Ein Jahrzehnt der Transformation

Digital und räumlich flexibel: Im Zeitalter der Digitaliserung trifft sich die Redaktion der Böhme-Zeitung jeden Morgen im interaktiven Programm Spot zur Konferenz. Screenshot

2014 war ein wichtiges Jahr für die Böhme-Zeitung. Am  19. Oktober feierte sie ihr 150-jähriges Bestehen, Höhepunkt war ein großer Festakt in der Alten Reithalle mit Ministerpräsident Stephan Weil als Ehrengast. Doch 2014 war auch deshalb ein wichtiges Jahr, weil der Blick nach der Rückschau auf 150 Jahre Zeitungstradition direkt nach vorn gerichtet wurde und eine Entwicklung begann, die die Böhme-Zeitung und den Mundschenk-Verlag in dem nun folgenden Jahrzehnt radikal verändern sollte.

Heute, am 160. Gründungstag der Böhme-Zeitung, ist vieles anders als beim großen Jubiläum vor zehn Jahren. Ein Kollege meinte kürzlich, in diesen zehn Jahren habe sich der Verlag mehr verändert als in den 150 Jahren zuvor. Das ist natürlich übertrieben, aber ganz sicher ist es zutreffend, dass wir bei der Böhme-Zeitung heute so arbeiten, wie wir es uns 2014 noch nicht einmal vorstellen konnten. Damals, als die Böhme-Zeitung sich auf den Weg machte, ein agiles Unternehmen zu werden.

Jedes Unternehmen muss sich den Herausforderungen des Marktes anpassen. Und wenn dieser sich immer schneller verändert, müssen diese Anpassungen trotzdem Schritt halten. In einem so dynamischen Zeitalter wie dem der Digitalsierung wird dieser Entwicklungsprozess zu einem Dauerzustand. Die Transformation wird Alltag. Das ist der Kern des agilen Arbeiten. Und es bedeutet zudem eine Abflachung der Hierarchien, ein Aufbrechen der Abteilungen, das Entwickeln, Formulieren und Verfolgen von Strategien und Zielen sowie das ständige Reflektieren der eigenen Arbeit. „Das haben wir immer schon so gemacht“ ist kein guter Leitsatz für einen Zeitungsverlag in Zeiten der Digitalisierung.

Die Maxime ist: „Wir geben Orientierung“

Warum tun wir, was wir tun? Warum veröffentlichen wir jeden Tag Nachrichten? Die Antwort scheint offensichtlich, doch ist es hilfreich, sie einmal konkret zu formulieren, als Markierung, wie wir diese Arbeitsmaxime intern nennen. Für die Redaktion lautet sie „Wir geben Orientierung“. Es ist ein Leitsatz, an dem wir unsere Arbeit messen müssen, jeden Tag. Denn genau das ist neben der bekannten journalistischen Kontrollfunktion unser Anspruch: In unserer demokratischen Gesellschaft die Informationen zur Verfügung zu stellen, welche nötig sind, um in einer vielschichtigen und komplexen Gesellschaft fundierte Entscheidungen treffen zu können.

Aus der Markierung lassen sich weitere Schlussfolgerungen ableiten: Wir können den Menschen nur Orientierung geben, wenn wir sie als Leser auch erreichen. Und wir können auf viele gewohnte Arbeitsbedingungen verzichten, wenn diese für die Markierung ohne Bedeutung sind.

Zum ersten Punkt: Dass die Zeitungsbranche unter massivem Druck steht, ist keine neue Entwicklung. Sinkende Auflagen und finanzielle Herausforderungen waren schon die großen Themen der eingangs erwähnten Jubiläumsveranstaltung. Doch die Probleme scheinen so groß, notwendige Anpassungen so kompliziert, dass sie neben dem eigentlichen Tagesgeschäft kaum zu bewältigen scheinen. Hier hilft uns die agile Arbeitskultur, genauer ein Werkzeug namens Objective Key Result (OKR). Es ist für uns zum wichtigsten Treiber und Kontrollmaßstab bei unserer Transformation geworden.

Die OKR-Methode bricht große Projekte oder Veränderungen in einzelne Arbeitsschritte runter, die so konkret und greifbar werden. Diese Idee scheint auf den ersten Blick nicht wahnsinning innovativ. Innovativ (und in der Praxis mitunter sehr anspruchsvoll) ist es allerdings, die einzelnen Voraussetzungen so zu definieren, dass sie am Ende tatsächlich zum Erreichen des großen Ziels führen und eine sinnvolle Messbarkeit zur Erfolgskontrolle garantieren.

