„Der Südkreis wäre abgesoffen“
Schon am 21. Dezember ahnt Kreisbrandmeister Thomas Ruß, dass es kritisch werden kann. Der Regen hört nicht auf. Bang blickt er auf den Wasserstand der Böhme in Soltau und Bad Fallingbostel. Mehr und mehr wird aber deutlich: Südlich an Aller und Meiße braut sich etwas zusammen, bei Ahlden steigt das Wasser gefährlich.
„Da zucke ich eigentlich auch nach 45 Dienstjahren“, erinnert sich Ruß in dieser Woche an den 24. Dezember, als er die Stadt- und Gemeindebrandmeister zur besten Mittags- und Baumaufbauzeit alarmiert und zur Lagebesprechung nach Dorfmark bittet. Eine Stunde später um 14.30 Uhr werden an dem Sonntag Landrat und Bürgermeister einbezogen. „So ging das los. Da war den meisten bewusst, dass keine Langeweile aufkommt.“
Die Feuerwehren Rethem, Schwarmstedt, Ahlden und Walsrode rücken aus. Für Ruß ist die nächste Nacht um 4 Uhr endgültig zu Ende. Da beginnt die große Alarmierung auch von Polizei, Rettungsdiensten, Hilfsorganisationen wie DLRG und THW. Um 9.30 Uhr löst die Brochdorfer Wehr als Teil der Kreisbereitschaft Nord die Feuerwehrleute des Südkreises ab.
Christoph Baden hat es zusammengerechnet: 275 Personalstunden leisten allein seine Brochdorfer an den Weihnachtsfeiertagen, und dann noch einmal am 1. und 4. Januar im Hochwassergebiet. Darunter drei Väter und eine Mutter mit Kindern im Kita-Alter. „Und sie waren mehrfach im Einsatz“, ist der Ortsbrandmeister stolz auf seine Leute. Allein am ersten Tag habe man rund 100 Kubikmeter Sand in Säcke geschaufelt.
Stolz ist auch Michael Garten: Als die Alarmierung kommt, hat es nur Sekunden gedauert, da „war das Auto voll“, sagt Wolterdingens stellvertretender Ortsbrandmeister. Insbesondere die Jüngeren der Wehr sind im Einsatz, so können Familienväter und -mütter zu Hause bleiben. Die Wolterdinger sind vom 26. bis 30. durchgehend an der Aller. Aus dem gesamten Nordkreis sind es gleichzeitig an manchen Tagen 150 Männer und Frauen, insgesamt sicher noch mehr.
Die Freude bei den eigenen Familien hält sich in Grenzen
Eins einigt wohl alle: „Wir haben unseren Urlaub an der Aller verbracht“, sagt Jörg Schleifenbaum. Der Soltauer Feuerwehrmann führt bei der Kreiswehr den Fachzug Technische Hilfeleistung als Stellvertreter. Verständnis für den Einsatz gibt es in den Familien, die Freude hält sich dagegen natürlich in Grenzen.
Probleme, die Reihen zu füllen, hat es dennoch nie gegeben. Warum? „Weil wir immer loslaufen, wenn der Alarm klingelt“, sagt Garten. Weil das Verantwortungsbewusstsein, die Selbstverpflichtung hoch sei, ergänzt Ruß. Zudem ist allen klar, dass es sehr kritisch wird, dass der Einsatz massiv ausfallen muss. Und er sei greifbar gewesen, weil er um die Ecke liegt. Anders als bei früheren 48-Stunden-Einsätzen an der Elbe sind Acht-Stunden-Schichten vorgesehen. Manchmal werden es auch 13 Stunden, weil man sich nach anderen Hilfsorganisationen richten muss, danach, welche Straße gesichert werden muss, ob genug Vlies, Folie und Sandsäcke vorhanden sind, die Einsatztaucher vor Ort sind, sagt Matthias Meyer als stellvertretender Kreisbrandmeister. „Da muss man sich abstimmen, dass man loslegen kann, effizient und schnell ist und was schafft.“
