„Ihr seid ein Vorbild für viele“
Kurz nachdem das letzte BZ-Foto im Kasten ist, steigen Fiete und Jan hinten ins Polizeiauto und schon braust es los. Die Polizistin Anna-Sophie Gonska und ihr Kollege Frank Rohleder sind vom Mumm der Jungs so begeistert, dass es für sie das große Polizeibesteck gibt: die Fahrt im Polizeiwagen, den Blick in Zellen und den Besuch bei den Kollegen der Wache. „Alles was ihr wissen wollt, erklären wir euch.“
Der zehnjährige Jan Wendiggensen und sein elfjähriger Freund Fiete Meine haben vor gut zwei Wochen großen Mut und Zivilcourage bewiesen. Sie haben gezeigt, wie man anderen Menschen helfen kann. „Sie sind nicht weggelaufen, sondern haben sich einer Erwachsenen anvertraut und die Polizei gerufen. Und dann haben sie tapfer auf uns gewartet“, loben Gonska und Rohleder. „Ihr seid Vorbild für viele.“
Was war passiert? Die beiden Jungen wollten an dem Dienstag Mitte August in die Alte Reithalle zur Abschlussveranstaltung des Sommerleseclubs. Auf dem Hinweg kurz hinter der Bibliothek Waldmühle beobachteten sie am Ufer der Böhme eine Frau und einen Mann, die sich heftig stritten. „Sie haben sich geschubst, gegenseitig geschlagen. Dann sind die Sachen zerrissen, die Frau hat gekratzt und mit einem Stock gehauen. Der Mann war betrunken, er hatte eine leere Schnapsflasche in der Hand“, erzählt Jan.
Die beiden Jungen waren so geschockt von der Situation, dass sie sich zunächst hinter einem Busch versteckt haben. Irgendwann hätten sie gehört, wie die Frau gerufen habe, der Mann solle weggehen, sie wolle alleine sein. Der Mann habe die Frau schließlich in die Böhme geworfen, sie sei auch am Bein verletzt gewesen.
Erst hätten sie überlegt, mit Fietes Handy die Eltern anzurufen. Aber als eine Frau mit einem E-Roller an den beiden Jungen vorbeifuhr, sprachen sie sie an, ob sie nicht helfen könnte. „Sie hat sich das dann angeguckt. Wir haben sie gefragt, ob sie nicht die Polizei rufen könnte. Das hat sie gemacht“, sagt Fiete. Die entsprechende Nummer weiß er natürlich: es ist die 110.
Bedroht hätten sie sich selbst nicht gefühlt. Aber ziemliche Angst „habe ich schon gehabt“, erinnert sich Jan. Es habe ihn erschreckt, dass Menschen so miteinander umgingen. Glücklicherweise sei die Polizei schnell da gewesen. Auch Polizistin Anna-Sophie Gonska war vor Ort.
Auch Erwachsene reagieren oft nicht richtig
Sie kennt solche Situation aus ihrer täglichen Arbeit und weiß, dass selbst Erwachsene meist nicht richtig reagierten, sondern lieber weitergingen, als Hilfe zu holen. Das sei auch an dem Nachmittag im Böhmepark so gewesen. Viele Erwachsene seien vorbeigekommen, hätten sich nicht gekümmert. „Ihr habt das genau richtig gemacht“, lobt ihr Kollege Frank Rohleder Jan und Fiete, die in Soltau und Frielingen wohnen. „Ihr habt euch das aus der Ferne angeschaut, euch nicht selbst in Gefahr begeben und Hilfe geholt.“
Rohleder und Gonska wissen, dass viele Menschen Scheu haben, sich an die Polizei zu wenden, wenn sie beispielsweise verdächtige Autos sehen: „Dann wollen sie uns nicht unnötig behelligen oder sie denken, da wird schon jemand anderes anrufen“, sagt Rohleder. Gonska appelliert daher an alle, im Notfall oder bei verdächtigen Beobachtungen den Notruf zu wählen, lieber einmal öfter als zu wenig. An dem Dienstag seien der Mann und die Frau zunächst von den Polizisten getrennt worden, um den Sachverhalt zu klären: „Alkohol spielte natürlich auch eine Rolle. Wir haben zwei Strafanzeigen aufgenommen“, sagt Gonska.
Die beiden Jungen beschäftigt der Vorfall bis heute. Schlecht geschlafen hätten sie danach zwar nicht, erzählen Fiete und Jan. Aber immer, wenn sei jetzt an der Stelle im Böhmepark vorbeikämen, würden genauer hinschauen. Jan hat der Polizeieinsatz so beeindruckt, dass er sich vorstellen könnte, selbst einmal Polizist zu werden. Fiete will lieber Fußballer werden oder Motocrossrennen fahren wie sein Vater. Für die 27-jährige Anna-Sophie Gonska könnte es keinen besseren Beruf geben, sie freue sich, wenn sie helfen könne, habe viel Spaß an ihrer Arbeit, auch wenn nicht alle Erfahrungen so positiv seien. Aber solche Erlebnisse wie mit den aufgeweckten Jungs Jan und Fiete entschädigten für vieles.
Tipps für Zeugen und Helfer
Sechs Tipps für Zeugen und Helfer zählt die polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes auf ihrer Webseite www.aktion-tu-was.de auf: hilf, aber bring Dich nicht in Gefahr, ruf die Polizei unter 110, bitte andere um Mithilfe, präg dir Tätermerkmale ein, kümmer Dich um Opfer, sag als Zeuge aus. Alle seien von Gesetzes wegen verpflichtet, bei einer Straftat nach Möglichkeiten einzugreifen. Jeder trage Verantwortung dafür, dass das Zusammenleben in der Gesellschaft friedlich und zivilisiert erfolgt, heißt es dort.