Tierische Modelle mit Botschaft
Wer seinen Blick über die Weide vom Höllershof in Ellinghausen schweifen lässt, sieht eine bunte Mischung unterschiedlicher Rassen: ungarische Zackelschafe mit ihren Dreadlocks, Waliser Schwarznasen mit ihren dunklen Gesichtern. Und auch ein paar gehörnte Kollegen grasen auf der Weide, die mit ihrer Senke, dem kleinen Wäldchen auf einer Anhöhe, dem Stall und den Eseln, die gerade aus dem Stall gucken, an Bullerbü erinnert.
Was der geneigte Betrachter des Idylls nur anhand der Staffelei erahnen könnte, die am Zaun steht: Sie alle sind Modelle, ihre Portraits hängen nicht nur an den Wänden des Ateliers von Stefanie Klymant nebenan, sondern sind schon um die Welt gereist. Mit ihren Tierportraits hält die 55-Jährige bedrohte Arten mit Pinsel und Farbe fest und macht so aufmerksam auf „ihre“ Schützlinge: nicht nur die Schafe, sondern auch die weißen Barockesel, von denen es weltweit nur noch 400 gelistete, ins Zuchtbuch eingetragene Exemplare gibt.
Tiere hat die Künstlerin immer schon gemalt. Als passionierte Reiterin war es nur folgerichtig, dass auch die eigenen Pferde und Esel Modell standen. Irgendwann begann sie, sich nicht nur für das Wesen und den Charakter der in Öl oder Acryl festgehaltenen Tiere zu interessieren, sondern auch für deren Hintergründe. Für das Portrait eines Poitou-Esels recherchierte sie im Haus- und Nutztierpark Arche Warder, lernte Tierpfleger und Züchter kennen – der Zugang zu einer „sehr spezielle Szene“, wie sie zugibt. Viele seien ein bisschen schräg, „sie glauben an ihre Sache, und ihr Enthusiasmus spiegelt sich in den Tieren wieder.“ Bei seltenen Rassen sei die Vernetzung der Halter besonders groß. Und das müsse sie auch, gelte es beim Züchten doch, immer wieder frisches Blut einzuführen und so den Genpool zu erweitern. Für ihre Recherchen, die immer in Bildern münden, reiste sie mit einem Exemplar des „Landvergnügens“, einem Campingführer für Genussfreunde, durch die Lande und hielt Coburger Füchse, Thüringer Waldziegen und bunte Bentheimer fest. So will Klymant das Bewusstsein für vom Aussterben bedrohten Rassen schärfen: „Viele Menschen wissen nicht, dass beispielsweise die Gloucesterschweine vom Aussterben bedroht sind, weil ihre Pigmentierung das Fleisch schwarz macht.“
„Den sturen Esel gibt’s nicht, es ist eins der schlauesten Tiere“ Axel Klymant Forstwirt
Irgendwann entstand über eine Teilnehmerin ihrer Malkurse der Kontakt zu einer großen Kreuzfahrtgesellschaft – und die Idee, auf „hoher See“ auszustellen. Die schwimmende Galerie sollte Tiere zeigen, die die Kreuzfahrtgäste auch auf ihren jeweiligen Landgängen zu sehen bekämen: Kamele bei der Umrundung der arabischen Halbinsel, Orang-Utans in Papua-Neuguinea. So zog es Klymant zur Vorbereitung jeder Reise zur Kamelfarm der Familie Marquardt in Hiddingen, zu einer Falknerin oder in Hagenbecks Zoo nach Hamburg. Ihre Orang-Utan-Bilder für eine Reise nach Sumatra und Borneo sind inzwischen eine Wanderausstellung, für den Zoo Rostock malte sie live am Gehege, genau beobachtet von einer neugierigen Orang-Utan-Frau. Als Klymant ihr den Skizzenblock zeigte, musterte die tierische Beobachterin Werk und Malerin ganz genau: „ein Herzensmoment“, beschreibt sie den intensiven Kontakt.
Von Tieren, die sie nicht „live“ erleben konnte, ließ sie sich Fotos schicken – und stellte fest: „In Natura ist es besser“. Schließlich geht es auch darum, die Tiere in ihren Eigenheiten festzuhalten, beispielsweise den besonderen Gang der Zackelschafe. Doch wohin mit all den tierischen Modellen? Selbst auf dem Hof in Ellinghausen, den das Ehepaar vier Jahre lang umgebaut hat, ist der Platz begrenzt. Ehemann Axel, als Forstwirt von Grund auf pragmatisch, prägte die Devise: „Leihen ist besser als Haben“ – die Idee einer „Sommerfrische“ für tierische Gäste war geboren. Bereits im zweiten Jahr tummeln sich bei den Klymants den Sommer lang acht Shropshireschafe, beobachtet und gemalt von der Landwirtstochter: „Nach ein paar Tagen konnte ich sie auseinanderhalten, jedes ist individuell und zeigt immer wieder neue Gesichter.“ Bei ihren Bildern stellt sie die Rassemerkmale heraus, gern auch farblich überspitzt, betont, aber auch das Individuelle – Betrachter staunen oft über den expressiven, fast menschlichen Gesichtsausdruck ihrer Figuren. Einem Besucher, erinnert sich die gebürtige Soltauerin schmunzelnd, entfuhr beim Anblick des Portraits eines Merinoschafs: „Das sieht aus wie meine Schwester!“
Der „Verleih“ einer Herde sei natürlich auch eine Vertrauensfrage, „das funktioniert nur, wenn man sich gut kennt“, betont Axel Klymant. Nächstes Jahr sollen hier einige Poitou-Esel „Sommerurlaub“ machen, wenn der Paddock für die nächsten besonderen Gäste eingerichtet ist. An Modellen mangelt es Klymant bis dahin jedoch nicht: ihre Barock-Esel bieten jede Menge Motive. Ursprünglich als Gesellschaft für die Kinder von Adeligen gezüchtet, wurde auf das gute Benehmen und Freundlichkeit der Tiere geachtet. „Weiß galt als schick, als Lichtbringer.“ Bockig seien die Tiere keineswegs, nur skeptisch gegenüber Neuem. „Wenn sie erstmal Vertrauen aufgebaut haben, gehen sie überall mit hin, das sind Freunde fürs Leben“, weiß Axel Klymant, „den sturen Esel gibt’s nicht, es ist eines der schlauesten Tiere.“ Die regenunempfindlichen Tiere, die das ganze Jahr im offenen Stall ein- und ausgehen, wirken mit ihren blauen Augen fast wie Fabelwesen, „von weitem fast wie Einhörner, nur ohne Horn“, schwärmt Klymant über ihre tierischen Models, die sie passend zum Barock Marie und Antoinette genannt hat. Sollte es mit der Eintragung ins Zuchtbuch klappen, könnte schon bald Nachwuchs ins Haus stehen, „die heißen dann Louis und Quatorze“, schmunzelt sie.
Von Ulla Heyne