Die zweite Luft im Marathonlauf?
Es war die große Bewegung zu Jahresbeginn. Bundesweit gingen Menschen auf die Straße, um gegen einen Aufschwung des Rechtsextremismus zu demonstrieren. Vom Geist des „Nie wieder ist jetzt“, das – heraufbeschworen durch die Correctiv-Recherche im Januar – auf Kundgebungen skandiert wurde, ist vielerorts kaum etwas übrig. Die Befürchtung der Beteiligten, zugleich auch das Argument ihrer Kritiker, das „Bündnis gegen Rechts“ (BGR) sei lediglich ein substanzloses Strohfeuer im Kampf um eine nachhaltige Demokratie, scheint sich zu bewahrheiten. Inzwischen ist die kurzzeitig lautstarke Resonanz, die die Debatte um Begriffe wie „Remigration“ und „Deportation“ entfacht hat, weitestgehend verpufft.
Sowohl ernüchternde Europa- als auch Landtagswahlen im Osten legen die vorerst verschobenen Kräfteverhältnisse in der Parteienlandschaft offen. Stimmenzuwächse für die Alternative für Deutschland (AfD) und das in Teilen Deutschlands im Aufwind befindliche Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), gegen die flammende Plädoyers und emotionale Kampfansagen allein nicht ausreichen. Der Zufluss der AfD, die sukzessive ins rechtsextreme Spektrum abwandert, speist sich aus der Unzufriedenheit mit der großen Bundespolitik. Unmut, den die Kommunalpolitik nur schwer aufnehmen kann.
Was hat das „Bündnis gegen Rechts“ bewirkt?
Nach dem symbolischen Startschuss des BGR im Heidekreis, der Kundgebung in Bad Fallingbostel am 22. Januar, schien der Impetus der Akteure nach dem Frühjahr überschaubar. Bereits im Anschluss an die Demonstration fragte die BZ bei Mitinitiator Birhat Kaçar (SPD) nach, wie es um die Zukunftsperspektive des BGR bestellt ist. Kaçar selbst sprach von einem „anstrengenden Marathonlauf“, der dem Zusammenschluss samt seiner Anhänger bevorstehe.
Doch ein erhoffter, eingetretener Effekt, der noch nachhallt? Die Bilanz ist ernüchternd, auch und gerade für die, die das Bündnis im Heidekreis ins Leben riefen. „Die Kundgebungen gegen Rechtsextremismus im Frühjahr haben uns allen große Hoffnungen gegeben und uns in unserem Engagement für Vielfalt und Demokratie bestärkt“, blickt Kaçar heute zurück. „Allerdings lässt sich feststellen, dass die jüngsten Wahlergebnisse eine gewisse Lähmung ausgelöst haben – der Schock sitzt tief. Die großen bundespolitischen Themen, der oft schwierige Umgang der demokratischen Parteien miteinander und der ständige Eindruck von Streit und Uneinigkeit haben zweifellos dazu geführt, dass sich immer mehr Menschen für einfache Antworten entscheiden.“
Trotzdem ist der Fraktionsvorsitzende der SPD Soltau überzeugt, dass in der Haltung der Menschen eine tiefe Ablehnung rechtsextremer Überzeugungen verankert ist. Doch ein Blick in andere Demokratien zeigt, wie schnell sich die Anwesenheit von Parteien am rechten Rand durch Wahlerfolge innerhalb der Gesellschaft normalisiert.
Was also, wenn sich nach dem großen Protest zu Jahresbeginn nun eine stetig schrumpfende Anzahl von Menschen „gegen rechts“ mobilisieren lässt? „Es steht fest, dass die Normalisierung der Positionen rechtsextremer Parteien immer offensichtlicher wird“, konstatiert Kaçar. „Der Diskurs dreht sich zunehmend um Themen, die von rechts dominiert werden, obwohl diese Themen oft wenig Einfluss auf das alltägliche Leben der Menschen haben. Es beunruhigt mich, dass in Deutschland beispielsweise dauerhaft über Abschiebungen im Rahmen der Migrationsdebatte gesprochen wird, obwohl es andere, drängendere Themen gibt, die mehr Aufmerksamkeit erfordern.“
Dabei bezieht sich der 25-Jährige auf Opferstatistiken, die das Gefahrenpotenzial der Themen auf der Politagenda verdeutlichten. Während seit 2016 in Deutschland rund 20 Menschen durch islamistischen Terror getötet wurden, weist das Bundeskriminalamt zwischen 2015 und 2021 insgesamt 928 Femizide aus, also Morde an Frauen durch ihre Partner. „Warum setzen unsere politischen Verantwortungsträger beispielsweise nicht verstärkt den Fokus auf diese Problematik?“, klagt Kaçar an. Gleichzeitig sei es ihm wichtig zu betonen, Opfer nicht miteinander zu vergleichen oder weniger wertzuschätzen. „Jeder verlorene Mensch ist eine Tragödie.“
Wie steht es um die Zukunft des Bündnisses?
Was die Organisation des BGR betrifft, hat Kaçar diese aus gesundheitlichen Gründen indes an Fabio Lindhorst (SPD) übergeben. Der Vorsitzende der Jusos Heidekreis muss sich derweil an den Worten seines Vorgängers messen lassen, dass allein die „bloße Organisation von Kundgebungen“ nicht ausreichen würde.
„Im Nachgang der Kundgebung vom 22. Januar wurden noch Versuche unternommen, die gemeinsame Aktivität aufrechtzuerhalten und ein Papier zu entwickeln, in dem das Bündnis ein gemeinsames Selbstverständnis festhält. Das konnte so Anfang des Jahres nicht umgesetzt werden“, so Lindhorst rückblickend. „Wir haben uns Ende September auf meine Initiative hin erneut mit einigen Vertretern von Institutionen, Vereinen und Parteien online getroffen, die schon mit zur Kundgebung aufgerufen hatten. Ende Oktober wird es ein Treffen in Präsenz geben.“
Von den demokratischen Parteien und Jugendorganisationen über Gewerkschaften, die beiden Kirchenkreise bis hin zu Kulturvereinen seien viele dabei geblieben. „Es gibt ganz klare Signale, dass das Bündnis auch über die bis jetzt bestehende Größe noch hinauswachsen wird“, zeigt sich Lindhorst optimistisch.
Aktuell diskutiere man intensiv über den AfD-Landesparteitag im kommenden Jahr und wie damit der Umgang sein könne. „Es soll im Vorfeld und auch während des Parteitags Aktionen geben, die vor allem über die Gefahren eines wieder erstarkenden Rechtsextremismus und über den Hass und die Hetze der AfD aufklären“, blickt Lindhorst voraus. Im Sinne des Kampfes für die Demokratie als gesamtgesellschaftliche Aufgabe sollen Bürger „sehr aktiv“ eingebunden werden. In die konkrete Ausgestaltung werde man zeitnah einsteigen.
Soll der „anstrengende Marathonlauf“ doch noch von Erfolg gekrönt sein, wäre der Zeitpunkt für eine zweite Luft nach holprigem Start jetzt definitiv vonnöten.