„Ein sehr hässliches Gefühl“
Es fühle sich an wie ein schwarzes Loch, beschreibt Alexandra Roth ihre Erinnerungslücke. Acht Stunden fehlen ihr. Vor fünf Jahren wurde die heute 45-jährige Opfer von K.o.-Tropfen. Roth hat daraufhin die Initiative „No! K.O. Geh auf Nummer sicher“ gegründet. Die Bonnerin hatte damals, wenn man so will, viel Glück: Sie war in Begleitung eines Freundes feiern, der die Situation erkannte, sich um sie kümmerte und sicher nach Hause brachte, sodass sie sicher weiß, dass ihr nichts passiert ist.
Viele Opfer von K.o.-Tropfen haben diese Sicherheit nicht. Sie wachen an Orten auf, von denen sie nicht wissen, wie sie dorthin gekommen sind und können sich auch an die vergangenen Stunden nicht erinnern. Auf der Zeltfete der Landjugend Behringen hat es Ende Oktober einen mutmaßlichen Fall von K.o-Tropfen gegeben, die Polizei ermittelt wegen des Verdachts einer versuchten Sexualstraftat. Derzeit würden Proben des Opfers im Landeskriminalamt Niedersachsen untersucht, das werde erfahrungsgemäß noch einige Zeit in Anspruch nehmen, so Polizeisprecher Tarek Gibbah. Valide Zahle zum Themenkomplex K.o.-Tropfen habe die Polizei nicht, das liege am polizeilichen Bearbeitungssystem, da K.o.-Mittel für viele verschiedene Straftaten genutzt werden könnten. Dennoch könne man sagen, dass sich die Fallzahlen in diesem Jahr im Kreis im einstelligen Bereich befänden, die Polizeiinspektion Heidekreis beobachte zurzeit nicht, dass Fälle mit K.o.-Tropfen verstärkt angezeigt würden, so Gibbah.
Die Mittel, um die es in solchen Fällen geht, sind farblos, geruchs- und geschmacksneutral. So können sie zum Beispiel auf Partys unbemerkt Speisen oder Getränke zugefügt werden. Sie verursachen Schwindel und Übelkeit bis zur Bewusstlosigkeit.
„Wenn es der Freundin oder dem Freund nicht gut geht, ihr oder ihm schwindelig und schlecht ist, ist das ein Warnsignal“, sagt Sandra Wendt, Beauftragte der Polizeiinspektion Heidekreis für Jugendprävention. Das gelte besonders, wenn die Person nicht so viel getrunken habe, dass das die Symptome erklären könnte. Aber auch wenn viel Alkohol konsumiert wurde und es dem anderen körperlich schlecht gehe, gelte es ihn oder sie im Blick zu behalten und gegebenenfalls Hilfe zu holen. Schwindel und Übelkeit könnten die ersten Anzeichen sein, ein Warnzeichen sei es zudem, wenn die Person nicht mehr ansprechbar ist, gefolgt von Bewusstlosigkeit.
Wachen die Betroffenen auf, fehlt ihnen die Erinnerung an die vorangegangenen Stunden. K.o.-Tropfen können einen Erinnerungsverlust verursachen, der zwischen zwei und acht Stunden dauern kann.
„Wenn es der Freundin nicht gut geht, ihr schwindelig und schlecht ist, ist das ein Warnsignal“ Sandra Wendt, Beauftragte für Jugendprävention, Polizeiinspektion Heidekreis
„Es ist ein sehr hässliches Gefühl, Fotos von mir von dem Abend zu sehen und mich nicht mehr erinnern zu können. Nach dem Abend habe ich mich geschämt und schäbig gefühlt, obwohl man ja nichts dafür kann“, sagt Roth. Geholfen habe ihr, über das Erlebte zu sprechen und es für etwas Positives zu nutzen. Über ihre Initiative macht sie auf das Thema aufmerksam, spricht zum Beispiel in Schulen mit Jugendlichen über die Gefahren von K.o.-Tropfen.
Auf die Schüler mache es Eindruck, wenn eine erwachsene Frau von ihren Erfahrungen mit K.o.-Tropfen erzähle. „Man merkt, dass sie denken: ‚Wenn das sogar einem Erwachsenen passieren kann, dann muss es gefährlich sein.“ Wichtig sei ihr zu vermitteln: „Ihr sollt richtig feiern können, aber sicher.“
Habe man beim Feiern den Verdacht, dass jemandem K.o.-Tropfen untergemischt wurden, rät Wendt dazu einen Rettungswagen zu rufen und direkt die Polizei zu informieren. „Die Person darf auf keinen Fall alleine gelassen werden“, sagt sie. Wenn man alleine feiere oder seine Freunde aus den Augen verloren habe und merke, dass es einem schlecht gehe, könne man das Personal auf der Feier ansprechen. Wichtig sei auch dann nicht alleine zu bleiben. „Die Opfer haben oft das Bedürfnis an die frische Luft zu gehen und verlassen alleine den Ort der Feier, genau darauf setzen die Täter“, sagt Wendt.
