Bundeswehr hat zunehmend Probleme mit Radikalen

Rechte Wutbürger in Flecktarn? Extremismusfälle bei der Bundeswehr beschädigen das Leitbild vom Soldaten als Staatsbürger in Uniform.

Rechte Wutbürger in Flecktarn? Extremismusfälle bei der Bundeswehr beschädigen das Leitbild vom Soldaten als Staatsbürger in Uniform.

Klaus Naumann hat zahlreiche Bücher und Aufsätze zur deutschen Militärgeschichte vorgelegt. Der gebürtig aus Bremen stammende Militärhistoriker, Jahrgang 1949, ist Mitglied im 15. Beirat für Fragen der Inneren Führung der Bundeswehr. Das unabhängige Gremium, 1958 vom damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß ins Leben gerufen, berät das Ministerium. Naumann war Redakteur und Mitherausgeber der Blätter für deutsche und internationale Politik und bis 2017 im Hamburger Institut für Sozialforschung tätig. Die BZ sprach mit ihm über berufsspezifischen Konservatismus, Unzufriedenheit in der Truppe und rechte Soldaten-Netzwerke.

Herr Naumann, die Bundeswehr wirbt mit dem Slogan „Wir. Dienen. Deutschland.“ Ist das in knappster Form das soldatische Selbstverständnis: unbedingte Loyalität zum demokratischen Staat?

Dr. Klaus Naumann: Dabei handelt es sich um eine qualifizierte, bedingte Loyalität. Sie gilt nicht der Person des Dienstherrn, sondern der Verfassung. Auf sie werden die Soldaten vereidigt, und diese gewährt ihnen die unverzichtbare Menschenwürde. Das ist der prinzipielle Unterschied zum Wehrmachtseid von 1934 , als an die Stelle des alten Eids der sogenannte Führereid trat, der den unbedingten Gehorsam Hitler gegenüber verlangte.

Loyal gegenüber dem Verfassungsstaat.

Ja. Das ähnelt dem besonderen Treueverhältnis des Beamten. Aber Soldat zu sein ist kein Beruf wie jeder andere, da kommt noch etwas hinzu. Die Frage lautet: Was ist dieses „etwas“? Da geht es um Tod und Töten und die Bereitschaft, in einer Hierarchie unter den Bedingungen von Befehl und Gehorsam zu leben. Trotz des Vollbesitzes bürgerlicher Freiheiten hat das zur Folge, dass bestimmte Rechte eingeschränkt sind. So wird vom Soldaten etwa ein angemessenes Auftreten in der Öffentlichkeit verlangt. Insofern haben Sie recht: „Wir. Dienen. Deutschland.“ heißt – darüber gibt es immer wieder Streit –, dass der Soldatenberuf kein bloßes Militärhandwerk bedeutet, sondern ein dienender Beruf ist. Dienst an Deutschland beziehungsweise der Verfassung.

Wenn über die Bundeswehr berichtet wird, taucht immer wieder das Narrativ der Unzufriedenheit auf. Militärangehörige klagen über schlechte Ausstattung und fehlende Anerkennung. Gibt es einen Riss zwischen der Bundeswehr und den etablierten demokratischen Parteien? Herrscht in der Truppe Politikverdrossenheit?

Ob man es nun als Riss oder Verdrossenheit bezeichnen mag: Auf jedem Fall lässt sich beobachten, dass die traditionelle Nähe zu den sogenannten etablierten Parteien, insbesondere zur Union und FDP, aber auch zur SPD, nicht mehr automatisch gegeben ist. Es gibt innerhalb der Bundeswehr Kritik an der politischen, aber auch an der militärischen Führung. Sie beruht darauf, dass man sich schlecht behandelt und vernachlässigt fühlt, die Ausstattung mangelhaft ist und Aufträge nicht klar genug umrissen sind. Da sind viele enttäuscht. Vermisst wird auch die Rückendeckung bei Vorfällen und Skandalen. Es gibt den Verdacht, dass es Politikern zu oft um Selbstschutz geht, wo es geboten wäre, politische Verantwortung zu übernehmen.

Ist das die Einbruchstelle für rechtspopulistische und -extreme Positionen?

Ich würde schon sagen, dass hier und da eine Unzufriedenheit nistet, die einen Adressaten sucht. Das gilt natürlich nicht pauschal für die gesamte Bundeswehr. Aber die Unzufriedenheit ist da und sollte ernst genommen werden.

Die Koordinierungsstelle des Verteidigungsministeriums für Extremismusverdachtsfälle hat gerade ihren zweiten Jahresbericht vorgelegt. Demnach ist die Zahl der Verdachtsfälle 2020 stark gestiegen.

