Autonomes Fahren in der Logistik nimmt Fahrt auf
Am kommenden Freitag segnet der Bundesrat das Gesetz für die Zulassung des autonomen Fahrens der Stufe 4 ab. In dieser Phase ist es auf deutschen Straßen erlaubt in klar definierten Verkehrsbereichen mit Sicherheitsfahrer voll automatisiert zu fahren. Das ist die letzte Stufe vor dem autonomen Fahren, bei dem ein Fahrer völlig entbehrlich sein wird, weil die Technik den Verkehr besser meistert als der Mensch.
Die Zukunft der Verkehrssicherheit, aber auch der weniger personalintensiven Logistik könnte im autonomen Fahren liegen. Wo ein Computer den Start- und Zielpunkt kennt, wo Sensoren das gesamte Umfeld erkennen, Bewegungen von Verkehrsteilnehmern lesen und verstehen und vielleicht sogar Wild frühzeitig erfassen und Maßnahmen zur Unfallverhinderung berechnen können, sind Unfälle durch übermüdete Fahrer kaum noch denkbar. Dass das keine reine Zukunftsmusik ist, lässt sich bereits an den in modernen Pkw verbauten vollautomatischen Einparkhilfen erkennen.
Hamburg Truck Pilot läuft bereits seit 2018
Ein Projekt zum autonomen Fahren, das die Logistik im Blick hat, wird unter der Marke „Hamburg Truck Pilot“ geführt. Hinter diesem Namen steht ein Forschungs- und Erprobungsprojekt der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) und des LKW-Herstellers MAN. Mit dem seit 2018 laufenden Projekt, das sich bis in den nördlichen Heidekreis auswirkt, sollen Automatisierungslösungen im Straßenverkehr entwickelt werden. „Ziel der Partnerschaft zwischen MAN und HHLA ist es, realitätsnah die genauen Anforderungen für den kundenspezifischen Einsatz sowie die Integration autonom fahrender Lkw in den Containerumschlagsprozess zu analysieren und zu validieren“, beschreibt Annette Krüger, Pressesprecherin der HHLA.
Im Rahmen des Projekts bewegen sich zwei mit entsprechenden elektronischen Automatisierungssystemen ausgestattete Prototypen-Lkw innerhalb des HHLA Container-Terminals Altenwerder. „Es dient als hoch automatisiertes Testumfeld“, erläutert Krüger. Als weiterer Projektpartner sei die Spedition Jakob Weets eingebunden, die als Logistikpartner den Containertransport selbst verantworte und die Versuchsträger in ihren regulären Transportprozess einbindet. Die Vorbereitungsphase des Projekts sei abgeschlossen, so Krüger. Ab Juni dieses Jahres starte der Erprobungsbetrieb. Dabei sollen die beiden Prototypen-Lkw im Regelverkehr einer bestehenden Logistikbeziehung der Spedition Weets fahren und 40-Fuß-Container nach Soltau befördern. „In allen Projektphasen ist immer ein geschulter Sicherheitsfahrer im Fahrzeug, um die Automatisierungssysteme zu überwachen, bei Bedarf einzugreifen und die Kontrolle als Fahrer zu übernehmen“, weist die HHLA-Sprecherin auf die letzte Kontrollinstanz Mensch hin.
Kraftstoffverbrauch reduzieren und Fahrer anders einsetzen
Ziel des Projekts ist perspektivisch eine vollautomatische Containerabwicklung von der Beladung über den Transport bis zur Entladung zu erreichen. Aus Sicht der Projekt-Betreiber liegen die Vorteile automatisierter Be- und Entladefunktionen im Entlastungspotenzial für den Fahrer selbst, beispielsweise mit Blick auf gesetzliche Pausenregelungen. Durch das automatisierte Fahren könne zudem der Kraftstoffverbrauch reduziert werden. Der Verkehrsfluss in den Hafenterminals ist zudem über den Weg der Vollautomatisierung optimierbar.
Doch der Blick der Forscher geht weiter. Eines fernen Tages könnte die Zukunft von heute noch nicht gebauten Oldtimern für das Fahren von Menschenhand in „Sicherheitszonen“ erfolgen, da menschlich geführte Fahrzeuge womöglich im Straßenverkehr nicht mehr zugelassen sein könnten. Fest steht, das Berufsbild des klassischen Kraftfahrers ist ein Auslaufmodell. Denn sowohl der ÖPNV als auch die Logistik stellt sich auf das automatisierte Fahren der Stufe 5 (Autonomes Fahren) ein. Doch ganz so schnell wird dieses Szenario nicht kommen, wenn man den Experten glauben darf. Es wird eine Jahrzehnte währende Übergangsphase des Mischverkehrs geben, in der aus Kraftfahrern begleitende Sicherheitsfahrer werden.
Gesellschaft hat wenig Akzeptanz für technisches Versagen
Studien zufolge glauben zwar 45 Prozent der deutschen Autofahrer nicht an die Zuverlässigkeit der autonomen Fahrzeugtechnologie, oder sie haben Angst vor Hackerangriffen, obwohl laut ADAC 90 Prozent der Unfallzahlen nicht auf technischem, sondern auf menschlichem Versagen beruhen. Dass die Akzeptanz für technisches Versagen niedrig ist, bestätigt im BZ-Interview auch Professor Dr. Uwe Clausen vom Fraunhofer-Institut IML (Interview in Printausgabe vom 26. Mai 2021).
Die Potenziale liegen für Logistik aber auch für den öffentlichen Personennahverkehr offen auf dem Tisch, die Technik selbst ist bereits weitgehend ausgereift. Wichtig sind laut IT-Experten in erster Linie die Lerneffekte der Recheneinheiten. Ihre Zuverlässigkeit und Marktreife soll sich langfristig auch auf die Akzeptanz in der Bevölkerung auswirken. Dass das autonome Fahren sich aber gleichwohl nur langfristig durchsetzen wird, davon ist eine Prognos-Studie im Auftrag des ADAC überzeugt. Ein wesentlicher Faktor ist demnach vor allem der rund 20-jährige Betrieb von Fahrzeugen, der eine lange Übergangszeit zwischen konventionellem und autonomen Fahren mit sich bringe. Im Mischverkehr werden sich neue Technologien danach nur allmählich durchsetzen. Erst ab 2030 wird erwartet, dass herkömmliche Pkw mit Autopilot ausgestattet sein werden. Weitere zehn Jahre könne es in Anspruch nehmen, bis in größerer Zahl Autos angeboten werden, die völlig autonom und auch über Landstraßen von Tür zu Tür kommen.
Google-Waymo fast am Ziel des autonom fahrenden Taxis
Die deutschen Automobilhersteller nehmen an der Entwicklung des autonomen Fahrens mit, hinken aber laut dem VW-Vorstandsvorsitzenden Herbert Diess dem amerikanischen Entwickler Waymo, der zum Internetgiganten Google gehört, bis zu zwei Jahre hinterher. Waymo hat in einem Vorort von Phoenix, im Wüstenstaat Arizona, Robotertaxen auf der Straße. Nach Erkenntnis von ADAC sollen die bereits so gut funktionieren, dass der die Systeme kontrollierende Fahrer „pro 1000 gefahrenen Meilen nur noch 0,09 Mal eingreifen muss“. In Deutschland sind die Unternehmen noch damit beschäftigt Daten aus dem realen Verkehr zu sammeln und zu analysieren, bevor dazu die notwendigen Algorithmen entwickelt werden können, die das hochautomatisierte Fahren ermöglichen.