So konnten wir als Verlag ein eigenes CMS (Content Management System) so entwickeln, dass es genau auf unsere jetzigen und alle künftigen Anforderungen zugeschnitten ist. Wir konnten unsere Arbeitsprozesse auf Print- und Digital-Producer zuschneiden. Wir haben Künstliche Intelligenz in unsere Prozesse integriert, soweit sie uns hilft, zeitintensive Fleißarbeit effezienter zu gestalten. Mit all diesen Anpassungen können wir mit neuen Formaten Zielgruppen über digitale Kanäle erreichen, die für die klassische Zeitung – egal ob als Print- oder E-Paper-Version – nicht mehr angesprochen werden. Wir können mit neuen Produkten auf die veränderten Lebensumstände der Menschen reagieren. So veröffentlichen wir seit dieser Woche jeden Morgen auf Spotify und Co. die wichtigsten Lokalnachrichten aus dem Heidekreis im Audioformat. Ein digitales Wochenend-Magazin ist in Arbeit.

Der Auszug war vor allem ein Aufbruch

Wir haben unsere Art zu arbeiten weiterentwickelt, prozessual, aber auch strukturell, und damit sind wir beim zweiten Punkt: Wir haben uns von vielen (zum Teil kostenintensiven) Arbeitsbedinungen gelöst, die für unsere eigentliche journalistische Aufgabe ohne Bedeutung sind. Als Erstes, weil für die Öffentlichkeit besonders sichtbar, ist hier sicherlich der Auszug aus dem Verlagsgebäude an der Harburger Straße 63 zu nennen.

Dieser Auszug, der vor allem ein Aufbruch war, hat zunächst intern, dann aber vor allem in der Öffentlichkeit für Unsicherheit und Gerüchte gesorgt. Deswegen möchte ich die Hintergründe an dieser Stelle noch einmal in aller Kürze zusammenfassen: Das Verlagsgebäude war nicht nur optisch, sondern vor allem energetisch in die Jahre gekommen, die Corona-Pandemie hat uns zudem gezeigt, dass Wissensarbeit standortunabhängig funktioniert.

Dank moderner Technik und digitaler Vernetzung sind wir in der Lage, überall zu arbeiten, solange wir einen Internetzugang haben. Natürlich ist eine persönliche Begegnung mit den Menschen vor Ort nach wie vor wichtig für unseren Lokaljournalismus. Aber wo genau wir die gewonnenen Informationen in redaktionelle Inhalte umwandeln, ist nicht mehr an eine bestimmte Adresse oder einen festen Schreibtisch gebunden. Das kann in einem unserer kleineren Büros in Bispingen und in der Soltauer Kirchstraße sein oder im Homeoffice. Ein großes Verlagsgebäude brauchen wir dazu nicht.

Mit Optimismus und Energie in die Zukunft

Ein weiterer Einschnitt, ein besonders trauriger, fiel mit dem Auszug aus dem Verlagsgebäude zeitgleich nahezu zusammen (und diese Kombination war sicherlich ein besonderer Nährboden für die oben erwähnten Unsicherheiten und Gerüchte). Für die Mundschenk Druck- und Vertriebsgesellschaft wurde im Frühjahr ein vorläufiges Insolvenzverfahren eingeleitet. Vorausgegangen war die Auslagerung des BZ-Zeitungsdrucks nach Walsrode.

Beide Veränderungen – der Auszug aus der Harburger Straße und das Ende des Zeitungsdrucks in Soltau – waren notwendige Schritte auf dem Weg zu einer zukunftsfähigen Zeitung. Die Verschlankung der Strukturen, wo immer das möglich ist, ohne dass die journalistische Qualität beeinträchtigt wird – auch diese Transformation ist eine Reaktion auf die veränderte Marktsituation unserer Branche.

So hatte die Dekade der Transformation nach dem großen Jubiläum der Böhme-Zeitung auch ihre Schattenseiten. Und auch bei den anderen Veränderungen ist uns längst nicht alles geglückt. Wir wissen, dass wir in der konkreten Umsetzung immer wieder hinter dem als Markierung formuliertem Ideal zurückbleiben. Wir haben viele Veränderungen kommunikativ nicht gut genug begleitet, intern, aber vor allem nach außen. Wir haben viel Kraft gelassen, permanente Transformation ist mitunter sehr anstrengend.

Aber letztlich haben wir Redaktion und Verlag an vielen wichtigen Stellschrauben verändert. Was auch immer die Zukunft für unsere Branche bereit hält: Wir haben die vergangenen zehn Jahre dazu genutzt, um vorbereitet zu sein. Die Böhme-Zeitung hat die Fähigkeit zur Veränderung verinnerlicht, sodass wir mit Optimismus und Energie in die Zukunft blicken können.

Deswegen feiern wir heute wieder in der Alten Reithalle. Nicht mit dem Ministerpräsidenten, sondern mit etwa 160 Leserinnen und Lesern. Wir freuen uns drauf.

Stefan Grönefeld