Contra: Altersarmut bleibt ein Randphänomen
Unser Gastautor Prof. Dr. Gert Wagner ist Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin.
Der Anteil der Rentner, der als arm zu bezeichnen ist, wird in den nächsten Jahren etwas ansteigen; vor allem, weil in Ostdeutschland Menschen in Rente gehen, denen die deutsche Wiedervereinigung jahrelange Arbeitslosigkeit (in der einen oder anderen Form) gebracht hat. Aber Altersarmut wird keineswegs explodieren, sondern vom derzeit sehr niedrigen Niveau etwas ansteigen.
Denn es ist in der Tat so: nur etwas über drei Prozent alter oder erwerbsgeminderter Rentnerinnen und Rentner beziehen Grundsicherung – und selbst wenn aus Scham nochmal so viele keine Grundsicherung, die ihnen zusteht, beantragen, wäre ein Anteil von etwa sechs Prozent überschaubar und deutlich niedriger als bei der Bevölkerung in Deutschland insgesamt. Wenn man nicht den Bezug von Grundsicherung als Indikator für Armut nimmt, sondern „relative Einkommensarmut“, also deutlich unterdurchschnittliche Pro-Kopf- Einkommen, sind alte Menschen gegenwärtig nur wenig schlechter gestellt als Jüngere: die „Armutsrisikoquote“ der Älteren beträgt etwa 18 Prozent im Vergleich zu etwa 15 Prozent der Gesamtbevölkerung. Das zeigt der jüngste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung; er zeigt auch, dass hinsichtlich „erheblicher materieller Entbehrungen“, wie Statistiker das Fehlen von beispielsweise einer Waschmaschine, einem Farbfernseher, eines Telefons oder Mietschulden bezeichnen, Rentnerinnen und Rentner deutlich weniger betroffen sind als Jüngere, darunter insbesondere Arbeitslose.
Altersarmut wird nicht zum Massenphänomen
Jeder Mensch, der arm ist, ist einer zu viel; das gilt insbesondere für ältere Menschen, denn alte Menschen haben praktisch keine Chance durch mehr oder besser bezahlte Erwerbstätigkeit der Armut zu entkommen. Aber deutlich weniger als zehn Prozent der Rentnerinnen und Rentner, die Grundsicherung beziehen beziehungsweise beziehen könnten, ist ein Anteil, der zeigt, dass manifeste Altersarmut keineswegs ein Massenphänomen in Deutschland ist. Daran werden auch die immer wieder zitierten Minijobs und Niedriglöhne nicht viel ändern, da die Einkommen dieser Gruppen oft nicht die einzigen Einkommen in einem Haushalt sind. Und aus diesen anderen Einkommen werden später Renten fließen.
Das heißt freilich nicht, dass es nicht sinnvoll wäre Minijobs voll beitragspflichtig zu machen, damit später daraus auch Renten erwachsen. Zumal zu erwarten ist, dass viele Minijobs aufgestockt würden, wenn sie bezüglich der Steuer- und Sozialabgaben keine Sonderstellung mehr hätten. Und insbesondere ist es sinnvoll, dass alle Selbständigen verpflichtet werden Altersvorsorge zu betreiben. Denn gerade „kleine“ Selbständige und Solo-Selbständige mit niedrigen Einnahmen tragen ein absehbar hohes Armutsrisiko in ihr Alter hinein.
Die Vorsorgepflicht wird auch kommen – politische Auseinandersetzungen gibt es nur über die Details der Ausgestaltung. Die größte Reformbaustelle der Rentenversicherung ist die Frage, wie man künftig Altersarmut noch besser vermeiden kann als gegenwärtig. Es geht dabei nicht um die Verhinderung von Massenarmut im Alter – die ist nicht zu erwarten. Sondern um Respekt gegenüber einer Gruppe von Menschen, die in der einen oder anderen Form Pech hatten im Leben. Ein höheres allgemeines Rentenniveau wird dieser Gruppe nicht helfen, denn sie hat aufgrund von längeren Zeiten einer Erwerbslosigkeit, nur geringe Rentenanwartschaften. Es geht also darum diese niedrigen Rentenanwartschaften höher zu bewerten als die Beiträge, die Bessererdienende gezahlt haben. Die in diesen Tagen erstmals ausgezahlte Grundrente hilft da nur bedingt, da sie nur gezahlt wird, wenn das Haushaltseinkommen eine bestimmte Schwelle nicht übersteigt.
Respekt zu erweisen bedeutet aber, dass es keine Einkommensprüfung gibt – und es geht nicht nur um Armutsvermeidung. Fast überall im Ausland werden niedrige Rentenanwartschaften besser bewertet als mittlere und hohe Rentenanwartschaften. Wie man das in Deutschland machen kann wird, neben der Frage nach der Entwicklung der Altersgrenze nach dem Jahr 2030, die große Rentenfrage der nächsten Jahre sein.