. Die Frage sei heute „kein so großes Rätsel mehr“, so die 18-jährige. „Ich konnte über die letzten Jahre nach und nach selbst beobachten, wie Rassismus wieder salonfähig gemacht wurde. Und wie sich die Welt trotz immer größerer Prozentwerte bei rechtsextremen Parteien in Deutschland, in Europa und auf der ganzen Welt einfach weitergewickelt hat.“ Doch nun sei man endlich aufgewacht. „Die Demokraten dieses Landes sind aufgewacht. In Hamburg, München, Berlin, aber auch hier im Heidekreis.“
Schröder erinnert an das Jahr 1933. Nicht die NSDAP-Wähler allein hätten damals den Kurs der Geschichte bestimmt. „Nein, es waren die Gleichgültigen. Ihre Passivität hat die radikalsten Umbrüche ermöglicht. Nichtstun ist eine aktive Entscheidung. Die macht einen nicht unschuldig, sondern zu einem passiven Mitträger.“
Moog-Steffens: Alle müssen öffentlich Haltung zeigen
Nach Michael Hüffermanns Version der Protest-Hymne „We shall overcome“ verwies Meike Moog-Steffens auf das 75-jährige Jubiläum des Grundgesetzes und die Bedeutung des Satzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Die Schneverdinger Bürgermeisterin erinnerte an die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer, die sich vor Jahren in das Goldene Buch der Stadt eingetragen und appelliert hatte: „Seid Menschen, lasst euch nicht vom Bösen anstecken.“ Danach, so Moog-Steffens weiter, sollten alle Demokraten handeln. „Wir alle müssen öffentlich Haltung zeigen.“ Es reiche nicht, sich nur mit Gleichgesinnten zu treffen, sondern es müsse überall klar Stellung gegen Rechtsextremismus bezogen werden.
Dann wandte sie sich direkt an die Demonstranten: „Sie und ihr macht hier und heute allen Menschen Mut, die sich durch rechte Demagogen bedroht sehen. Unser Land ist vielfältig, und damit das so bleibt, engagieren wir uns in Schneverdingen gemeinsam. Für faire Teilhabe aller Menschen, unabhängig von Herkunft, Einkommen, Weltanschauung, Geschlecht oder Alter. Vielfalt ist gelegentlich auch anstrengend. Sie fordert uns heraus, aber Vielfalt ist für unser Land extrem wichtig. Rassismus zerstört unsere offene Gesellschaft, unseren Wohlstand und unsere Zukunft.“
Nach einer Poetry-Slam-Einlage des Walsroder Schülers Bjarne Grätsch sprach die SPD-Kreispolitikerin Tatjana Bautsch. Sie verwies auf ihre Erfahrung mit der Rolle der AfD in der Lokalpolitik und betonte, dass populistische Slogans nicht die Lösung seien. „Wir haben von der AfD noch keine sinnvollen Dinge gehört, die helfen würden, unsere Zukunft besser zu machen.“ Natürlich gebe es Probleme. „Die lassen sich nicht wegdiskutieren und wir ärgern uns hier auch manchmal. Wir ärgern uns über den Landkreis, über die Stadt, über Berlin, über Hannover. Ja, das tun wir. Wir streiten darüber, aber mit Anstand und Respekt.“
Die Correctiv-Recherchen zum Potsdamer Treffen von Rechtsextremen habe viele Menschen „in Angst und Schrecken versetzt“. Diesen Nachbarn, Freunden, Bekannten, Mitbürgern und Arbeitskollegen wolle sie klar sagen: „Wir stehen zu euch. Keiner wird euch aus diesem Land verjagen. Wir wollen diese Vielfalt. Schneverdingen ist und bleibt bunt“.
Als letzter Redner sprach Oliver Ippich. Der stellvertretende Leiter der Kooperativen Gesamtschule lenkte den Blick auf den alltäglichen Rassismus, der immer offensiver werde. „Die neue Offensive manifestiert sich jetzt in so vielen Diskriminierungen, die unsere Mitmenschen verletzen und die Grundrechte unserer demokratischen Gesellschaft gezielt untergraben wollen. Wir müssen uns bewusst machen, dass Rassismus nicht nur in offensichtlichen Formen existiert, sondern auch im täglichen Leben, in kleinen Gesten, in scheinbar harmlosen Kommentaren, aber jetzt auch in politischen Bewegungen.“ Auch Ippich forderte Courage statt Passivität: „Wer wegschaut, billigt das Geschehen. Deswegen schauen wir nicht weg, deswegen wollen wir handeln. Wir dürfen nicht zulassen, dass Vorurteile und Stereotypen unser Zusammenleben vergiften.“
Der Geschichtslehrer mahnte aber auch zur Vorsicht: „Wir wollen niemanden ausgrenzen. Gehen wir lieber aktiv auf alltäglichen Rassismus zu. Führen wir fehlgeleiteten Querköpfen ihre Stammtischphrasen einfach vor Augen. Ja, ich weiß, es ist verdammt anstrengend, sich plattitüdenhaftem Geschwätz anzunehmen. Es ist sehr anstrengend, Hass mit Zuwendung zu begegnen. Es ist anstrengend, kon-struktiv in eigenen Reihen Kritik zu üben. Aber wir alle hier erreichen nur etwas, wenn wir konstruktiv und geduldig bleiben.“ Es sei wichtig zu betonen, dass Kritik an politischen Parteien nicht gleichbedeutend ist mit Angriffen auf Wählerinnen und Wähler. „Wir müssen diejenigen, die sich von rechten Parteien angezogen fühlen, verstehen und respektieren. Aber gleichzeitig dürfen wir nicht schweigen, wenn politische Akteure durch ihre Rhetorik dazu beitragen, Rassismus zu normalisieren. Das darf nicht passieren.“ Jeder Einzelne habe die Verantwortung, eine Umgebung zu schaffen, die Vielfalt schätzt und Diskriminierung entgegentritt. „Wir haben es selbst in der Hand. Lasst uns gemeinsam daran arbeiten, einen Raum zu schaffen, in dem Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder ihrer Religion respektiert und geschätzt werden.“ Das Erbe der Mütter, Väter und Großeltern sei fragil. „Es sind unsere Grundrechte, es sind deine Grundrechte, es sind meine Grundrechte. Grundrechte, die wir schon einmal gegen Hass, Leid, Diskriminierung und Verfolgung getauscht haben. Das darf nie wieder geschehen.“