„Es geht nicht um ihre Person“
Der Niedersächsische Landtag bekommt einen neuen Untersuchungsausschuss, den ersten seit 2017. Damals ging es um Mauscheleien bei der Vergabe öffentlicher Aufträge durch die Staatskanzlei. Knapp sieben Jahre später steht erneut die Staatskanzlei unter Ministerpräsident Stephan Weil im Fokus – und ein bisschen auch seine Büroleiterin Aynur Colpan, SPD-Kreisvorsitzende im Heidekreis und ehrenamtliche Bürgermeisterin der Gemeinde Buchholz (Aller) in Schwarmstedt.
Die Umstände ihrer außertariflichen Entlohnung sind es, die die CDU-Landtagsfraktion jetzt von einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss beleuchten lassen will. Im Raum steht der Vorwurf der Intransparenz und dass es die Staatskanzlei bei der Lohnanhebung nach bestandener Probezeit etwas zu eilig gehabt habe. Das vereinfachte Verfahren zur Angleichung des Lohns an die bislang für diesen Job bezahlte Beamtenvergütung sei zum Zeitpunkt der Beförderung formell noch nicht in Kraft getreten, argwöhnen die Christdemokraten im Landtag. Deren Fraktionschef Sebastian Lechner moniert eine „Beförderung mit der Brechstange“ und spricht bereits von einer „SPD-Gehaltsaffäre“.
Der Kern der vermeintlichen Affäre liegt in den Tiefen des Haushalts- und Beamtenrechts. Die Besoldung öffentlicher Dienstposten richtet sich, losgelöst vom Markt, allein nach deren Wertigkeit. Bürochefin des Ministerpräsidenten zu sein, ist selbstredend eine hoch zu bewertende Aufgabe – in Beamtendeutsch ausgedrückt, eine Tätigkeit innerhalb der Besoldungsgruppe B2. Bei entsprechender Qualifikation entspricht das einem monatlichen Grundgehalt von mehr als 9000 Euro. So stattlich wird der Posten entlohnt, das war schon bei den vorhergegangenen Büroleiterinnen so.
Neu ist die Verpflichtung einer Quereinsteigerin. Als gelernte Steuerfachangestellte und mit einem Masterabschluss LL.M. ist Colpan ausreichend qualifiziert, für die Besetzung ist kein öffentliches Ausschreibungsverfahren gefordert, und natürlich darf bei einer Vertrauensstelle beim Ministerpräsidenten, angesiedelt im „Tendenzbetrieb“ Staatskanzlei, auch Parteizugehörigkeit und politisches Engagement eine Rolle spielen. Das ist alles unstrittig.
Ziel: Gleiches Gehaltsniveau für Angestellte und Beamte
Anders sieht es beim konkreten Vollzug der Lohnangleichung an das Beamtenniveau aus. Bislang, heißt es aus dem Umfeld des Ministerpräsidenten, seien Angestellte gegenüber Beamten benachteiligt gewesen. „Die sogenannten Erfahrungszeiten, die bei Beamtinnen und Beamten zugrunde gelegt werden, sind insbesondere bei jüngeren Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern typischerweise nicht vorhanden“, erklärt eine Sprecherin der Staatskanzlei. Folge waren Wartezeiten von bis zu zehn Jahren, bevor das nach der Stellenbewertung vorgesehene Gehaltsniveau tatsächlich erreicht wurde. „So wäre es auch in diesem Fall gewesen.“ Der Gehaltsabstand gegenüber gleich qualifizierten Beamten sei auch deshalb so gravierend, weil die Sozialversicherungspflicht den Nettolohn von Angestellten schmälert. Das erschwere die Gewinnung gut qualifizierter Fachkräfte für den Landesdienst. „In den anderen Bundesländern wird in solchen Fällen für Beschäftigte auf die fiktive Nachzeichnung einer Beamtenlaufbahn – und damit auf eine mehrjährige Wartezeit – verzichtet“, so die Staatskanzleisprecherin. „Niedersachsen hatte insoweit bis zur Änderung der ständigen Verwaltungspraxis eine Sonderrolle.“
Die „Änderung der ständigen Verwaltungspraxis“ bedeutet in diesem Fall, dass das Land außertarifliche Angestelltengehälter nach der Probezeit durch eine Änderungsvereinbarung in einem Schlag deutlich anhebt – laut Staatskanzlei vorliegend um 1886 Euro. Die dort vertretene Rechtsauffassung entnimmt der Landeshaushaltsordnung die Ermächtigung für das Finanzministerium, eine Änderung der ständigen fiskalischen Verwaltungspraxis selbstständig in die Wege zu leiten, ohne dass es eines förmlichen Verwaltungsaktes bedürfe. „Der Finanzminister hat die bis dahin geltenden Grundsätze am 20. November 2023 in Wahrnehmung seiner Zuständigkeit abgeändert“, heißt es kurz und knapp. Nur einen Tag später, am 21. November, erteilte die Landesregierung ihre Zustimmung zur höheren Entlohnung der Bürochefin des Ministerpräsidenten. Ein förmlicher Erlass an alle Ressorts erfolgte aber erst am 1. Dezember. Die CDU-Fraktion vertritt den Standpunkt, dass das neue Verfahren erst mit diesem Erlass in Kraft getreten und der Verweis der Staatskanzlei auf einen ministeriellen Beschluss vom 20. November der Versuch sei, den Beginn der veränderten Verwaltungspraxis zurückzudatieren. Tatsächlich sei die lukrative Beförderung der Büroleiterin am 21. November ohne gültige Rechtsgrundlage erfolgt. Selbstherrliches Agieren eines populären Ministerpräsidenten, der am kommenden Montag seit genau elf Jahren im Amt sein wird und meint, es mit den Gesetzen nicht mehr ganz so genau nehmen zu müssen?
Keine Vorwürfe gegen Colpan selbst
Im Heidekreis schlägt der Zwist im Leineschloss bislang keine Wellen, obwohl er mit einem der bekanntesten Gesichter der heimischen Kommunalpolitik verbunden ist. „Es geht nicht um ihre Person“, winkt der Soltauer CDU-Landtagsabgeordnete Dr. Karl-Ludwig von Danwitz ab. Weder er noch seine Partei würden der SPD-Kreischefin irgendein Fehlverhalten vorwerfen. Colpan selbst wollte sich gegenüber der Böhme-Zeitung nicht äußern.
Von Danwitz unterstützt die Einberufung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Einiges sei aufzuklären. „Am schlimmsten finde ich die Rückdatierung, dafür habe ich überhaupt kein Verständnis“, so der Landespolitiker. Er sieht den Vorgang in einer Reihe mit zwei weiteren Fällen: Der inzwischen vom Verwaltungsgericht Hannover als rechtswidrig verworfenen Zwangsversetzung des kommissarischen Polizeipräsidenten der Zentralen Polizeidirektion Niedersachsen, Uwe Lange, an die Nienburger Polizeiakademie und die Einleitung eines Disziplinarverfahrens der Kommunalaufsicht des Innenministeriums gegen Goslars Ex-Oberbürgermeister Oliver Junk, unmittelbar vor der entscheidenden Stichwahl, die der CDU-Mann gegen die heutige SPD-Oberbürgermeisterin Urte Schwerdtner verlor. Für von Danwitz sind es drei Beispiele dafür, dass die im Land dauerregierende SPD die Bodenhaftung zu verlieren drohe und sich zunehmend selbstgerecht gebare.