„Den Tramper-Daumen kennt fast jedes Land auf unserer Reise“

Pauline Kalender und Ole Maaß trampen von Soltau nach Fernost und zurück – hier nimmt sie in der Mongolei in der Nähe von Bulgan ein Lkw-Fahrer mit, der Kohle nach China bringt.

Von Soltau über Land nach Vietnam und das auf klimafreundliche Weise? Pauline Kalender und Ole Maaß haben sich im April auf den Weg gemacht, per Anhalter auf ihre Weltreise. Zurzeit sind sie in China unterwegs. Da das Telefonieren dorthin schwierig ist, haben wir das Interview per Mail geführt. Darin erzählen sie vom Start in der Celler Straße in Soltau, von ihrer Reiseroute, wer sie so alles im Auto mitnimmt und davon, wie gastfreundlich sie unterwegs aufgenommen werden. Die beiden 28-Jährigen kommen aus Soltau, haben am hiesigen Gymnasium ihr Abitur abgelegt und danach ein paar Jahre in Osnabrück, Kolumbien, Schweden und Südafrika studiert. Vier Jahre haben sie im bayrischen Erlangen gearbeitet.

Wo befindet ihr euch gerade?

Wir sind gerade in Datong, China, in einem gemütlichen Café nahe der alten Stadtmauer. Datong ist vor allem für die buddhistischen Höhlentempel aus dem 5. Jahrhundert sowie ein hängendes Kloster bekannt.

Wie sieht euer aktuelles Umfeld aus?

Wir erholen uns gerade von einer abenteuerlichen Nacht, die wir unter freiem Himmel auf der Chinesischen Mauer verbracht haben. Durch den eisigen Wind haben wir in unseren Schlafsäcken wenig geschlafen und wurden um 8 Uhr morgens schließlich von einem aufgeregten Sicherheitsbeamten verscheucht. Der Sonnenaufgang über den nordchinesischen Bergen und dem unglaublich alten Bauwerk waren unsere kommende Erkältung allerdings definitiv wert.

Wir kommt ihr denn so voran?

Wir sind seit ziemlich genau einem halben Jahr unterwegs und sind in der Zeit bis nach China getrampt – wir kommen also sehr gut voran. Und nicht nur das – wir haben in dieser Zeit auch unglaublich viel erlebt. Gerade das Trampen ermöglicht uns viele Einblicke, die wir sonst verpassen würden. So haben wir zum Beispiel in der mongolischen Wüste Lkw-Reifen gewechselt, wurden in der Mittagspause zum Schafskopf-Essen eingeladen, sind nachts in den georgischen Bergen mit einem Lada Niwa stecken geblieben und haben unter anderem in einem Lkw-Hochbett und einem Museum neben ausgestopften Bären übernachtet.

Seid ihr viel zu Fuß unterwegs oder klappt es mit dem Trampen?

Wahrscheinlich sind die Landstriche teilweise nur gering besiedelt und man muss lange am Straßenrand stehen und den Daumen rausstrecken? In den meisten Ländern klappt Trampen sehr gut. Wir haben bisher selten länger als 15 Minuten am Straßenrand gestanden – und das bis nach China. In wenig befahrenen Gegenden dauert es schon mal länger, bis ein Auto vorbeikommt. Gerade dort nimmt uns allerdings dann auch fast jedes Auto mit. Zu Fuß sind wir auch oft unterwegs, allerdings meist für mehrtägige Bergtouren und nicht, weil uns niemand mitnimmt.

Streckt ihr den Daumen überhaupt raus oder wie haltet ihr Fahrzeuge an?

Den Tramper-Daumen kannte bisher fast jedes Land auf unserer Reise. In manchen Ländern ist es üblicher, den Arm auszustrecken und die Hand dabei entspannt hängen zu lassen. So halten viele auch Taxen oder Marschrutkas an, das sind öffentliche Minibusse in den ehemaligen Sowjetrepubliken.

