Auf leisen Pfoten zurück in den Heidekreis
Während die Landesregierung den Abschuss herumstreunender Hauskatzen in Waldgebieten im Sinne des Tierschutzes unter Strafe stellen will und damit den Unmut der Landesjägerschaft auf sich zieht (BZ vom 16. Oktober), genießt die Wildkatze in Deutschland bereits einen strengen Schutzstatus. Als „gefährdet“ eingestuft, unterliegt sie europäischen Schutzbestimmungen.
Langsam breitet sich die Samtpfote in Niedersachsens Wäldern aus. Anne Jantzen, Försterin im Forstamt Sellhorn, ist sich sicher: „Die Wildkatze kommt im Nordkreis inzwischen sicherlich vor, nur ist sie beim letzten Monitoring 2018 nicht nachgewiesen worden.“ Bestätigte Sichtungen kamen zu dieser Zeit aus dem Wendland und Amelinghausen, dem somit nördlichsten Verbreitungsgebiet der Art. Gemeinsam mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) arbeiten die Landesforsten am „Wildkatzenwälder von morgen“. Das Ziel: Wildkatzen-Lebensräume aufwerten. „Primär sind wir in den Regionen unterwegs, wo die Wildkatze sich wieder ausbreitet“, fügt Biologe Marc Filla vom BUND an. Die Population soll gestärkt werden.
Ihr Hauptfeind ist der Straßentod
Seit einigen Jahren kümmert sich der Verein um eine der seltensten Säugetiere hiesiger Wälder. Auf eine Wildkatze kommen etwa 2000 Hauskatzen. Deutschlandweit schätzt man die Population auf 6000 bis 8000 Exemplare – in Niedersachsen sind es 800 Wildkatzen, die überwiegend südlich, also im Harz oder im Solling, leben.
Natürliche Feinde, wie Greifvögel oder Füchse, hat sie eigentlich nur als Kitten. Ihr Hauptfeind ist der Straßentod. Es ist die A7, die der Wildkatze im Nordkreis zu schaffen macht. Noch fehlen hier sichere Querungshilfen über die Autobahn, um hier vollends Fuß zu fassen. Demgemäß fanden die Naturschützer lediglich Hinweise auf Wildkatzen im Naturschutzgebiet zwischen Volkwardingen und Wilsede, aber keine zweifelsfreien Nachweise.
Erschwerend kommt hinzu, die Wildkatze bei kurzzeitiger Sichtung in Sekundenschnelle und mit bloßem Auge von einer Hauskatze zu unterscheiden. Selbst für einen promovierten Naturschützer wie Filla ist die Differenzierung knifflig. „Haus- und Wildkatze sehen sich sehr ähnlich. Meist bekommt man sie nur für wenige Sekunden bei schlechten Lichtverhältnissen zu Gesicht.“
Trotzdem sind Wild- und Hauskatze nicht direkt miteinander verwandt. Während die Hauskatze von der afrikanischen Falbkatze abstammt und von den Römern nach Deutschland gebracht wurde, gibt es die europäische Wildkatze seit 300000 Jahren. Charakteristische Merkmale der scheuen Vierbeiner lassen sich trotzdem bestimmen: Prägnant ist der stumpf endende Schwanz mit schwarzem Ringmuster. Zudem ist der „Aalstrich“ am Rücken, der massige Kopf im Vergleich zu Hauskatzen, eine verwaschene Fellmaserung oder ein imposanter Backenbart bei Kudern, den männlichen Wildkatzen, typisch. Fehlen diese Attribute, kann man zumindest ausschließen, dass es sich um eine Wildkatze handelt.
Dennoch ist absolute Sicherheit nur durch einen genetischen Nachweis, beispielsweise einen Labortest einer Fellprobe, zu erbringen. Das Monitoring ohne Kamera erfolgt dabei mittels Lockstock. Mit einer Art Baldrianessenz werden aufgeraute Holzpflöcke präpariert und im Boden versenkt. Der Duft wirkt anziehend auf die Wildkatze, die sich an den Lockstöcken reibt, sodass am Holz haftendes Katzenhaar zum Nachweis untersucht wird.
Naturschutz gleichzeitig auch Wildkatzenschutz
Von kleinem Wuchs haben Wildkatzen verhältnismäßig große Streifgebiete. Mitunter durchqueren sie Areale von zwei bis zu neun Quadratkilometern. Im Schnitt 770 Fußballfelder – ein Wert, der mit Rothirschen vergleichbar ist. „Das ist ein Grund, warum wir die Wildkatze gerne als Leitart im Naturschutz haben“, erklärt Filla, „schützt man das Terrain der Wildkatze, schützt man andere Arten automatisch mit.“
Um es der Wildkatze so einfach wie möglich zu machen, legen Förster viel Wert auf grüne Waldaußenränder und offene Flächen, die zur Mäusejagd prädestinieren. Der Vierbeiner ist anspruchsvoll: Nicht nur Jagdhabitat, sondern auch Bedingungen für Schlafplätze und Bereiche, wo Jungtiere aufgezogen werden können, müssen stimmen. Für Versteckmöglichkeiten in Bodennähe nimmt das Tier eher mit Laubwäldern vorlieb. Wildkatzenfreundliche Strukturen weisen umgestürzte Bäume, üppige Baumkronen oder hochgewachsene Gräser zum Verstecken auf. Obendrein sollte alles nicht allzu weit voneinander entfernt sein.
Für ihre Jungtiere nutzen die Katzen Wurzelteller oder Totholz, die nicht direkt einsehbar sind. Doch junge Wildkatzen sind nässeanfällig und trockene Orte, auf die sie angewiesen sind, fehlen vielerorts. Immer wieder verstecken Wildkatzen ihre Kitten zwischen Holzpoltern, wo sie, wenn das gestapelte Holz abgeholt wird, Gefahr laufen, erdrückt zu werden. „Da kam es leider schon öfter zu Todesfällen“, schildert Filla.
Keine Belastung für Ökosysteme
Die Befürchtung, es könne sich um eine invasive Art handeln, entkräftet Filla. „Für niemanden ist sie bestandsgefährdend. In erster Linie ist die Wildkatze eine absolute Mäusejägerin. Sie versucht möglichst energiesparend zu jagen.“ Spezialisiert vor Mäuselöchern zu sitzen, würde sie zwar auch keinen Singvogel verschmähen, doch „90 Prozent ihrer Speisekarte sind Kleinsäuger“, erklärt der Biologe.
Naturschützer warnen zudem vor übereifrigem Aktionismus, wenn in Waldnähe scheinbar verwaiste Tiere aufgefunden werden. Als streng geschützte Wildtiere dürfen sie nicht ohne Not in menschliche Obhut genommen werden. Durch das Verwechslungspotenzial strandete jedoch manche Wildkatze bereits im Tierheim oder in Auffangstationen. Indes vertragen die Findlinge kein Katzenfutter, sind anfällig für Krankheiten und bedürfen einer speziellen, aufwendigen Behandlung, sobald der Irrtum aufgeklärt und eine Auswilderung erforderlich ist.
Sollten Spaziergänger eine Katze antreffen, empfiehlt der BUND, sich den Fundort zu notieren und ihn gegebenenfalls nach einigen Stunden nochmals zu prüfen. Alternativ lassen sich offizielle Ansprechpartner des BUND vor Ort kontaktieren, um das weitere Vorgehen abzuklären.