Die Keime aus der braunen Tonne

Frischer Kompost aus Biotonnenmüll - Plastik und Keime inklusive.

Frischer Kompost aus Biotonnenmüll - Plastik und Keime inklusive.

VON BERNHARD KNAPSTEIN

Die Abfallwirtschaft Heidekreis plant eine Anlage zur Vergärung von Biomüll für elf Millionen Euro – Fleischreste in braunen Tonnen könnten zum Problem werden


Heidekreis. Der Landkreis Heidekreis hat im Juni in nicht-öffentlicher Sitzung zugestimmt, dass die Abfallwirtschaft des Heidekreises (AHK) mehr als elf Millionen Euro in eine Trockenfermentationsanlage investiert, in der insbesondere 17 000 Tonnen Bioabfall der Haushalte der Heidjer zu Rohkompost verarbeitet werden sollen. Dieser Rohkompost wird am Ende wieder Nährstoffe für die landwirtschaftlichen Flächen bieten.

"Durch anaerobe Behandlung von Fleischresten besteht riesige Botulismusgefahr"

Was als perfekte Kreislaufwirtschaft geplant ist, ruft allerdings im Heidekreis Kritik hervor. „In den Biotonnen befindet sich jede Menge Fleisch und Haushaltsreste“, wirft Landwirt Hermann Rosebrock ein. „Durch die anaerobe Behandlung von Fleischresten besteht eine riesige Botulismusgefahr“, befürchtet er – und hat das Thema im Rahmen der Bürgerfragestunde auch direkt im Kreistag aufgeworfen.

Botulismus ist eine lebensgefährliche Vergiftung, die durch das extrem starke Botulismusgift hervorgerufen wird. Die Schilderungen Rosebrocks sind so drastisch, dass sich die Böhme-Zeitung das Gefahrenpotenzial genauer angesehen hat. Ein Blick in mehrere für die Leerung am Straßenrand abgestellten braunen Haushaltstonnen belegt, dass nicht jeder Bürger es mit den Entsorgungsregeln so genaunimmt. In vielen Tonnen finden sich Küchenreste in Plastiktüten oder in Zeitung eingewickelt – darunter tatsächlich auch Fleisch und Knochen. Solche eiweißhaltigen Substanzen werden in erster Linie durch sogenannte Clostridien abgebaut, Bakterien, die es besonders gerne faulig warm und sauerstoffarm (anaerob) mögen, sich in einem derart idealen Umfeld rasant vermehren, Sporen bilden und Gifte entwickeln können, die im schlimmsten Fall auch für Menschen tödlich enden.

Prof. Dr. Helge Böhnel: Botulismus wird nicht ernst genommen

„Sorgen bezüglich eines Zusammenhangs zwischen Abfallwirtschaft und einer möglichen Vermehrung von Krankheitserregern kann ich gut verstehen“, bestätigt dann auch Professor Dr. Helge Böhnel von der Universität Göttingen gegenüber der BZ zu dem Problem. Der Veterinärmediziner hat sich intensiv mit dem Thema Botulismus auseinandergesetzt, hat Gutachten geschrieben und gilt als Experte zu dem Thema. Laut Böhnel wird Botulismus nicht hinreichend ernst genommen. „Außer beim Babybotulismus wird das mögliche Auftreten als Infektionskrankheit erbittert bekämpft“, sieht Böhnel auch in der medizinischen Diagnostik unbewältigte Herausforderungen.

Die Böhme-Zeitung hat sich eine Trockenfermenationsanlage, wie sie im Heidekreis entstehen soll, im münsterländischen Saerbeck angesehen. In zwölf großen Garagen werden dort jährlich 45 000 Tonnen Biotonnenabfall abgewickelt. Der faulige Gestank vor den Garagen ist beachtlich. Von einem Computerraum aus werden die Fäulnisprozesse in den Garagen gesteuert.

Kompost ist nach weniger als 40 Tagen fertig

Kommt der Rohkompost nach rund einem Monat aus der Garage, wird er in einer großen Hallen in langen Reihen für weitere sieben Tage angehäuft, anschließend Störstoffe wie Plastiktüten aus dem trockenen Material ausgesiebt. Keine 40 Tage nach Anlieferung des Inhalts aus den braunen Tonnen steht der fertige Kompost zur Verfügung. Tatsächlich befinden sich noch immer einige Plastikteile in dem Komposthaufen, doch im Kern scheint das Aussieben weitgehend zu gelingen.