Und tatsächlich soll der Einsatz auch Sinn ergeben. Den hinterfragen die Brochdorfer Feuerwehrleute nur einmal kurz am 25. Dezember, als der Einsatzstab im Kreishaus anweist, die Straße zum Serengetipark mit einem Sandsackwall zu sichern. Eine Gefahr ist da nicht zu erkennen. „Da haben wir entlang der Straße mal zwei Säcke übereinander gepackt“, erinnert sich Bade. Vier Tage später ist die kleine Mauer zu einem Wall angewachsen. Das Grundwasser steigt und steigt um gut einen Meter, schiebt die schwere Sackbarriere sogar aus der Bahn. „Das war der Aha-Effekt“, sagt Baden, als die Notwendigkeit klar wird. Die taktische Maßnahme ist erfolgreich, entlastet Straße und Freizeitpark. „Gut, dass wir mit den Sandsäcken angefangen haben.“
Um die Kreiskräfte der Feuerwehr zu entlasten, alarmiert die Feuerwehrspitze Helfer aus Uelzen, Harburg und Lüneburg. Sie bilden eine dritte Mannschaft an der Aller, erklärt Ruß. Auch Wehren wie die aus Trauen, die eigentlich nicht zur Kreisbereitschaft gehören, werden angefordert: „Wir haben sehr motivierte Kräfte. Es ist phänomenal“, findet Schleifenbaum. Im Grunde geht es darum, das große Ganze im Blick zu haben, nicht nur die Schadenslage, sondern auch den Kräfteeinsatz, um die Durchhaltefähigkeit zu sichern. „Das ist ein System mit allen Hilfsorganisationen, das auf Knopfdruck funktioniert.“
Dennoch ist die Dimension zumindest aus Sicht des Kreisbrandmeisters gewaltig. So einen administrativen und operativen Einsatz, der auch vom Innenministerium aus begleitet wird, hat es noch nie gegeben. Selbst der Chemieunfall bei Kraft in Bad Fallingbostel 2012 war lokal und zeitlich beschränkt, erinnert sich Ruß. Bestens vorbereitet sei man auch gewesen, weil solche Katastrophenszenarien seit wenigen Jahren wieder im Mittelpunkt stehen und geübt werden. Matthias Meyer spricht von einem „Gleichklang aller Beteiligten“.
„Ohne das Ehrenamt wäre der Südkreis abgesoffen“, klingt es beim Kreisbrandmeister ebenso stolz wie bei den Ortswehren. Wer sollte es denn sonst machen, schiebt Ruß eine Frage nach und beantwortet sie gleich selbst: Ohne Ehrenamt geht das nicht und meint nicht nur die Feuerwehrleute, sondern alle freiwilligen Helfer und das Zusammenspiel bis hin zu den Behörden.
Berufsfeuerwehr als Option? Das könne keine Stadt leisten
Angesichts der Zunahmen von Katastrophenszenarien will keiner der Feuerwehrleute etwas von einer Berufsfeuerwehr hören. Das könne keine Stadt leisten, und Berufswehren machten nach acht Stunden Feierabend. Dennoch müsse reagiert werden, findet Meyer, der Ruß im April als Kreisbrandmeister folgen wird. „Wir benötigen sicher Finanzen und müssen in Einsatzmittel und Equipment investieren, beispielsweise in Sandsackfüllmaschinen. Da kann man den Kräfteeinsatz halbieren“. Schließlich müsse man auch wie aktuell das Tagesgeschäft in den Kommunen absichern.
Egal, wie kaputt sie sind, sie werden immer wieder helfen
Das System der freiwilligen Feuerwehr funktioniert, sagt auch Ruß. Auch wenn es ein Hobby ohne Anerkennung sei, wie der Wolterdinger Garten es formuliert. Zumindest finanziell wolle man das auch gar nicht. „Deshalb machen es die Leute nicht. Kein Herz schlägt höher als das eines Freiwilligen. Und das war schon immer so. Egal, welche Katastrophen es sind, wie kaputt man ist, die Leute werden immer wieder helfen“, sagt Baden. Aber natürlich nähmen die Frequenzen zu, erinnert Meyer an Einsätze an der Elbe, in der Sächsischen Schweiz, beim Moorbrand, in Frankreich. Dann stelle sich möglicherweise künftig die Frage, wie man den Freistellungsanspruch beim Arbeitgeber durchsetzen kann. Bislang jedenfalls sei die Akzeptanz bei diesen und bei den Freiwilligen gegeben. „Was nur nicht passieren darf, ist schlechtes Essen. Warm muss es sein und nach irgendwas schmecken“, grinst Baden. „Alles andere ist egal.“