Wer nimmt euch so mit? Was waren die waghalsigsten Mitfahr- oder Reisegelegenheiten?

In vielen Ländern nehmen uns vor allem 40- bis 60-jährige, alleinfahrende Männer mit, häufig Berufsfahrende wie Lkw-, Taxi- oder Lieferwagenfahrer. Unsere waghalsigste Mitfahrgelegenheit waren bisher zwei betrunkene Fischverkäufer im wunderschönen Armenien. Beide hatten etwa eine Flasche Wodka intus und wir sind schnell wieder ausgestiegen. Ansonsten ist Trampen allerdings sehr ungefährlich. Die kritischsten Momente erlebten wir, ganz banal, beim Wandern. Schlecht markierte Wege, fehlende Warnungen vor Steinschlag und unzuverlässige Wetterprognosen haben uns weitaus mehr herausgefordert.

Sind alle Menschen unterwegs gastfreundlich? Gibt es da Unterschiede zwischen den Ländern, vielleicht auch im Vergleich zu Deutschland?

Viele Menschen begegnen uns mit sehr viel Neugier und Gastfreundschaft. Wir werden oft zum Essen, Feiern oder sogar Übernachten eingeladen. In Armenien wurde uns oft Obst geschenkt, in Georgien der traditionelle Schnaps Chacha und in der extrem herzlichen Türkei hat uns ein Herr sogar Geld geschenkt. Natürlich sind nicht alle Menschen gastfreundlich, aber man findet überall Menschen, die gastfreundlich sind.

Sind die Menschen vor Ort überrascht, dass ihr auf diese Weise unterwegs seid?

In Deutschland sitzen im Durchschnitt 1,5 Menschen in einem fahrenden PKW und fast 80 Prozent der Haushalte besitzen mindestens ein Auto. Das ist in vielen Ländern ganz anders. Autos sind eine knappere Ressource und werden viel eher voll beladen. Daher ist Trampen – teilweise gegen einen Spritgeldzuschuss – viel üblicher. Gerade in der Mongolei saßen wir regelmäßig zu siebt im Fünfsitzer. Dass wir von Deutschland aus hauptsächlich getrampt sind, überrascht dann allerdings schon die meisten.

Wie seid ihr eigentlich auf die Idee gekommen, so zu reisen? Welche Überlegungen stehen dahinter?

2017 sind wir beide das erste Mal gemeinsam getrampt, nach Osnabrück, zur Premiere des Kinofilms „weit“. Der Dokumentarfilm hat uns dazu inspiriert, trampen groß zu denken. Mehrere Sommer haben wir damit verbracht, mit dem Zelt durch Europa zu trampen. Während des Lockdowns hatten wir dann viel Zeit, uns weit weg zu träumen. Vietnam wurde dabei schnell zu einem Sehnsuchtsziel. Da wir aufgrund der immensen Klimaschäden, die der Flugverkehr verursacht, nicht fliegen wollten, suchten wir nach einem Landweg. Ein Flug von Hamburg nach Hanoi und zurück verursacht pro Passagier 4,4 Tonnen CO₂. Wir sollten allerdings nur 1,5 Tonnen CO₂ pro Jahr insgesamt ausstoßen. Das war schon ein starkes Argument für den Landweg. Fürs Trampen entschieden wir uns schließlich aufgrund der Nähe zu den Menschen, des Abenteuerfaktors und der geringen Emissionen. In vielen Gebieten, durch die wir reisen, erleben die Menschen die Klimakrise bereits sehr intensiv. Viele leben von der Landwirtschaft und sind unmittelbar abhängig von den klimatischen Bedingungen. Ein paar Grad mehr oder klimabedingte Extremwetter führen leicht dazu, dass sie ihre Lebensgrundlage verlieren. Es fühlt sich für uns falsch an, diese Menschen als Touristen zu besuchen, die Natur zu genießen und durch die Art des Reisens beides zu zerstören.

