Von leeren Küchen und Klassenzimmern
Soltau. Lutz Behrendt ist beunruhigt. Der Studiendirektor, der unter anderem den Fachbereich Gastronomie an den Berufsbildenden Schulen (BBS) Soltau leitet, sorgt sich um den niedrigen Zulauf an Berufsschülern. Der Teil der Menschen, der sich für eine Ausbildung als Koch, Restaurant- oder Hotelfachkraft entscheidet, ist stark rückläufig. Neben dem Vorsitzenden des Fördervereins „Pro Gast“, Michael Sauerland, spricht Behrendt am Donnerstagvormittag im Restaurant der Soltauer Berufsschule vor über 50 Anwesenden und jongliert dabei mit Personal- und Schülerzahlen, die deutlich machen: Mehr denn je kämpft die Gastro-Branche vor allem gegen den demografischen Wandel und sucht nach Möglichkeiten, mit attraktiveren Arbeitsbedingungen zu locken.
Pensionierte Boomer und Corona-Nachwehen machen Probleme
Wo an der BBS einst 400 Schüler im Gastro-Bereich auf ihren Abschluss hinarbeiteten, zählt man heute nur noch 220. „Zusätzlich zum demografischen Wandel ist es auch die Coronapandemie, die uns zusetzt“, analysiert Behrendt. Wie ein Katalysator hingen die dramatischen Einbrüche und Kündigungen dem Gewerbe nach.
Nicht nur in Sachen Schülerschaft, auch im Personal selbst drückt der Schuh. Die Unterrichtsversorgung im berufsbezogenen und allgemeinen Bereich gestaltet sich an der BBS schwierig. Vom geplanten Unterricht fand im vergangenen Jahr nur 88 Prozent statt. Ohne Vertretungsreserve und den allenthalben hohen Krankenständen stünde die Aufrechterhaltung des Regelbetriebs in den Klassenzimmern „Spitz auf Knopf“.
Aufgrund des zu bewältigenden Pensums entschlossen sich die Auszubildenden, beispielsweise Bonusveranstaltungen wie die deutsche Jugendmeisterschaft nicht wahrzunehmen. Der Grundtenor: Eine dem Event angemessene, erfolgversprechende Vorbereitung könne man angesichts der Personalnot schlicht nicht gewährleisten.
Die Tendenz zeichnet ein prekäres Bild. „In Zukunft gehen die Kollegen der prägenden Baby-Boomer-Generation in Rente. Deren Positionen können wir wohl kaum neu besetzen“, erläutert der Studiendirektor. In der Pflege-Branche gebe es mitunter jetzt schon ausgeschriebene Stellen, deren Echo seit Jahren ohne nennenswerte Bewerbung im öffentlichen Raum verhallt.
Dem „Ich möchte nicht mehr so viel arbeiten“-Zeitgeist entsprechen
Sauerland wirbt derweil für ein arbeitnehmerfreundliches Entgegenkommen in puncto Vorstellung vom Arbeitsleben. „Wir erleben im Laufe eines Vorstellungsgesprächs das Phänomen, dass Bewerber unsicher den Satz ‚Ich möchte nicht mehr so viel arbeiten, mein Privatleben kommt zu kurz‘ zutage bringen.“ Mehr denn je wünschten sich Bewerber ein gesundes Maß zwischen Berufs- und Privatleben. „Viele dieser Bewerber sind bereit, auf Karrierechancen zu verzichten und nehmen für den Luxus ‚Freizeit‘ finanzielle Einbußen in Kauf.“ Das sei absolut nicht geschlechter- oder generationenspezifisch zu verorten, so der Pro-Gast-Vorsitzende.
Den sich sukzessive zur Work-Life-Balance entwickelnden Tendenzen sollten Unternehmen nach Sauerlands Dafürhalten entsprechen. Arbeitnehmern im Gastgewerbe passende Arbeitszeit-Modelle anzubieten, könnte so zu einem strategischen Faustpfand auf dem umkämpften Markt werden.
Hürden der Integration bewältigen
Hoffnung setzen sowohl Behrendt als auch Sauerland auf Fachpersonal und Ausbildungssuchende aus dem Ausland. Eine Integrationsklasse birgt den Versuch, Neuankömmlinge langfristig von einem Leben im ländlichen Niedersachsen zu überzeugen. „Wir wollen Angebote schaffen, damit Auszubildende und Fachkräfte, die aus aller Welt zu uns kommen, bleiben“, erklärt der Fachbereichsleiter. Die Erfahrung zeige, dass dies aufgrund von Sprachproblemen, Einsamkeit auf dem Land und Heimweh ein schwieriges Unterfangen sei. „Für Menschen aus Hanoi“, so Behrendt, „ist die Provinz im Heidekreis natürlich ein Kulturschock.“ Dabei seien es vor allem asiatische Schüler, die neben Südamerikanern an der Soltauer BBS einen hervorragenden Eindruck hinterlassen haben.
Um Migranten beim Einleben möglichst gut zu helfen, hat die Volkshochschule Heidekreis mit dem Welcome-Center ein dreiköpfiges Team zusammengestellt, das die Neuankömmlinge und ihre Unternehmen in ihren Belangen unterstützt. „Von Behördenkontakt wie dem Visum-Antrag, Hilfe bei der Wohnungs- oder Ärztesuche oder auch familiären Angelegenheiten wie der Kinderbetreuung: Vom Willkommen, über das Ankommen bis hin zum Bleiben versuchen wir Hilfestellungen zu leisten“, erklärt Welcome-Center-Mitglied, Katrin Seefeld.
Um beidseitig voneinander zu profitieren und die Bindung zur neuen Heimat zu stärken, nennt auch Seefeld ein „Erwartungsmanagement“ als sehr wichtig. Seien überzogene Vorstellungen erst mal ins richtige Licht gerückt, sieht sie den gesamten Heidekreis gefordert. „Wir müssen sozial im Landkreis etwas tun, nur so können wir Menschen auch langfristig hier halten.“