„Wichtig ist der Mensch“

Jessica Brockmann hat 2018 den Coworkingspace in Soltau gegründet. Foto: js

Jessica Brockmann hat 2018 den Coworkingspace in Soltau gegründet. Foto: js

VON JANIKA SCHÖNBACH

Soltau. Während viele Arbeitnehmer erstmals im Homeoffice arbeiteten und damit mehr denn je zu potenziellen Nutzern eines Coworkingspace wurden, traf die Krise den Coworkingspace ms39 in Soltau hart. Vor der Krise sei er zum ersten Mal seit der Gründung im Mai 2018 voll besetzt gewesen, sagt Gründerin Jessica Brockmann. Durch die Coronakrise seien aber einige Nutzer weggefallen.

Hinzu kam für Brockmann die Ungewissheit, ob und wie der Coworkingspace geöffnet bleiben konnte. Spezifische Regelungen, wie ein solcher Arbeitsplatz auszusehen habe, gab es nicht. Kurzzeitig war der Coworkingspace deshalb geschlossen, Brockmann entschied sich aber schließlich, ihn wieder komplett zu öffnen. „Wir sind nicht voll besetzt, da ist es kein Problem, Abstände einzuhalten”, sagt sie.

Der Soltauer Coworkingspace liegt mitten in der Innenstadt. Aus den Fenstern des Büros hat man einen guten Blick auf das Treiben auf der Marktstraße. Drinnen blickt ein Rehbock aus einem Wald von einer Fototapete, davor Schreibtische. Dem Rehbock gegenüber ein Plakat mit der Aufschrift „Der Plan war scheiße”. Start-up-Feeling mitten in Soltau.

Dass es hier überhaupt einen Coworkingspace gibt, sei dem Zufall zu verdanken, sagt Brockmann. 2017 landet sie seinetwegen wieder in ihrer Heimatstadt Soltau. Vorher hat sie unter anderem in Hamburg studiert, gearbeitet und sich schließlich selbstständig gemacht: „Als Selbstständige habe ich nur in Coworkingspaces gearbeitet.” Dabei habe sie von den Erfahrungen der anderen Nutzer profitiert. Das sei auch mit der Grund, warum sie den ms39 gegründet hat: „Ich bin nicht davon ausgegangen, dass hier irgendjemand darauf gewartet hat, aber es ist ein Angebot, von dem ich selber sehr profitiert habe.” Ein Coworkingspace sei mehr als ein Büro mit einem Platz zum Arbeiten. Es komme auf die Gemeinschaft an, die sich austauscht und gegenseitig hilft, aus unterschiedlichen Branchen kommt und verschiedene Charaktere vereint.

„Da gibt es zwei Extreme“

Jessica Brockmann

Ein Thema ist dabei auch im Coworkingspace die Frage nach Struktur und Selbstdisziplin. Vor dieser Frage standen in den vergangenen Wochen mehr Menschen denn je im Homeoffice. Auch Brockmann weiß, dass das gerade in der Anfangszeit schwierig sein kann. „Da gibt es zwei Extreme, auf der einen Seite die, die sich nur schwer motivieren können und sich maximal ablenken lassen, und auf der anderen Seite diejenigen, die am Frühstückstisch den Laptop aufklappen, und wenn sie ihn abends wieder zuklappen direkt im Anschluss wieder die Bettdecke aufschlagen”, sagt Brockmann.

In Coronazeiten mit womöglich noch Homeschooling und Kinderbetreuung seien die Bedingungen noch extremer. Ihrer Meinung nach kann ein Coworkingspace auch in diesem Kontext helfen, auch gerade Arbeitnehmern, die sonst mehrmals in der Woche zu ihrer Arbeit pendeln. Einerseits hat man den Kontakt und die Möglichkeit zum Austausch, andererseits kann aber auch sehr konzentriert gearbeitet werden. Und der Weg zur Arbeit ist deutlich kürzer, was Zeit spart. „Je nachdem, wie es mit dem Arbeitgeber abgesprochen ist, kann man dann mal sagen: Ich war heute so produktiv, ich gehe heute früher nach Hause. Oder man nimmt sich morgens Zeit für die Kinder und arbeitet nachmittags im Coworkingspace”, sagt Brockmann. Damit sich die Wochen und Monate des mehr oder weniger kollektiven Homeoffice nachhaltig auf die Art, wie gearbeitet wird, auswirkt, müsse es eine Diskussion zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern darüber geben, wie viel davon bleiben soll. Hier gelte wie überall: Die Dosis macht das Gift.

Es ginge nicht darum, die klassische Arbeit im Büro komplett abzulösen. Aber es helfe, sich die Frage zu stellen, wann man was oder wen brauche. „Der Arbeitsplatz ist nicht nur ein physischer Ort, wichtig ist der Mensch, der den Ort prägt.” Modelle, bei denen es im Wechsel Präsenztage gibt, und solche, an denen der Arbeitnehmer frei entscheiden kann, wo er arbeitet, seien da auch möglich. „Für die Gesellschaft wünsche ich mir, dass wir in eine Situation kommen, in der man in dieser Frage selbstbestimmt ist. Wenn wir in die Lage versetzt werden, das positiv und nachhaltig zu gestalten, dann profitieren beide Seiten”, sagt Brockmann.