„Junge Menschen sind sehr wohl politisch interessiert“
Etwa zwei Millionen Menschen sind an den vergangenen drei Wochenenden gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen. Das teilte das Bundesinnenministerium auf Anfrage von tagesschau.de mit. Auch im Heidekreis wurde in den vergangenen Wochen demonstriert. In Walsrode wurde die Demonstration von einer Schülergruppe organisiert und angemeldet. Die Schülerinnen und Schüler übernahmen auch die meisten Redebeiträge bei der anschließenden Kundgebung. In Schneverdingen ist für kommenden Sonntag, 18. Februar, ab 16.30 Uhr, vor dem Rathaus, eine Kundgebung geplant, auch sie wird von jungen Erwachsenen organisiert. Henny Schröder (18) hat die Demonstration angemeldet. Im Interview spricht sie über die Bedeutung von Fridays-for-Future für das Engagement von jungen Menschen, was sie sich von der Politik wünschen und was sie sich von den Demonstrationen erhofft.
Wie schauen Sie auf die Demos, die gerade überall in Deutschland stattfinden?
Henny Schröder: Mein erstes Gefühlist definitiv Hoffnung. In den letzten Monaten und Jahren, insbesondere mit Nachrichten wie der aus der Recherche von Correctiv, aber auch, wenn man auf die politischen Entwicklungen in Deutschland und Europa schaut, habe ich das Gefühl gehabt, dass vieles den Bach runtergeht, ohne dass die Gesellschaft etwas dagegen tut. Dass jetzt so viele Menschen den gleichen Impuls hatten und sagen, wir setzen dem etwas entgegen, wir werden aktiv, das gibt mir Hoffnung. Zu oft ist es sonst so, dass eine Nachricht Aufsehen erregt, nur um schnell wieder in Vergessenheit zu geraten. Aber dieses Mal habe ich das Gefühl, dass diese Bewegung nachhaltig ist.
Waren Sie selbst schon auf Demonstrationen unterwegs?
Ich hatte erst überlegt, nach Hannover oder Hamburg zu fahren. Aber dann habe ich von der Demonstration in Bad Fallingbostel erfahren und dort war ich dann auch zusammen mit meiner Familie. Bei der Kundgebung habe ich gedacht, so etwas müsste es eigentlich auch in Schneverdingen geben.
Haben Sie da auch den Entschluss getroffen, die Demo in Schneverdingen selbst anzumelden?
Es war erst einmal nur der Impuls, dass es nicht bei der einen Kundgebung bleiben darf. Ich bin nicht davon ausgegangen, dass ich eine Demonstration anmelde. Aber ich habe dann spaßeshalber gesagt, wenn es sonst niemand macht, dann mache ich das halt. Und so ist es gekommen. Ich habe bei der Anmeldung einfach darauf vertraut, dass es in Schneverdingen viele Menschen gibt, die Lust haben eine Rede zu halten oder sich an der Organisation zu beteiligen. Und die nächsten Demos kann dann ja jemand anders anmelden. (lacht)
Hat Ihnen da auch Ihre Erfahrung von den Demonstrationen von Fridays-for-Future geholfen?
Ja, ich glaube, für mich war die Hürde, eine Demo anzumelden, nicht so groß. Ich war schon bei Fridays-for-Future Teil des Orgateams und habe Demos mitorganisiert. Letztendlich ist die Anmeldung ja nur das Ausfüllen eines Online-Dokuments vom Heidekreis. Was einen wahrscheinlich davon abhalten kann, ist, für Redner zu sorgen und für die Demonstration auch verantwortlich zu sein. Da hatte ich aber einfach das Grundvertrauen, dass das schon klappen wird.
Glauben Sie, dass Fridays for Future einenGrundsteingelegthaben, dafür, dass jetzt auch so viele junge Menschen auf die Straße gehen und teilweise selber Demos anmelden und auch Fridays-for-Future-Gruppen Teile von Bündnissen sind?
