Ein Schub fürs selbstbestimmte Arbeiten

Die Coronakrise wird unser Arbeiten nachhaltig verändern. Diese Einschätzung teilt Dieter Spath, Arbeitswissenschaftler am Fraunhofer-Institut und Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften, auch mit den Unternehmen der Region Lüneburger Heide. Viele, die dem Thema Homeoffice bislang kritisch gegenübergestanden hätten, hätten jetzt erlebt, dass diese Art des Arbeitens nicht nur sehr gut funktioniere, sondern auch effizient sein könne, sagt etwa Hagebau-Pressesprecher Frank Roth.

Nach dem Lockdown ist die Krise längst nicht vorbei. Die Zahl der Infizierten steigt wieder, die Firmen kommen aus dem Krisenmodus noch nicht heraus. Um sich vor Ansteckung zu schützen, haben Unternehmen, Verwaltungen und Behörden schon früh Lösungsansätze gefunden, um den nötigen Abstand am Arbeitsplatz einzuhalten. Dabei geht es um zeitliche und räumliche Distanzierung. So wurden die Präsenzarbeitszeiten flexibilisiert. Beschäftigten ist es ermöglicht worden, in wechselnden Schichten zu arbeiten. Andere Unternehmen haben die räumliche Distanzierung forciert, mit größeren Abständen zwischen den Arbeitsplätzen und weiteren Hygienemaßnahmen. Und für viele war das Homeoffice die einzige Möglichkeit weiterzuarbeiten.

Gerade bei letzterem sieht Arbeitswissenschaftler Spath ein hohes Maß an Eigenverantwortung, die die Führungskräfte auch zulassen müssten. In der Vergangenheit hätten sie das nicht immer getan. Die positiven Erfahrungen könnten aber einen Schub für das selbstbestimmte Arbeiten auslösen und bewirken, „dass man den Menschen endlich mehr zutraut“. Unterstützt wird diese Einschätzung durch eine Studie des Ifo-Instituts im Auftrag des Personaldienstleiters Randstad, die das Handelsblatt zitiert hat: Danach wollen knapp zwei Drittel der befragten Personalverantwortlichen häufiger virtuelle Konferenzen ansetzen, rund 60 Prozent wollen Meetings im Büro und Dienstreisen reduzieren. Dafür haben im zweiten Quartal 23 Prozent neue Software für die Zusammenarbeit eingeführt.

Es wird einfacher sein, Vorgesetzte von einer Mobil-Office-Tätigkeit zu überzeugen
— Frank Roth, Hagebau-Presseprecher

„Viele haben nicht nur Vorbehalte gegenüber dem Homeoffice, sondern auch gegenüber Videokonferenzen und anderen Möglichkeiten der Kommunikation abgebaut. Viele werden sich überlegen, welche Reisen wirklich nötig sind, ob wir also nicht auch nach der Krise die Dienstreisen reduzieren auf die Termine, bei denen das Onlinemeeting keine Alternative ist. Das spart Zeit, Geld und ist ökologisch sinnvoll“, sagt Arbeitswissenschaftler Spath.

Hagebau stellt innerhalb von zwei Tagen fast vollständig auf Digital um

Innerhalb von nur zwei Tagen hat Hagebau mit Beginn des Lockdowns fast vollständig auf digitale Arbeit umgestellt. „Die IT-Abteilung war konstant über eine Notfallnummer erreichbar“, sagt Pressesprecher Roth. Die Mitarbeiter, die für betriebsnotwendige Prozesse im Unternehmen bleiben mussten, seien in zwei Gruppen eingeteilt worden, um im Zwei-Wochen-Rhythmus zu arbeiten. „Dann wurde ohne persönlichen Kontakt getauscht.“ Die Gesundheit der Mitarbeiter habe immer höchste Priorität gehabt – mit Erfolg: „Innerhalb der Hagebau gab es bislang keinen einzigen positiven Coronafall.“

Auch die Stadtwerke Soltau wollen das Thema Homeoffice stärken. Gab es zuvor Arbeiten von zu Hause aus nur in Ausnahmefällen, soll laut Geschäftsführer Dr. Claus-Jürgen Bruhn das neue Arbeitsmodell nun mehr genutzt werden: Endgültig sei noch nicht festgelegt, ob generell oder nur für bestimmte Arbeitsnehmergruppen oder Tätigkeiten. Jürgen Röders dagegen setzt beim Soltauer Maschinenbauer Röders Tec eher auf Abstand denn auf Homeoffice: „Wir haben viel Platz“, sagt er. Gegen den Trend habe es schon bislang keine Großraumbüros im Unternehmen gegeben. Für ihn sei das ein zu „unruhiges Arbeiten, wenn so viele in einem Raum sitzen.“ Daher seien die Mitarbeiter gut verteilt, nur wenige arbeiteten von zu Hause aus.