Beatrice Daal vom Kompostwerk Saerbeck präsentiert frischen Kompost, der aus Biotonnenmüll der Haushalte im Kreis Steinfurt stammt. Fto: bk

Beatrice Daal vom Kompostwerk Saerbeck präsentiert frischen Kompost, der aus Biotonnenmüll der Haushalte im Kreis Steinfurt stammt. Fto: bk

Doch wie hoch ist die Botulismusgefahr, die in dem fein gesiebten, erdigen Rest steckt, der wieder auf die Felder kommt? Immerhin: 12 000 Tonnen Saer-becker Biotonnen-Kompost werden über den dortigen Maschinenring an die Landwirtschaft vermarktet.

BZ sichert Probe und bringt sie ins Labor

Die BZ hat einen großen Eimer des Saerbecker Komposts sichern und einem auf Botulismus spezialisierten Göttinger Labor zur Untersuchung übergeben können, um der Sache auf den Grund zu gehen. Untersucht hat das Labor die umfangreiche Probe auf den Botulismuserreger, auf seine Sporen und deren Toxine.

Der Laborbericht, der zwei Wochen später die Redaktion erreicht, ist durchaus überraschend. Neben weiteren Erregern wurde auch der Tetanuserreger nachgewiesen. Ausgerechnet der Botulismuserreger und seine Sporen waren nicht nachweisbar. Befund negativ, wie es in der Wissenschaftssprache heißt.

Doch wie ist es möglich, dass ein überall in der Umwelt präsenter Erreger gerade dort nicht ansatzweise nachgewiesen werden kann, wo er eigentlich massenweise zu vermuten wäre? Die Hartnäckigkeit der Sporen der Botulismuserreger ist beachtlich. So verlieren diese im trockenen Boden zu 90 Prozent ihre Lebensfähigkeit erst nach 50 Jahren. Doch es geht noch länger: Lebensfähige Sporen konnten sogar schon aus einer in Bernstein eingeschlossenen, rund 40 Millionen Jahre alten Biene isoliert werden.

Das Unternehmen, das dieses spezielle Kompostierungsverfahren entwickelt hat, ist die Firma Bekon in Unterföhring. Dass der Erreger überhaupt nicht nachgewiesen werden konnte, hält man bei Bekon eher für einen Zufall. Ein Biologe des Unternehmens verweist aber auch auf die starke Hygienisierung des Komposts im Rotteverfahren. Die Hygieneprüfung werde regelmäßig in den Anlagen wiederholt. Ob Zufall oder nicht – das Ergebnis steht im Einklang mit Versuchen des Ripac-Labors in Potsdam. Das auf Diagnostik spezialisierte Labor hat zwischen 2015 und 2018 Untersuchungen durchgeführt, um die Hygienisierungsprozesse in verschiedenen Kompostierungsverfahren zu untersuchen. In diesem Rahmen konnte es Botulismuserreger in den warm-fauligen Fermentern sowie in den flüssigen Abscheidungen feststellen, nicht aber mehr in dem daraus resultierenden Kompost in offener Miete nach der mehrtägigen Durchlüftung.

Ripac-Labor: Es müssen mehrere ungünstige Faktoren zusammenkommen"

Doch selbst wenn das Clostridium botulinum feststellbar ist, muss das noch nicht problematisch sein, weiß Dr. Bernd Köhler vom Ripac-Labor. „Wenn man in sehr großen Mengen verdorbene Lebensmittel derart verarbeitet, dann kann das für die Bildung toxinbildender Stämme des Clostridiums botulinum eine Rolle spielen. Es müssen dann aber tatsächlich schon mehrere ungünstige Faktoren zusammenkommen“, so der Wissenschaftler.

Plastik im Biokompost aus der Trockenfermentation - nicht alles lässt sich aussieben. Foto: bk

Plastik im Biokompost aus der Trockenfermentation - nicht alles lässt sich aussieben. Foto: bk

Kreis Steinfurt arbeitet mit Personaleinsatz präventiv Diese ungünstigen Faktoren scheinen im Kreis Steinfurt eher nicht vorzukommen. Zumindest wird im Münsterland vorgebeugt. Im Kreis Steinfurt, für den die Saerbecker Anlage die Biotonnenabfälle verarbeitet, kontrollieren vier Mitarbeiter ständig stichprobenartig die Tonnen und klären die entsorgenden Haushalte im Falle von Fehlverhalten, etwa zur Entsorgung von Fleischresten, auf. Bereits vor der Abholung des Abfalls der Haushalte wird mit Personaleinsatz insoweit dauerhaft präventiv gearbeitet.

Nach einer intensiven Recherche der Böhme-Zeitung, nach zahlreichen Gesprächen mit Wissenschaftlern verschiedener Institute und eigener Untersuchungen steht fest: Auch wenn vereinzelte Plastikreste und verschiedene Krankheitserreger im Kompost, der auf den Feldern eingesetzt wird, zurückbleiben – die große Gefahr von Botulismus lässt sich zumindest nicht belegen.