Ich denke schon, dass da ein Grundstein gelegt wurde, dass unsere Generation Demonstrieren als Form von politischer Transformation kennengelernt hat. Das Bild von Demonstrationen hat sich bereits gewandelt,insbesonderedurch die Klimabewegung, die sich an eine eher spezielle Zielgruppe richtet, im Gegensatz zu den Protesten gegen den Rechtsextremismus, die eine breitere Bevölkerungsgruppe ansprechen. Es ist ermutigend zu sehen, dass sich jetzt auch Menschen politisch engagieren, insbesondere junge Menschen, die das zuvor nicht getan haben. Ich glaube, dass der jungen Generation oft Politikverdrossenheit vorgeworfen wird, einfach weil wir andere Wege der politischen Partizipation wählen als den Eintritt in eine Partei. Es sollte anerkannt werden, dass das Engagieren in einer Organisation oder Bewegung ebenso eine Form des politischen Engagements ist wie der traditionelle Weg, in eine Partei einzutreten. Gerade, wenn es um Projekte geht, bei denen man auch kurzfristig Lösungen braucht.
Wie ist denn der aktuelle Planungsstand für die Kundgebung in Schneverdingen?
Es haben sich schon einige Freunde und Mitschülerinnen und Mitschüler gemeldet, die sich vorstellen können, als Ordner zu unterstützen. Was die Redner angeht, werden Frau Moog-Steffens als Bürgermeisterin, Oliver Ippich als stellvertretender Schulleiter der KGS und Tatjana Bautsch als Kommunalpolitikerin sprechen. Auch Bjarne Grätsch, der ja die Demo in Walsrode mitorganisiert hat, wird sprechen, und ich werde selbst eine Rede halten.
Die Demo in Schneverdingen ist von drei Demos im Heidekreis und die zweite, die von jungen Erwachsenen beziehungsweise Schülerinnen und Schülern organisiert wird. Die Jugend gilt Älteren ja gerne als vermeintlich unpolitisch. Haben Sie eine Idee, warum hier gerade die jungen Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straße gehen?
Ich kann mir vorstellen, dass soziale Medien dabei eine Rolle gespielt haben. Darüber haben sich viele Videos von Demos verbreitet, wie beispielsweise die von Hunderttausenden von Menschen in Berlin und das hat vielleicht Mut gemacht. Außerdem befinden wir uns in einer Zeitspanne, in der die letzten Zeitzeugen sterben, während wir eine Wiedererstarkung rechtsextremer Bewegungen in Deutschland beobachten. Ich glaube, für junge Menschen sind Demonstrationen da ein Mittel, mit dem man da ansetzen kann.
Können Sie sich noch erinnern, wie Sie von der Correctiv-Recherche erfahren haben?
Ich habe den Artikel tatsächlich in der Schule gelesen, weil ich so gefesselt davon war. Im Politikunterricht haben wir immer eine sogenannte „Aktuelle Stunde“, in der wir über aktuelle Geschehnisse diskutiert haben, und da haben wir auch länger über die Recherche gesprochen. Auch in meinem Freundeskreis haben wir uns darüber unterhalten. Viele haben auch durch die sozialen Medien wie TikTok oder Instagram davon erfahren. Auch Schülerinnen und Schüler, die sonst eher selten Artikel lesen, haben sich damit auseinandergesetzt. Das Thema hat uns alle sehr beschäftigt. Das wirkliche Ausmaß der Thematik wurde mir bewusst, als ein Bekannte von mir erzählt hat, dass ihr Vater, der nach einem langen Bürokratieprozess seit zwei Jahren deutscher Staatsbürger ist, sie gefragt hat, ob sie das Land nun verlassen müssten. Diese Frage hat mich tief getroffen und erst dann ist mir bewusst geworden, wie viele Menschen, obwohl sie deutscher Staatsangehörigkeit sind, sich in ihrem eigenen Land nicht mehr sicher fühlen. Ich denke daher, es ist umso wichtiger, den Menschen zu versichern und zu zeigen, dass solche extremen Stimmen nicht die Mehrheit repräsentieren und unser Land noch lange nicht ausmachen.