Das war zu erwarten. Mindestens seit 2017, als der Fall des damaligen Oberleutnants Franco A. bekannt wurde, steigt die Aufmerksamkeit in der Bundeswehr für rechtsextreme Vorfälle kontinuierlich. Die Zunahme, die wir sehen, hat zum einen mit den Fällen selbst im engeren Sinne zu tun, zum anderen mit dem Willen und der Entschlossenheit, sie dem Disziplinarrecht zuzuführen. Es gibt inzwischen eine erhöhte Aufklärungs- und Meldequote in der Truppe.

Die Bild-Zeitung bezeichnete die AfD mal als „Soldatenpartei“. Sieht ein relevanter Teil von Soldaten und Reservisten tatsächlich in einer Partei, die der Verfassungsschutz bald als Verdachtsfall im Bereich des Rechtsextremismus einstufen könnte, eine legitime Interessenvertretung? Das widerspricht doch dem Selbstverständnis als treue Diener der Verfassung.

Die abschreckende Wirkung wird nicht ausbleiben. Eine andere Frage ist, wie man mit AfD-Parteimitgliedern umgeht. Eine Parteimitgliedschaft allein reicht nicht aus, um Verfassungsuntreue zu begründen. Es kommt darauf an, wie sich der Einzelne verhält, auf die sogenannte Einzelfallprüfung. Die AfD beansprucht gerne, „Soldatenpartei“ zu sein. In ihrer schmelzenden Anhängerschaft von derzeit noch rund 30 000 Mitgliedern befinden sich laut Schätzungen etwa 2000 Truppenangehörige. In der 88-köpfigen AfD-Bundestagsfraktion sitzen immerhin elf ehemalige Zeit- oder Berufssoldaten. Das sind vergleichsweise hohe Prozentsätze. Daraus versucht die AfD Kapital zu schlagen und sich als „Kümmererpartei“ zu profilieren. Etwa, indem sie die durchaus vorhandenen Missstände in der Bundeswehr zum Anlass für Anfragen an die Bundesregierung nimmt. Das ist ihr gutes Recht. Inwieweit sie damit tatsächlich Soldaten als Wähler gewinnt, lässt sich bisher schwer feststellen. Das Potenzial ist da, wenn die demokratischen Parteien die Herausforderung verschlafen.

Ist die Bundeswehr für das Thema Rechtsextremismus in den eigenen Reihen ausreichend sensibilisiert?

Die Aufmerksamkeit ist stark gestiegen. Nicht nur beim MAD und dem Verfassungsschutz, sondern auch in der politischen Bildungsarbeit. Einstellungen von Soldaten sollen aktuell empirisch erhoben und die Wirksamkeit politischer Bildung systematischer hinterfragt werden. Jahrelang war nur von „Einzelfällen“ die Rede, das hat sich verändert. Der MAD spricht inzwischen von „Beziehungsgeflechten, Netzwerken beziehungsweise Strukturen“.

Also gibt es rechte Netzwerke in der Bundeswehr?

Aus politisch-soziologischer Perspektive würde ich sagen, dass die vernetzte Gruppenbildung heute stark über soziale Medien stattfindet. Das entspricht schon längst nicht mehr dem traditionellen Begriff von „Organisation“, aber es sind zielgerichtete Zusammenschlüsse gleichgesinnter Aktivisten. Die Einzeltäterthese ist da unzureichend. Es gibt Resonanzverhältnisse, etwa bei Attentätern, die ihre Taten filmen und sich eines zustimmenden Publikums gewiss sind. Die Formel könnte lauten: Die Problematik ist gravierender als bei Einzeltätern, aber es gibt keine Schattenarmee.

Vorliegende, etwas veraltete Daten zur politischen Einstellung von Soldaten zeigen eine im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung deutlich konservativere Haltung bei gleichzeitig geringerer Ansprechbarkeit für rechtsextreme Positionen. Schützt Militärkonservativismus vor Extremismus, oder macht er eher anfällig?

Da gibt es eine Ambivalenz. Man muss wissen, dass der Konservativismus, der als berufstypisches Merkmal der Truppe gilt, sehr unterschiedliche Ausprägungen hat. Es gibt sozial-konservative, liberal-konservative und durchaus auch rechts-konservative oder der Neuen Rechten zugehörige Ausrichtungen. Das ist ein breites Spektrum, vielleicht mit einigen Überschneidungen. Vor dem Hintergrund eines konservativ verstandenen Loyalitätsgebots gibt es durchaus eine starke Bindung an die Normen und Werte des Grundgesetzes. Andererseits gibt es verschiedene „Brückenthemen“, wie die Forschung sie nennt. Sie führen von einem quasi vorpolitischen konservativen Grundverständnis aus weit nach rechts. Brückenthemen können antiliberale Haltungen oder ethnopolitische Positionen gegen Migration sein, aber auch ein gesteigertes Elitedenken, wie es aus dem Kommando Spezialkräfte (KSK) bekannt wurde.

