Herausforderung für Tafeln, „aber wir kriegen das hin“
Etwa 1,6 Millionen Menschen sind in Deutschland auf Tafeln angewiesen, um sich mit Lebensmitteln zu versorgen. Viele Einrichtungen geraten wegen der steigenden Zahl an Bedürftigen an eine Kapazitätsgrenze, warnt Andreas Steppuhn, der Vorsitzende des Tafel-Dachverbandes. Etwa 60 Prozent müssten die Ausgabe von Lebensmitteln reduzieren, „um sich über Wasser zu halten und gleichzeitig so vielen Menschen wie möglich zu helfen“ – mit temporären Aufnahmestopps, Wartelisten oder rationierten Lebensmitteln. Die Gründe lägen auf der Hand: „Die Lebenshaltungskosten sind gestiegen, Renten und Löhne aber nicht in gleichem Maß.“
Von einer derartigen Zuspitzung sind die drei Tafeln im nördlichen Kreisgebiet bisher verschont. „Wir kriegen das irgendwie hin“, wählt Fritz-Peter Korte von der Schneverdinger Tafel, die auch in Bispingen Lebensmittel ausgibt, eine Beschreibung, die seine Kollegen Karl-Dieter Dehn (Soltau) und Michael Klingbeil von der Tafel Munster unterschreiben würden. Aber: Die Arbeit werde komplizierter.
Durch Algorithmus schmaleres Angebot
Das liege auch am Algorithmus, nennt Korte eine zunächst überraschende, aber einleuchtende Erklärung. Mithilfe von IT und Künstlicher Intelligenz könnten Supermärkte ihren Warendurchlauf immer besser an das Kaufverhalten der Kunden anpassen. Abgegeben werden die Lebensmittel gegen einen geringen Obolus nur an einen Personenkreis mit amtlich bescheinigter Bedürftigkeit der jeweiligen Kommune. „Wir versorgen etwa 450 bis 500 Leute in Schneverdingen und Bispingen aus 170 Bedarfsgemeinschaften“, nennt Korte Zahlen, die, wie er findet, „schon heftig sind“. Gut 300 Personen aus 140 bis 150 Bedarfsgemeinschaften zählt Klingbeil zu den Kunden in Munster. Auf dem Level wie die Schneverdinger Einrichtung liegt man bei der Tafel Soltau.
Dort habe es im Verlauf des zurückliegenden Jahres eine markante Veränderung gegeben, einen Rückgang um die 20 Prozent – überwiegend Ukrainer, die in den Arbeitsmarkt integriert wurden und nun über ein Einkommen über der Bemessungsgrenze verfügen. Einige seien auch in ihre Heimat zurückgekehrt. Dennoch stellten die Ukrainer in Soltau weiterhin die größte Nationalitätengruppe, „zwischen 40 und 50 Prozent“, sagt Dehn. Auch in Munster liegen Ukrainer mit einem Anteil um 45 Prozent vorn. Ein anderes Bild dagegen in Schneverdingen. Das stellen Syrer die größte Gruppe, so Korte.
Starker Ansteig durch Syrienkrieg
„Seit dem Syrienkrieg ist das in die Höhe geschnellt.“ Der Andrang bei den Tafeln sei vergleichbar mit einer Welle. 2016/17 mit der Syrienkrise und 2022/23 nach Ausbruch des Ukrainekrieges sei sie hoch geschwappt. Nun gehe es etwas runter mit den Zahlen, so Dehn, „aber wir sind nicht in einem Tal.“ Auch bei der Tafel Munster gebe es jede Woche eine oder zwei Neuanmeldungen, sagt deren Leiter Klingbeil, „darunter zum Teil Rentner, die mit ihrem Altersgeld nicht auskommen“.
"Tafel ist keine staatliche Einrichtung"
„Lebensmittel retten und armutsbetroffenen Menschen helfen.“ Das ist nach Aussage des Bundes-Dachverbands die „Mission“ von 970 Tafeln: „Die Tafeln geben Lebensmittel, die nicht mehr verkauft werden können, an Menschen in Armut weiter, die sich eine ausgewogene Ernährung oft nicht leisten können“, heißt es auf der Internetseite. Pro Jahr rund 265 000 Tonnen Lebensmittel. Mit 75 400 Helfenden sieht man sich eine der größten sozial-ökologischen Bewegungen. Diesen Aspekt unterstreicht Karl-Dieter Dehn, der die Arbeit in Soltau leitet: „Die Tafel ist keine staatliche Einrichtung.“ bz/vo