Contra Tiefengeothermie
Unser Gastautor Dr. Conrad Kunze ist Umweltsoziologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungszentrum für Umweltpolitik der Freien Universität Berlin.
Tiefengeothermie galt vielen als die große Verheißung der Energiewende. Die Technologie ist grundlastfähig, steht also ohne wetterbedingte Schwankungen zur Verfügung. In Szenarien nahm sie daher oft die Rolle des Garanten der Versorgungssicherheit in einer komplett erneuerbaren Energielandschaft ein. Greenpeace prognostizierte 2010, dass bis 2050 rund 20 Prozent der gesamten in Deutschland erzeugten elektrischen Energie aus geothermischen Anlagen stammen werde.
Zehn Jahre später ist davon wenig zu sehen. Laut Bundesumweltamt trug die Geothermie 2020 weniger als 0,1 Prozent zur erneuerbaren Stromerzeugung in Deutschland bei. Die Tiefengeothermie bleibt somit eine Nischentechnologie.
Verfinstertes Image
Ihr Image hat sich verfinstert, seit in Deutschland und der Schweiz eine Reihe kleinerer Erdbeben mit geothermalen Bohrungen in Verbindung gebracht werden. Tiefengeothermie wird heute als Risikotechnologie wahrgenommen und zählt zu den konflikthaftesten Verfahren im Bereich der erneuerbaren Energien. Bürgerinitiativen und Kommunalparlamente begehren auf. Umweltschützer befürchten die Verunreinigung des Grundwassers, Anwohner Schäden an ihren Häusern. Die Sorgen sind berechtigt.
Bis zu 5.000 Meter tiefe Bohrlöcher sind ein erheblicher Eingriff. Getrennte Erdschichten werden miteinander verbunden. Zwar soll eine Kern-Ummantelung verhindern, dass zwischen Bohrkern und Erdreich ungewollt Wasser oder Gas aufsteigt. Das funktioniert aber nicht immer einwandfrei.
So kann es passieren, dass über Schwefelverbindungen Radioaktivität und Giftstoffe von einer geologischen Schicht in die andere wechseln. Im schlimmsten Fall bis hinauf in Trinkwasser führende Schichten. Deswegen sprechen sich zum Beispiel die Berliner Wasserwerke explizit gegen Tiefengeothermie aus.
Versackungen und Erdbeben können auftreten. Private Investoren und Betreiber werden stets versuchen, Anlagen der Tiefengeothermie trotz solcher Nebeneffekte möglichst lange laufen zu lassen. Denn die höchsten Kosten fallen zu Beginn an, mit der üblicherweise notwendigen doppelten Bohrung. Sie nimmt Monate in Anspruch und verschlingt Millionen Euro. Das muss wieder eingespielt werden. Überschaubar ist dagegen das Risiko, Anwohnern gegenüber schadenersatzpflichtig zu werden. Die Geothermie ist dem betreiberfreundlichen Bergrecht zugeordnet. Vor Gericht ist für jeden Riss in der Wand der Nachweis zu führen, dass er durch eine konkrete Bohraktivität verursacht wurde.
Bislang dominiert in den deutschen Anlagen das hydrothermale Verfahren, das natürliche Gesteinsschichten für sich nutzt,die ergiebig wasserführend und porös sind. Wollte man die Tiefengeothermie zu einer tragenden Säule der Stromerzeugung ausbauen, müssten verstärkt Regionen mit weniger geeigneten geologischen Voraussetzungen erschlossen werden. Das ginge nur mit dem perothermalen Verfahren, das mittels Fracking künstliche Gesteinsrisse herbeiführt. Das erhöht das Erdbebenrisiko noch einmal. Zudem dürfte verstärktes Fracking die generelle Skepsis gegen Tiefengeothermie weiter steigern.
Die Technik ist kostenintensiv, birgt seismische wie ökologische Risiken und bedroht die gesellschaftliche Akzeptanz der Energiewende. Außerdem benötigen die Anlagen selbst eine erhebliche elektrische Energiezufuhr. Der Verdacht, dass manche von ihnen weniger Energie produzieren als sie verbrauchen, steht unwiderlegt im Raum. Aufgrund hoher garantierter EEG-Vergütung können sich auch energetisch ineffektive Anlagen durchaus rechnen. Nicht für das Klima, wohl aber für den Betreiber.