„Im nächsten Jahr mit bunter Demo“
Regenbogenfahnen, dröhnende Beats und beschwipste Dragqueens: Weil die gelockerten Coronaregeln es zulassen, ziehen in diesem Sommer in zahlreichen deutschen Großstädten wieder bunte und laute CSD-Paraden durch die Straßen. Das queere Leben soll wieder sichtbarer werden. In Hannover läuteten am vergangenen Sonnabend rund 11.500 Menschen verschiedener sexueller Identitäten mit einem fröhlichen CSD den „Pride Month“ ein. Unter dem Motto „Alles bleibt anders“ feierten und demonstrierten sie für Toleranz und Vielfalt.
Ein CSD in Walsrode?
In vielen kleineren Städten, in denen keine Umzüge stattfinden, sind gleichwohl CSD-Veranstaltungen geplant. Auf den Listen, die dazu im Internet kursieren, taucht in diesem Jahr sogar eine Stadt im Heidekreis auf. Auf den Rathäusern von Walsrode und Bomlitz flatterten am 31. Mai die Regenbogenfahnen, als Bürgermeisterin Helma Spöring zusammen mit Miss Ginger den ersten „Tag der Vielfalt“ in ihrer Stadt ausrief. Hinter Miss Ginger verbirgt sich der Travestiekünstler Thorsten Lampe. Er hat den Aktionstag gemeinsam mit dem örtlichen Kunstverein ins Leben gerufen. Die BZ sprach mit dem 45-jährigen gebürtigen Walsroder, der heute überwiegend in Berlin lebt, über sein Engagement, queeres Leben im ländlichen Raum und den Mut, sich in einer Kleinstadt als Mann in Frauenkleidern zu zeigen.
Die Regenbogenfahne auf dem Rathausdach und ein buntes Programm rund ums Thema Vielfalt – hat Walsrode seinen ersten CSD erlebt?
Thorsten Lampe: Das ist ein Gerücht, entstanden dadurch, dass die CSD-Organisatoren unsere Veranstaltung mit in ihre Listen aufgenommen haben. Tatsächlich haben wir mit Bürgermeisterin Helma Spöring und dem Verein Kunstraum Walsrode einen Tag der Vielfalt ausgerichtet. Dazu wurde am Rathaus zum ersten Mal offiziell die Regenbogenfahne gehisst und es gab eine Kunstausstellung. Kinder konnten spielen und malen, es gab ein tolles Programm für sie. Die Bürgermeisterin und ich haben eine Rede gehalten. Vielfalt bedeutet für mich, dass jeder Mensch so sein darf wie er ist. Gleichgültig, ob schwul, lesbisch oder transgender. Oder zum Beispiel behindert. Das war die Botschaft meiner Rede. Ich habe auch über mich gesprochen. Darüber, dass ich gerne Frauenkleider trage und deshalb hier so stehe. „Und das ist auch gut so“, fügte ich an. Natürlich in Erinnerung an Klaus Wowereits berühmten Satz „Ich bin schwul, und das ist auch gut so“.
Kostet Sie das besonderen Mut, sich in Walsrode in Fummel zu zeigen? Das ist ja was anderes als im queeren Kiez in Berlin.
Zu Anfang hat es mich sehr viel Kraft gekostet. Ich hatte vergangenes Jahr einen Zeitungsbeitrag über mich in eine Walsroder Facebook-Gruppe gepostet und bekam als Reaktion so viele Hass-Nachrichten. Aber es gab in der Gruppe auch Walsroder, die mich unterstützt haben. Das fand ich toll. Vor der jetzigen Veranstaltung hatte ich ehrlich gesagt schon Lampenfieber und die Sorge, dass es Leute geben wird, die negativ reagieren und dumme Sprüche machen. Dem war aber gar nicht so.
Sie betonen gerne, stolz auf Walsrode zu sein. Ihre Erfahrungen klingen aber eher ambivalent.
Ich habe gemerkt, dass Walsroder tolerant sein können. Die Hass-Kommentare im Netz sind weniger geworden. Einzelne wurden wohl wegen ihrer Kommentare aus der Gruppe ausgeschlossen. Ich glaube, dass im gesamten Heidekreis noch viel Positives passieren kann.
Warum ist Ihnen queere Sichtbarkeit im Heidekreis so wichtig?
Walsrode ist gefühlt immer noch mein Zuhause. Irgendwann ziehe ich vielleicht auch wieder zurück. Mir ist außerdem wichtig, dass homo- oder transsexuelle Jugendliche, die im Heidekreis aufwachsen, heute nicht mehr das Gleiche durchmachen müssen wie ich in den 90er-Jahren.
Wie verlief denn Ihre Jugend?
Ich habe damals zum Beispiel gerne die Travestieshow „Mary“ geschaut. Als mein Pflegevater das bemerkte sagte er, dass ich, sollte ich mal so werden wie sie, sofort meine Sachen packen und gehen kann. Später habe ich in einem Internat in Timmendorfer Strand eine Ausbildung zum Koch gemacht. Da habe ich mich geoutet. Daraufhin wurden meine Fensterscheiben eingeschlagen und Hakenkreuze an die Wand gemalt. Das war keine schöne Zeit.
Ein echter CSD im Heidekreis, ist das Ihre Vision?
Ich würde das sehr schön finden. In Walsrode hat das jetzt noch nicht geklappt, die Stadt allein ist wohl auch zu klein dafür. Eine Demo für Vielfalt, mit bunten Regenbogenfahnen, könnte ich mir für nächstes Jahr aber gut vorstellen. Vielleicht können sich Menschen aus Walsrode, Soltau und anderen Orten im Heidekreis auch zusammentun und gemeinsam etwas Größeres schaffen. Wer daran Interesse hat, darf sich gerne bei mir melden.
Gibt es bereits so etwas wie öffentliches queeres Leben im Heidekreis?
Im Heidepark in Soltau gibt es einmal im Jahr den „Rosa Tag“, aber mehr wüsste ich nicht. Das ist ein Problem. Nach einem Zeitungsbericht hat sich bei mir zum Beispiel ein 13-Jähriger gemeldet und den Mut gefunden, sich als Transgender zu outen. Mit ihm habe ich viel geredet. Es wäre wichtig, dass es für junge Menschen wie ihn Anlaufstellen gibt, gerade auch in ländlichen Regionen.
Was raten Sie jungen queeren Menschen, die im Heidekreis aufwachsen?
Man kann heute auch im Heidekreis gut und frei leben. Jungen Menschen würde ich raten, mutiger zu sein als ich es in meiner Jugend vielleicht gewesen bin. Beim Tag der Vielfalt hat es mich sehr berührt, dass ich von jungen Menschen angesprochen worden bin. Ein Junge, vielleicht 13 oder 14 Jahre alt, hat mich neugierig ausgefragt und zum Schluss gesagt: „Sie sind eine Berufsfrau“. „Ja, so kann man das auch bezeichnen“, habe ich geantwortet (lacht).
Seit wann gibt es eigentlich Miss Ginger?
Seit 2006. Vorher trat ich unter dem Namen Jack Turner auf. Das hatte was damit zu tun, dass ich ein Fan von Tina Turner bin. Als ich gemeinsam mit einem anderen Travestiekünstler in einer Berliner Bar über einen neuen Künstlernamen nachdachte, bestellte ich mir ein Ginger Ale. So kamen wir auf Miss Ginger.