Traktoren und Transparente gegen Agrardiesel-Beschlüsse
„Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin.“ Wenn Fußballfans dieses Ziel skandieren, ist das ein Ausdruck der Freude darüber, dass ihre Mannschaft den Sprung in die nächste Runde des DFB–Pokalwettbewerbs geschafft hat, dessen Finale im Olympiastadion stattfindet.
In die Hauptstadt zog es am gestrigen Montag Landwirte aus dem gesamten Bundesgebiet – allerdings nicht, um sportliche Erfolge zu feiern, sondern aus Protest gegen die Bundesregierung.
Die muss nach dem 60-Milliarden-Euro-Urteil des Bundesverfassungsgerichts kräftig sparen, um ihren Haushalt genehmigungsfähig zu bekommen. Um 17 Milliarden Euro muss der überarbeitete Entwurf zusammengestrichen werden, nach den Plänen unter anderem durch den Wegfall der Förderung für den Kauf von Elektroautos.
Großes Einsparpotenzial sieht die Ampelkoalition bei der Landwirtschaft. Sie will innerhalb ihrer Haushaltsplanung für 2024 die Beihilfe für Agrardiesel streichen. Außerdem sollen Landmaschinen nicht mehr von der Kfz-Steuer befreit werden. Allein die Subvention von Agrardiesel beläuft sich auf rund 450 Millionen Euro.
Das ist keine gute Botschaft so kurz vor Weihnachten. Die Landwirte und ihre Interessenvertretungen befürchten, dass bei Umsetzung der Beschlüsse der Strukturwandel an Fahrt gewinnen und das Höfesterben beschleunigt werde. Um den Unmut darüber und die Forderung nach Rücknahme der Beschlüsse deutlich zu machen, hatten die bäuerlichen Interessenvertretungen zur Kundgebung aufgerufen.
Mehrere Tausend Landwirte versammelten sich am Montagvormittag vor dem Brandenburger Tor. Der Landvolk-Kreisverband Lüneburger Heide war mit zwei Bussen vertreten. Die Gruppe aus dem Heidekreis mit 29 Kundgebungsteilnehmern wurde angeführt vom neuen Kreisvorsitzenden Henrik Rump und Geschäftsführer Henning Jensen. Darüber hinaus waren etwa 40 Landwirte und Lohnunternehmer aus dem Verbandsgebiet, den Landkreisen Harburg und Heidekreis, mit ihren Arbeitsgeräten angereist. Sie waren am Sonntagabend mit Traktoren auf die etwa 300 Kilometer-Tour in die Hauptstadt gestartet, wo sie sich in die Konvois auf den Hauptverkehrsachsen einreihten und erkennbar Wirkung erzeugten. „Berlin stand still“, so Rump. Damit sei ein Teil des Anliegens erreicht worden: Der Protest sei angekommen, „wir sind wahrgenommen worden“.
Ob das andere, wichtigere Ziel, die Rücknahme der Beschlüsse, erreicht werde, bleibe abzuwarten. Man werde am Ball bleiben. Das habe Joachim Rukwied, der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, bei der Kundgebung vor dem Brandenburger Tor deutlich gemacht und eine härtere Gangart angekündigt, sollte sich in den kommenden Wochen nichts im Sinne der Landwirte bewegen.
„Die Stimmung war kämpferisch“
Dass er, kaum im Amt als Vorsitzender des Landvolk-Kreisverbands Lüneburger Heide, den er gemeinsam mit seinem Harburger Kollegen Wilhelm Neven leitet, den Protest seiner Berufskollegen aus der Region anführen würde, hätte Henrik Rump bei seiner Wahl vor vier Wochen nicht gedacht. Der Schwarmstedter war am gestrigen Montag bei der Kundgebung des Bauernverbandes gegen die angekündigte Streichung der Agrardiesel-Förderung in Berlin dabei.
Rump weiß, dass Zahlungen an die Landwirtschaft, Subventionen, oft kritisch beäugt werden. Gleichwohl verteidigt er den Protest, sieht ihn als berechtigt an und betont, dass „wir nicht mehr fordern“, sondern die Beibehaltung einer Leistung. Die deutsche Landwirtschaft sei auf die Agrardiesel-Verbilligung (Infobox) angewiesen, wenn sie wettbewerbsfähig bleiben solle. Die Abschaffung wäre ein „Novum“. Alle Nachbarländer würden ihre Landwirte in dieser Form unterstützen. Je nach Betriebsgröße mache sie zwischen 2500 und 7000 Euro jährlich aus. Eine unverzichtbare Unterstützung, auf die man bauen könne, anders als der Ernteertrag, der von der Witterung und den Preisen am Markt abhängig sei.
Rump, der einen Betrieb in Norddrebber in der Samtgemeinde Schwarmstedt führt, ist selbst gespannt, wie der Protest seiner Berufskollegen weitergeführt wird. „Die Stimmung am Brandenburger Tor war kämpferisch.“ Bauernpräsident Joachim Rukwied habe bei der Kundgebung für den Fall, dass die Bundesregierung nicht auf die Landwirte-Forderungen eingehe, Aktionen angekündigt, wie man „sie bisher noch nicht erlebt hat“. Was genau damit gemeint ist, wisse er nicht, sagt der Landvolk-Kreisvorsitzende.
Am Donnerstagabend waren Niedersachsens Agrarministerin Miriam Staudte (Grüne) und ihre Familie Ziel des Protestes geworden. Nach Angaben der Ministerin waren Landwirte mit 30 Traktoren hupend vor ihr Privathaus im Kreis Lüchow-Dannenberg gefahren und hatten das Gebäude umzingelt. „Das Grundstück wurde eingeparkt“, sagte Staudte, die selbst nicht zu Hause war. Das Ganze habe etwa 15 Minuten gedauert. Ihre Söhne im Teenageralter seien zu Hause gewesen. Eine Nachbarin, die sich erkundigt habe, sei beschimpft worden. Die Ministerin, die die Pläne der Ampelkoalition zuvor selbst kritisiert hatte, zeigte sich erschüttert: „Das ist keine Art der politischen Auseinandersetzung. Ich akzeptiere ein solches Vorgehen nicht.“ Sie hat inzwischen Anzeige erstattet.
Staudte vermutet den Zusammenschluss „Land schafft Verbindung“ hinter der Demo. Der Landesvorsitzende Dirk Koslowski wies den Vorwurf zurück. „Wir haben damit nichts zu tun. Wir sind lediglich in Polizeibegleitung durch den Ort gefahren“, sagte Koslowski. Rump distanzierte sich klar von derartigen Formen des Protestes. Persönliche Einschüchterungen könnten nicht angehen.