Als K.o.-Tropfen werden verschiedene Mittel eingesetzt
Wer anderen K.o.-Tropfen ins Getränk mischt, begeht eine Straftat. Das Untermischen ist eine gefährliche Körperverletzung, erklärt die Präventionsbeauftragte. Die Täter verfolgten meist das Ziel einer weiteren Straftat: Werden Frauen K.o.-Tropfen verabreicht gehe es oft um sexuellen Missbrauch, bei Männern meist um Eigentumsdelikte. Bei den Mitteln, die für die Taten eingesetzt werden, handelt es sich oft um Gammahydroxybuttersäure (GHB), auch bekannt unter dem Namen Liquid Ecstasy. Es können aber auch andere Mittel von den Tätern verwendet werden, zum Beispiel Medikamente, die eine beruhigende Wirkung haben.
Um sich vor K.o-Tropfen zu schützen, sollten offene Getränke nicht unbeobachtet und im Zweifel unausgetrunken stehen gelassen werden, so die gängige Warnung. Aber nicht nur die Feiernden selbst, auch die Veranstalter könnten dafür sorgen, dass eine Party sicherer verlaufe, sagt Roth. Geschultes Sicherheits- und Gastronomiepersonal gehöre dazu. Seit dem Vorfall findet sie es auch angenehmer, wenn auf Partys Getränke in Flaschen angeboten werden. So könne man sich sicher sein, dass dem Getränk bei der Zubereitung nichts hinzugefügt wurde. Mit Stopfen lässt sich außerdem der Flaschenhals verschließen, so haben es Täter schwerer an das Getränk zu kommen. Die Schutzmöglichkeiten für Gläser wie Stoffdeckel seien leichter zu überwinden und bei Getränken wie Bier für viele wenig praktikabel, weil dann mit Strohhalm getrunken werden muss. Einlasskontrollen und das Verbot, jegliche Flüssigkeiten mitzubringen, könnten ebenfalls helfen. „Bei diesen Kontrollen würden kleine Fläschchen auffallen, die oft für K.o.-Tropfen genutzt werden“, sagt Roth.
Eine verlässliche Statistik, wie viele Fälle von K.o.-Tropfen es in Deutschland jährlich gibt, existiert nicht. Das liegt auch daran, dass nicht alle Opfer an K.o.-Tropfen als möglichen Grund für ihre Symptome denken, aber auch Scham und Schuldgefühle hindern Betroffene daran, Anzeige zu erstatten. Wendt ermutigt dazu, sich trotzdem an die Polizei zu wenden. Auch dann, wenn man erst im Nachhinein den Verdacht habe, dass einem K.o.-Mittel verabreicht worden sein könnten. Zwar seien K.o.-Mittel nur wenige Stunden im Körper nachweisbar, die Polizei habe aber darüber hinaus weitere Möglichkeiten, um zum Beispiel bei Verdacht auf eine Sexualstraftat zu ermitteln.
Betroffenen rät die Präventionsbeauftragte dazu, sich bei Beratungsstellen Hilfe zu holen: „Es muss ein komisches und beklemmendes Gefühl sein, nicht zu wissen, was passiert ist.“
Prävention und Warnzeichen
Um sich vor K.o.-Mittel zu schützen, raten die Beratungsstelle Notruf Bremen und die Beratungsstelle Hannover:
- Getränke im Blick behalten, im Zweifel stehen lassen,
- keine offenen Getränke von Unbekannten annehmen,
- offene Getränke auch dann nicht annehmen, wenn die Zubereitung nicht beobachtet werden konnte,
- wenn einem etwas komisch vorkommt, auf das eigene Gefül vertrauen, im Zweifel die Feier – zu zweit – verlassen,
- wenn man merkt, dass es einem schlecht geht, Freundinnen, Freunde oder das Gastronomie- oder Sicherheitspersonal ansprechen.
Anzeichen für die ungewollte Einnahme von K.o.-Tropfen sind:
- vor dem Erinnerungsverlust setzen häufig Schwindel, Schweißausbrüche und ein benebeltes Gefühl ein,
- andere physische Auffälligkeiten können Kopfschmerzen, Benommenheit, Erbrechen, motorische Unruhe und Muskelschwäche sein.
- die Stimmung der Betroffenen kann sich verändern, sie kann zum Beispiel auffällig gehoben sein. Die Betroffenen sind euphorisch und können auf andere enthemmt werken, auch ein Rauschgefühl kann auftreten. Aber auch Schläfrigkeit, Verwirrtheit und Orientierungslosigkeit können Anzeichen sein.
Bei Verdacht auf die Gabe von K.o.-Mitteln sollte ein Rettungswagen gerufen oder umgehend ein Krankenhaus aufgesucht werden. Auch die Polizei sollte informiert werden.
Folgen der ungewollten Einnahme von K.o.-Tropfen:
- schlagartiger Erinnerungsverlust (Dauer zwischen zwei und acht Stunden) auch bei geringen Dosen,
- nachdem die Betroffenen wieder zu sich gekommen sind,sind sie oftmals völlig verweint. Sie können unter starker Übelkeit, häufig mit stundenlangem Erbrechen, Panik- und Angstanfällen leiden,
- auch Tage später haben manche Opfer noch erhebliche Konzentrationsstörungen. Es können schlaglichtartige Bilder und Szenen ins Bewusstsein kommen, ohne einen Zusammenhang zu ergeben,
- die Betroffenen können – wie nach anderen Straftaten auch – posttraumatische Belastungsstörungen entwickeln, auch wenn sie keine Erinnerung an das Geschehen haben.
Darüber hinaus können K.o.-Tropfen zum Tod führen. Die bewusstlosen Opfer können an ihrem Erbrochenen ersticken, außerdem können die Mittel zum Tod durch Atemlähmung oder durch Multiorganversagen führen.