Seit der Veröffentlichung von Correctiv wird immer wieder demonstriert – was kann aus Ihrer Sicht daraus entstehen? Was erhoffen Sie sich von den Demonstrationen?
Im besten Fall führt diese Bewegung dazu, dass Menschen, die bis jetzt gesagt haben: "Ich muss mich nicht mit Politik beschäftigen und ich möchte mich damit nicht beschäftigen", realisieren, dass sie eben doch eine Verantwortung haben, sich einzubringen und sich zu engagieren. Ich hoffe, dass diese Bewegung dazu führt, dass Menschen realisieren, dass die AfD keine wählbare Option ist und dass sie keine Partei ist, die man aus Protest wählen kann. Die schwindende Unterstützung für die AfD auf Bundesebene ist ein kleiner Hoffnungsschimmer, obwohl wir uns vielleicht wünschen würden, dass diese Entwicklung schneller voranschreitet. Aber man muss auch realisieren, dass einige wenige Wochen des Protests die langjährige Unzufriedenheit und angestaute Wut nicht verschwinden lassen.
Im Zusammenhang mit den Demos wird auch davon gesprochen, dass man diejenigen, die die AfD aus Protest wählen bzw. überhaupt wählen, nicht abstempeln dürfe, sondern auf sie zugehen müsse. Darauf wies zum Beispiel auch der Schülersprecher des Gymnasiums Walsrode bei der Kundgebung in Walsrode hin. Wie sehen Sie das und wie kann das gelingen?
Ich würde sagen, dass meine Ansicht hier tatsächlich eine Entwicklung durchgemacht hat. Zunächst war ich fassungslos, wie es möglich sein konnte, dass Menschen eine Partei wie die AfD unterstützen. Aber ich stimme dem anderen Schülersprecher zu, dass es nicht zielführend ist, diese Menschen einfach abzuschreiben. Wir befinden uns in einer Phase in Deutschland, in der viele Menschen den Eindruck haben, dass die Politik keinen guten Job macht und die Bevölkerung nicht mehr erreicht. Hier muss man Verständnis zeigen für jene Menschen, die unter finanziellen oder anderen Schwierigkeiten leiden, die sich angesichts der vielen Krisen der letzten Jahre vernachlässigt fühlen und einen umfassenden politischen Wandel herbeisehnen. Es ist entscheidend, diese Menschen nicht einfach abzuweisen, sondern den Dialog zu suchen. Gleichzeitig ist es aber wichtig, klarzustellen, dass gewisse Positionen nicht toleriert werden können. Eine politische Abgrenzung ist notwendig, aber wir sollten auf einer persönlichen Ebene immer das Gespräch suchen.
Was wünschen Sie sich für junge Menschen in Deutschland, gerade vielleicht auch von der Politik? Was wären Signale, dass sich die jüngeren Menschen nicht abgehängt und nicht gesehen fühlen?
Mein Wunsch ist es, dass man unserer Generation mehr Verständnis und Beachtung in der politischen Landschaft zukommen lässt und uns nicht vorschnell als politisch desinteressiert abstempelt. Zuweilen habe ich das Gefühl, dass man uns als die „Internet- und TikTok-Generation“ abtut. Die große politische Beteiligung unserer Generation zeigt allerdings, dass wir sehr wohl politisch interessiert und engagiert sind. Gleichzeitig haben wir jedoch auch erlebt, wie Politiker oft eher leere Versprechungen machen, anstatt echte Veränderungen anzustoßen.
Was erhoffen Sie sich von der Demonstration in Schneverdingen?
Ich wünsche mir, dass Menschen sehen, dass das Thema auch in unserer Stadt angekommen ist. Und dass es nicht nur in den Nachrichten ist, sondern auch vor unserer Haustür. Und dass vielleicht auch Leute kommen, für die das die erste Demo ist. Aber auch, dass Menschen, die hier vor Ort das Gefühl haben, sie sind in Deutschland nicht mehr so sicher wie vorher, dass sie auch sehen, dass vor Ort ihre Gemeinde oder ihr Umfeld, ihre Stadt was dagegen tut.