Wie habt ihr euch auf die Reise vorbereitet? Habt ihr einfach ein Zelt und einen Rucksack gepackt und los ging es oder gab es eine intensive Vorbereitungszeit, in der ihr verschiedene Varianten überlegt habt? Also nicht nur im Hinblick auf den Reiseweg, sondern auch auf das Gepäck?

Wir haben uns etwa ein Jahr – neben unseren Vollzeitjobs – entspannt auf diese Reise vorbereitet. Vor allem Visa- und Bürokratiefragen haben uns gut in Atem gehalten. Unser Equipment haben wir nach den vorherigen Reisen nur noch ergänzen müssen. Es war allerdings eine Herausforderungen, mit wenig Gewicht auf dem Rücken Temperaturen von minus 5 Grad in der herbstlichen Mongolei bis 45 Grad in der usbekischen Wüste abzudecken. Oft planen wir allerdings auch erst von unterwegs, da sich zum Beispiel die politische Lagen regelmäßig ändern.

Vielleicht könnt ihr einmal euren Weg bis Vietnam genauer beschreiben. Seid ihr tatsächlich in Soltau gestartet oder ging es zunächst mit dem Zug in eine Richtung? Wer hat euch als erstes in seinem Fahrzeug mitgenommen?

Paulines Schwester Jojo und ihr Freund Gerri haben uns zum Ortsausgang Celler Straße gebracht – ein perfekter Trampstartpunkt. Dort wollte uns schon jemand mitnehmen, bevor wir überhaupt den Daumen rausgehalten haben. Hilfreich war unser Trampschild, auf dem bereits Vietnam stand – da wusste natürlich jeder gleich, in welche Richtung es geht. Als erster von bisher 243 Fahrerinnen und Fahrern hat uns Kai aus Munster eingesammelt. Der weit gereiste Marineoffizier hat uns bis nach Bergen gebracht. Wir wollten möglichst schnell weit weg, da wir Europa später auch mit weniger Zeit ohne Flugzeug noch gut erkunden können. Innerhalb der ersten sieben Tage haben wir daher sieben Länder durchquert und sind bis nach Istanbul gefahren. Von dort ging es für zwei Monate nach Georgien und Armenien. Nach einem Zwei-Tages-Transit durch Russland sind wir über Kasachstan, Usbekistan, Kirgistan, noch mal Kasachstan und China bis in die Mongolei gereist.

Wie finanziert ihr die Reise? Braucht ihr auf diese Art des Unterwegsseins überhaupt viel Geld? Arbeitet ihr nebenbei?

Wir haben vor der Reise knapp vier Jahre gearbeitet und durch unser autofreies WG-Leben einiges beiseite legen können. Unsere Ausgaben liegen bei etwa 20 Euro pro Person pro Tag inklusive allem. Das ginge sicherlich noch günstiger, aber so lassen wir auch etwas Geld in den Ländern, die wir bereisen. Nebenbei arbeiten wir nicht. Das wäre nicht sinnvoll für uns, da die Arbeitsbedingungen in Deutschland viel besser sind als in den meisten anderen Ländern. Deutsche Gehälter sind im Schnitt wesentlich höher, und das bei geringeren Arbeitszeiten. In dieser Hinsicht sind wir in Deutschland extrem privilegiert. Ein Lkw-Fahrer in der Mongolei arbeitet oft 24 Stunden am Stück und hat danach nur vier bis fünf Stunden Pause, bevor er die nächste 24-Stunden-Schicht beginnt. Davon kann er dann gerade seine Familie ernähren. Wir möchten später noch Freiwilligenarbeit leisten, allerdings nicht, um Geld zu verdienen, sondern um tolle Projekte zu unterstützen und an einem Ort für längere Zeit anzukommen.

Gab es auch gefährliche Situationen? Wie schützt ihr euch?