Die Digitalisierung sei im Unternehmen schon vor Corona vorangetrieben worden. Von der Konstruktion bis hin zum Kunden werde auf sichere Datendurchlässigkeit gesetzt. Das habe viel vereinfacht und transparenter gemacht, sagt Röders. Überhaupt gebe es im Unternehmen Digitalisierung in vielen Bereichen. Eine Cyber-Versicherung gegen Hacker-Angriffe hat das Unternehmen inzwischen abgeschlossen.

Das Beispiel Röders Tec zeigt aber auch, dass in bestimmten Branchen der Geschäftsverkehr noch lange kein Auslaufmodell ist. Um ihre Maschinen zu verkaufen, brauche es den persönlichen Kontakt, sagt Röders. Ein Techniker müsse vor Ort Maschinen selbst aufbauen und die Mitarbeiter daran schulen, das gehe nicht virtuell. Viel Aufwand und große Mühe habe es beispielsweise gemacht, im Juli zwei Vietnamesen nach Soltau zu holen. Nach Vietnam zu reisen, wo Röders Tec zurzeit eine Fabrik baut, sei wegen Corona lange Zeit gar nicht möglich gewesen.

Möglicherweise werde es im Bereich Einkauf bei Röders Tec künftig mehr Kontakt via Videokonferenz geben, letztlich aber, so Röders, sei das Geschäft des Unternehmens Vertrauenssache. Und dafür müsse man sehen, mit wem man es zu tun habe, da zähle der physische Eindruck nach wie vor. Die Maschinen seien hochpreisig, der Kunde wolle sich vor Ort über die Herstellerfirma und den Produktionsablauf informieren. Der Videokontakt könne sicher ein Einstieg sein, aber „der Kunde will mit eigenen Augen gucken“. Ähnlich brauche es den Kontakt bei den jeweiligen Fachmessen.

Dem widerspricht auch Hagebau-Sprecher Roth nicht. Er betont aber, dass in Zukunft bei Hagebau stärker geprüft werden wird, welche Dienstreisen noch sinnvoll seien – oder ob eben nicht auch per Videoanruf gesprochen werden könne. Meetings würden künftig vermutlich deutlich effizienter geführt werden, weil viele in der digitalen Welt erlebt haben, wie schnell und zielführend solche Treffen sein können. „Und auch in der täglichen Arbeit wird es vermutlich künftig einfacher sein, den Vorgesetzten von einer Mobile-Office-Tätigkeit zu überzeugen“, glaubt Roth.

Überraschenderweise habe sich durch die Digitalisierung der Kontakt zwischen den Kollegen intensiviert. Statt wöchentlicher Team-Rücksprachen gebe es nun meist tägliche Online-Treffen. Verändert habe sich allerdings die Qualität des Kontakts: Per Bildschirm tausche man sich stark faktenorientiert aus, dass soziale Miteinander gehe dabei etwas verloren. Und damit auch die Themen, die Kollegen nebenbei erzählten und die sie in einem zielgenauen Online-Meeting nicht einbrächten.

Der für das soziale Miteinander wichtige Smalltalk wird vermisst

Nachteile der Videokonferenzen unterstreicht auch Stadtwerke-Geschäftsführer Bruhn: Auch er hat festgestellt, dass der für das soziale Miteinander wichtige Smalltalk entfalle. Die Anspannung bei Webkonferenzen sei durch die stetige Aufmerksamkeit zudem hoch, das führe zu schnellerer Ermüdung. Zudem würden die Kollegen im Homeoffice durch das häusliche Umfeld abgelenkt, auch müssten sich die Mitarbeiter mehr untereinander abstimmen, erleichternde Tür-zu-Tür-Gespräche fänden kaum statt.

Arbeitssoziologin Friedericke Hardering von der Goethe-Universität Frankfurt erklärt in der aktuellen Ausgabe von „Forschung Frankfurt“, dass es auch ohne Krise immer eine Verzahnung von Online und Offline brauche. Digitiale Technologien seien keineswegs ein Allheilmittel für Krisen jeder Art, sondern brächten andere Risiken mit sich. Die in der Coronazeit vielgenutzte Möglichkeit des Homeoffice habe Hardering zufolge vor allem gezeigt, wie gespalten die Gesellschaft in Bezug auf Ausstattung und Kenntnisse sei. Die Digitalisierung verschärfe die Ungleichheit zwischen den Menschen weiter. Zudem, so betont es auch die Arbeitssoziologin, sei Arbeit auch immer ein Ort des sozialen Zusammenseins und somit wichtig für die Weltaneignung.