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„Es gibt keine Schattenarmee”

Militärhistoriker Klaus Naumann

Als Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen 2017 die Kasernen nach Wehrmachtsdevotionalien durchsuchen ließ, empfanden das viele Truppenangehörige, auch am Standort Munster, als übergriffig. Der Vorwurf des Generalverdachts stand im Raum. Sollte die Politik stärker auf die Selbstreinigungskräfte der Bundeswehr vertrauen?

Letztlich ist das entscheidend. Und wenn man von oben interveniert, kommt es auf Form und Begründung an. Als Reaktion auf den Fall des rechtsextremen Oberleutnants Franco A. ordnete die damalige Ministerin der Verteidigung handstreichartig die Durchsuchung sämtlicher Kasernen an. Das wurde ohne große Abstimmung, ohne langen Vorlauf, ohne Erklärung und Aufklärung in der Truppe durchgezogen. So musste unwillkürlich der Eindruck entstehen, dass mit einer Art Gewaltakt ein Problem größerer Dimension bewältigt werden sollte. Es schien so als ob die Truppe die rechtsradikalen Absichten von Franco A. unterstützte, was zweifelsfrei nicht der Fall war. Man fühlte sich in eine ähnliche Verdachtslage gedrängt wie ein Rechtsextremist, der Umsturzpläne hegte, sich als syrischer Flüchtling ausgegeben und im Flughafen Wien eine scharfe Waffe versteckt hatte.

Bleiben wir bei der Politik. Die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) nennt die Abschaffung der Wehrpflicht rückblickend einen „Riesenfehler“ und will zurück zum Pflichtdienst, auch um die Truppe besser vor Rechtsextremismus zu schützen. Eine gute Idee?

Als Militärhistoriker wäre ich vorsichtig, eine bestimmte Wehrform als mehr oder weniger verträglich für den demokratischen Staat einzustufen. Die Demokratie kann mit einem Berufsheer genauso glücklich werden wie mit einer Wehrpflichtigenarmee. Man kann aber sagen, dass diese plötzliche Abschaffung der Wehrpflicht kurzsichtig gewesen ist. Aufgrund der demographischen Entwicklung führt sie zu Personalproblemen. Sie führt aber nicht automatisch zu größerer Distanz der Bundeswehr zur Gesellschaft. Dafür sorgen eher die Reduzierung von Standorten, die Abwesenheit der Truppe während ihrer Auslandseinsätze und das Verschwinden der Bundeswehr aus der Öffentlichkeit. Diese Faktoren wiegen schwerer als die Wehrform. Trotzdem würde ich in letzter Instanz zustimmen, dass die Abschaffung der Wehrpflicht ein Fehler gewesen ist. Nur wenige Jahre später als 2011 hätte man das nicht mehr gemacht. In mancherlei Beziehung hätte man es dadurch heute sehr viel einfacher.

Zum Abschluss möchte ich Sie um eine Prognose bitten. Wird die Bundeswehr, spiegelbildlich zur diverser werdenden Gesellschaft, nach und nach zur bunten Truppe? Oder wird sie sich einigeln und zum letzten Refugium für Erzkonservative?

Es gibt immer beide Tendenzen. Wenn die These stimmt und sich durch neue Erhebungen erhärten lässt, dass innerhalb der Bundeswehr grundsätzlich konservativere Einstellungen vorherrschen als außerhalb, dann wäre zu erwarten, dass gesellschaftliche Diversität zwar nachvollzogen wird, aber nur zögerlich. Das findet bereits statt. Es wird über Diversität diskutiert, es gibt Kurse dazu vom Zentrum für Innere Führung, Soldaten werden entsprechend geschult. Das sehe ich als eine sehr positive Entwicklung. Gleichwohl wird es immer eine Art Gefälle geben zwischen Militär und Zivilgesellschaft. Die Bundeswehr ist kein genaues Spiegelbild der Gesellschaft. Aber gesellschaftliche Prozesse spiegeln sich in ihr.

Auch die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft?

Ja, ein Stück weit schon. Die Bundeswehr kann darauf nur reagieren, indem sie ihre eigene Kommunikation im weitesten Sinne, von oben nach unten und horizontal in der Truppe, verstärkt. Indem sie Vertrauen aufbaut, Austausch pflegt und der politischen Bildung Priorität einräumt. Das ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil die Aufträge, die die Bundeswehr zu erfüllen hat, ausführlicher politischer Begründung bedürfen. Das betrifft die Landes- wie Bündnisverteidigung ebenso wie Kriseneinsätze. Die Begründungen sind heute längst nicht mehr so selbstverständlich wie vor 50 Jahren, als die Welt in klare Blöcke von Gut und Böse eingeteilt zu sein schien.