Wir sind bisher durch sehr sichere Länder gereist. Die gefährlichsten Situationen erlebten wir wie gesagt beim Wandern. Einmal mussten wir ein angeschmolzenes Schneefeld bei Lawinengefahr überqueren, einmal mehrere große Steinfelder, unter denen schon ein Fahrzeug begraben lag. Die Alternative wäre jeweils gewesen, mehrere Tage zurückzuwandern. Ein anderes Mal hatten wir etwas zu wenig Wasser dabei, als wir mehrere Tage durch die Wüste trampten. Bei unserer Ausreise aus Russland gerieten wir in ein getarntes Verhör mit einem Beamten in zivil, nachdem sein Kollege uns – warum auch immer – auf Russisch als „Faschisten“ bezeichnet hatte, allerdings ohne Konsequenzen. Kurz: Wir fühlen uns zu 99 Prozent sehr sicher.

Wie stehen eure Familien zu der Reise, kommen Sorgen oder Ängste bei euch an? Gibt es einen Notfallplan?

Unsere Familien wissen, dass wir vernünftig und erfahren genug für diese Reise sind. Vor allem Pauline war vorher bereits länger unter anderem im westafrikanischen Sierra Leone, in Südafrika und in Kolumbien unterwegs – alles Gebiete, die politisch nicht immer stabil sind. Oles Eltern sind der Überzeugung: Die Welt ist gut. Natürlich sorgen sie sich auch, aber das Vertrauen überwiegt. Wir schicken ihnen regelmäßig unsere Standorte und haben – was gibt es Deutscheres? – eine Krankenversicherung mit kostenloser Bergung und Rücktransport abgeschlossen.

Wie ist es zwischen euch beiden? Hat sich eure Beziehung im Laufe der Reise verändert?

Wir verbringen hier natürlich extrem viel Zeit miteinander und sind überrascht, wie unkompliziert das klappt. Wir sind allerdings auch schon mehrere Jahre zusammen und kennen uns gut. Außergewöhnliche Erlebnisse miteinander zu teilen, verbindet uns noch mehr. Das Wichtigste für uns ist es, offen über unsere Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen.

Wie sieht der geplante Rückweg aus? Macht ihr es euch dann etwas einfacher oder ist wiederum trampen angesagt? Oder haben sich im Laufe der Reisezeit die Pläne völlig verändert?

Gute Frage. Vermutlich steigen wir in Südostasien aufs Fahrrad um, weil wir Lust haben, diese Art des Reisens auszuprobieren. Dann versuchen wir, mit einem Segelboot über den Pazifik nach Amerika zu trampen und dort eine Weile relativ spontan herumzureisen. Mit einem weiteren Boot möchten wir anschließend über den Atlantik zurück nach Europa kommen – und wer weiß, vielleicht das letzte Stück bis nach Hause wandern? Ursprünglich wollten wir durch Südasien zurück nach Deutschland. Leider ist es derzeit schwierig bis unmöglich, Myanmar und den Iran zu durchqueren oder zu umgehen. Für den Iran wurde unser Visumsantrag bereits zwei Mal unbegründet abgelehnt, in Myanmar darf man aktuell nur per Flugzeug ausreisen.

Welche Pläne gibt es nach ein eineinhalb Jahren Weltreise, wenn ihr wieder zurück seid?

Wir haben viele Jahre in Soltau gelebt, unter anderem dort die Schule abgeschlossen und möchten auch künftig in Norddeutschland sein. Ole als Sozialpädagoge möchte nach einem geplanten Master weiterhin mit Kindern arbeiten. Pauline hat International Management und Peace and Development Work studiert und möchte in der Entwicklungszusammenarbeit tätig sein. Dabei möchten wir uns vor allem für weltweite soziale Gerechtigkeit stark machen. Auf unserer Reise erleben wir täglich, wie gut es uns in Deutschland geht und was es dennoch – sowohl in Deutschland als auch weltweit – noch alles zu tun gibt.

Wer Pauline Kalender und Ole Maaß wegen eigener Reisepläne kontaktieren oder die Reise weiterverfolgen möchte, kann das auf Instagram und im Blog der beiden: Instagram: @tentasians Blog: fernostpost.wordpress.com

Anja Trappe