Freispruch nach tragischem Tod eines Soltauers
Es ist eine Verkettung unglücklicher Umstände, deren Folge das Schwurgericht der 4. Großen Strafkammer am Landgericht Lüneburg verhandelt. Rund um die Geschehnisse vom 25. Mai, als ein 88-Jähriger am Soltauer Bahnhof auf den 51-jährigen Angeklagten trifft. Letzterem wirft die Staatsanwaltschaft zu Prozessbeginn am vergangenen Donnerstag Körperverletzung mit Todesfolge vor.
Vor Gericht schildert der 51-Jährige seine Sicht der Dinge: Mit seiner Partnerin, einer Arbeitskollegin und drei E-Scootern will er den Bahnhofsaufzug nutzen. Ehe die Tür des Fahrstuhls schließt, stellt sich das spätere Opfer ebenfalls in den Lift. Unter der daraus resultierenden Überlast streikt die Technik. Renitent habe der Geschädigte über mehrere Minuten weder der Aufforderung, den Aufzug zu verlassen, noch der Bitte, Platz für den Ausstieg des Trios zu machen, entsprochen.
Um die Situation aufzulösen, drückt der Angeklagte den Mann daraufhin mit einer Hand aus dem Türbereich. Der 88-Jährige stürzt, seine Hand blutet, sein Bein schmerzt. Lediglich die Wunde lässt er sich vom Angeklagten verbinden. Weitere Hilfeleistungen habe er abgelehnt, verliest der Verteidiger in der Einlassung seines Mandanten. Der sonst rüstig wirkende Mann erleidet durch den Sturz jedoch einen Oberschenkelhalsbruch. Ein Krankenwagen bringt ihn ins Soltauer Heidekreis-Klinikum. Zu diesem Zeitpunkt ist der 51-Jährige schon nicht mehr zugegen. Ihm zufolge wirkte der Senior gehfähig. Doch das Opfer muss operiert werden – mit fataler Konsequenz. Infolge der Narkose verstirbt er vier Tage nach dem Vorfall an Organversagen. Während der Verhandlung verweist eine Pathologin auf eine unerkannte Niereninsuffizienz.
Gericht sieht Notwehrsituation
Akribisch versucht Richter Franz Kompisch den Tathergang im Gerichtssaal zu erfragen. War es ein leichtes Drücken oder stärkeres Schubsen? Wie aufgeheizt war die Stimmung? War dem Angeklagten daran gelegen, dem Opfer körperlich zu schaden? Keine der Zeugenaussagen mündet indes in solch einer Deutung. Doch weder eine heftige Auseinandersetzung noch eine Verletzung der Sorgfaltspflicht seien festzustellen, so der Richter. „Sofort hat der Angeklagte seine Hilfe angeboten, den Geschädigten verbunden, ihm in den Aufzug geholfen.“ Mithin wird der 51-Jährige freigesprochen. In der Urteilsbegründung richtet sich Kompisch an die Nebenklägerin, die Tochter des Opfers: „So seltsam es klingt, bei einem Angriff auf die Bewegungsfreiheit handelt sich um eine Notwehrlage. Und Notwehr ist diejenige Handlung, die geboten und erforderlich ist, einen rechtswidrigen Angriff zu beseitigen. Wer gerechtfertigt handelt, handelt nicht schuldhaft.“ Demgemäß hätte womöglich auch ein stärkeres Schubsen den gebotenen Rechtfertigungsrahmen nicht gesprengt.
Derweil spricht der Freigesprochene der Nebenklägerin sein Beileid aus. Sein Anwalt beschreibt, wie ihm die Situation nachhänge. „Mein Mandant kann nachts nicht schlafen. Und er meidet seitdem Fahrstühle.“