Leerstelle Täterarbeit
Der künftige Vater ihrer Kinder, der Mann, dem sie ihre Liebe schenken und mit dem sie alt werden will – er ist es. Da ist sie sich sicher. Schnell zieht das Paar zusammen, schnell kommt das erste Kind. Er verdient mehr Geld als sie, baut ein Haus, kauft ein Auto. Es entsteht eine „um den Mann herum gebaute Familie“, wie es Carolin Haentjes formuliert. Die freiberufliche Journalistin, Filmemacherin und Autorin trug am Dienstagabend im Lichtspiel Schneverdingen Passagen aus ihrem Buch „Femizide – Frauenmorde in Deutschland“ vor.
Es sind kurze Fallbeispiele, unsentimental nacherzählt und vielleicht gerade deshalb eindringlich. Keine schillernden Milieuschilderungen vom Rand der Gesellschaft. Ganz normale Frauen und Männer, berufstätig und sozial integriert, die sich aber in einer ungesunden Art miteinander verbinden. Toxisch, wie man neudeutsch sagen würde. Als das zweite Kind geboren wird, ist die Frau längst daran gewöhnt, von ihrem Mann dominiert und auch geschlagen zu werden. Sie arbeitet bei der Polizei, niemand muss ihr erklären, dass das Straftaten sind.
Doch sie schafft den Absprung nicht, wegen der Kinder und vielleicht auch aus diffuser Angst. Denn irgendwann in der Geschichte ist auf einmal klar, dass man sich von diesem Mann gar nicht trennen kann, jedenfalls nicht auf eine normale Art. Trennung ist in seiner Welt nicht vorgesehen und eine andere Welt als seine gibt es für die Frau nicht mehr.
Kein Exzess, sondern meistens ein geplantes Verbrechen
Jeder Fall einer Partnerschaftsoder Trennungstötung ist individuell, das ist die eine Seite, von der Haentjes zu berichten weiß. Die andere besteht aus einer gemeinsamen patriarchalen Vorstellungswelt, die die Täter bei all ihren sonstigen Unterschieden eben doch zu einer Gruppe macht, über die sich reden lässt. Kern ist die Überzeugung von der grundsätzlichen Andersartigkeit und Unterlegenheit der Frau, die nicht autonom darüber zu entscheiden hat, ob sie eine Beziehung beenden oder mit wem sie Sex haben möchte.
Die Autorin nutzt den Begriff des Femizids als Klammer und beschreibt ihn als eine aus Tätersicht in bestimmten Situationen geradezu folgerichtige Handlung. Ein Femizid, also die Tötung einer Frau aus geschlechtsspezifischen Motiven, sei nicht die extreme Eskalation häuslicher Gewalt, kein bloßer Exzess, sondern in den meisten Fällen ein planvoll begangenes Verbrechen.
Haentjes vergleicht die Dynamik mit derjenigen von Amokläufern. Der empfundene „Tatdruck“ sei in beiden Fällen hoch, der Wille zur Vernichtung massiv. Oft komme es bei Femiziden zur sogenannten „Übertötung“, das heißt der Täter wendet viel mehr Gewalt an, als für die Tatbegehung notwendig gewesen wäre. So war es auch bei den jüngsten Beispielen in der Region: 20 Messerstiche fügte der Mörder in Bad Fallingbostel seiner Ex-Partnerin zu, ein ganzes Magazin soll der Vierfachmörder von Scheeßel aus nächster Nähe auf eines seiner Opfer abgefeuert haben.
Die eigentliche Lesung fiel am Dienstagabend kurz aus, es sollte genügend Raum für Fragen und Diskussionen bleiben. Schneverdingens Gleichstellungsbeauftragte Agnes Klör wollte mit der Veranstaltung zum Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen das harte Thema Femizide ins Bewusstsein rücken. Anwesend waren zahlreiche Akteure des lokalen Hilfesystems, darunter als herausgehobene Gäste Christiana Rebhan, die in der Polizeiinspektion Heidekreis den Deliktsbereich Häusliche Gewalt koordiniert, Wolfgang Baron vom Opferhilfeverein Weißer Ring und Frauke Flöther, Vorsitzende des Trägervereins des Frauenschutzhauses in Walsrode. Auffallend war der vertraute Umgang untereinander, die offenbar gut eingeübte Vernetzung und Zusammenarbeit.
„Kaum Taschen ausgepackt, schon ist Umgang zu gewähren“
Die resultiert wohl auch daraus, dass man häufig miteinander zu tun hat, weil es im Heidekreis viele Fälle gibt. Rebhan sprach mit Blick auf die Polizeistatistik 2023 von 687 erfassten Vorgängen mit häuslicher Gewalt, also durchschnittlich fast zwei pro Tag. Per Checkliste versuche die Polizei, diejenigen Fälle herauszufiltern, bei denen weitere Gewalt bis hin zu Femiziden droht. Es gehe darum, Alarmsignale richtig zu deuten. Ein mühsames Geschäft, auch weil die personelle Ausstattung nicht befriedigend sei.
Schneverdingens Bürgermeisterin Meike Moog-Steffens machte deutlich, dass das Engagement lokaler Akteure allein nicht ausreichen werde, um Gewalt gegen Frauen nachhaltig einzudämmen. „Gefordert ist der Gesetzgeber“, mahnte sie an. Doch das Vertrauen in diesen schien bei den anwesenden Frauen und sehr wenigen Männern gering zu sein. Explizit kritisiert wurde das gestärkte Umgangsrecht, das auch problematischen Männern im Trennungsfall ermögliche, schnell wieder Kontakt mit dem Kind und der Mutter herzustellen, sogar wenn sie vor ihm in ein Frauenhaus geflüchtet sind. „Früher konnte die Frau mit ihren Kindern erst mal ankommen“, berichtete Schutzhaus-Leiterin Flöther. „Heute sind kaum die Taschen ausgepackt, schon muss dem Vater wieder Umgang mit dem Kind gewährt werden.“
Eine Leerstelle gibt es bei allem Engagement ehrenamtlicher und hauptamtlicher Akteure doch im lokalen Hilfesystem, Baron ging auf Nachfrage aus dem Publikum darauf ein: Es fehlt an einer Anlaufstelle und an Unterstützung für gewalttätige Männer, die ihr Verhalten verändern wollen, es allein aber nicht schaffen. „Da knabbern wir schon lange dran“, sagte Baron. Ohne konkreter zu werden, deutete er an, dass es Überlegungen für ein entsprechendes Angebot im Landkreis gibt. Solange indes nicht einmal Frauenhäuser und Beratungsstellen für Opfer angemessen finanziell ausgestattet würden, sei es immer schwierig, Täterarbeit umzusetzen. „Dabei wäre das immens wichtig.“ Es sei zu wenig Geld im System. „Aber es gibt die Hoffnung, dass wir trotzdem etwas auf den Weg bringen.“