Rente und soziale Gerechtigkeit: Die Kandidaten nehmen Stellung
Fragen an Lars Klingbeil (SPD)
Was ist der wichtigste Hebel, um eine auskömmliche Rente gegen Altersarmut zu sichern?
Ein guter Lohn.
Welche Ziele streben Sie über welchen konkreten Maßnahmen zu diesem Themenkomplex in den kommenden vier Jahren an?
Als SPD wollen wir keine Anhebung des Renteneintrittsalters, weil sie für viele, die nicht länger arbeiten können, eine Rentenkürzung bedeutet und ungerecht ist. Zudem wollen wir den gesetzlichen Anspruch, dass besonders langjährig Versicherte vor dem Erreichen der Altersgrenze abschlagsfrei in Rente gehen können, beibehalten. Es ist außerdem überfällig, dass die Gesamtheit der Erwerbstätigen in die Rentenversicherung aufgenommen wird. Wir haben es kleinen und mittleren Unternehmen einfacher gemacht, für ihre Beschäftigten in die betriebliche Altersversorgung einzusteigen. Unser Ziel ist, dass deutlich mehr Beschäftigte in einer betrieblichen Altersversorgung abgesichert sind. Dabei setzen wir vor allem auf Regelungen über Tarifverträge.
Ist die Riester-Rente noch zu retten?
Die Riester-Rente erfüllt die eigentlichen Erwartungen nicht, die bisherigen Ergebnisse sind nicht zufriedenstellend. Wir sprechen uns deshalb dafür aus, den Bereich der privaten Altersvorsorge zu reformieren. Wir brauchen ein kostengünstiges, unbürokratisches Angebot. Schweden ist hier einen guten Weg gegangen. Die gesetzliche Säule der Rente ist aber zentral.
Sie wollen Selbstständige schrittweise in die gesetzliche Rentenversicherung integrieren und eine Pflicht zur Altersvorsorge einführen. Ist das nicht sogar zeitnah realisierbar?
Die Coronakrise hat uns deutlicher denn je vor Augen geführt, wie schnell man ohne eigene Schuld in Not gerät und wie schnell Rücklagen aufgebraucht sind. Viele Selbstständige haben sich in den vergangenen Monaten an mich gewandt. Altersarmut ist bei Selbstständigen leider weiter verbreitet als bei Angestellten. Wir wollen deshalb Selbstständige besser absichern. Bereits in dieser Legislaturperiode war es unser Ziel, Selbstständige, die nicht abgesichert sind, in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. Leider ist das Vorhaben an CDU und CSU gescheitert. Wir werden hier aber hartnäckig bleiben und das Thema auch in der kommenden Legislaturperiode weit oben auf die Agenda setzen. Aus meiner Sicht besteht hier dringender Handlungsbedarf.
Welche Ziele streben Sie über welche konkreten Maßnahmen zu diesem Themenkomplex mittel- und langfristig an?
Zentrale Grundlage für eine Absicherung im Alter bleibt die gesetzliche Rentenversicherung mit ihren verlässlichen Leistungen und ihrer solidarischen Finanzierung. Darin müssen alle Erwerbstätigen, auch Selbstständige, Beamtinnen und Beamte, Politikerinnen und Politiker, aufgenommen werden und wir müssen Sondersysteme überwinden. Natürlich gibt es Bestandsschutz. Am Ende muss es ein Rentensystem für alle geben. Das ist nicht nur meine persönliche Meinung, das ist Teil unseres Programms.
Nach den heutigen Vorgaben muss der Bund laut Ökonomiebeiratsgutachten des Bundeswirtschaftsministeriums im Jahr 2025 mehr als die Hälfte des gesamten Bundeshaushalts an Rentner ausschütten. Weshalb versetzt Sie das angesichts der Versprechungen Ihres Wahlprogramms nicht in massive Unruhe?
Ich halte es für richtig, dass wir die gesetzliche Rente stabilisieren. Dafür haben wir Maßnahmen in der letzten Regierung ergriffen und diesen Weg sollten wir weitergehen. Eine gute Lohnpolitik ist die beste Rentenpolitik.
Beim Sozialstaat wollen Sie von der Grundsicherung auf ein Bürgergeld wechseln. Das klingt gefällig. Steckt dahinter die Erkenntnis, dass Hartz IV Ihrer Partei den linken Flügel gekostet hat und Sie eine Brücke zu Grünen und Linkspartei schlagen wollen?
Ich mache Politik für Bürgerinnen und Bürger. Und das auf der Höhe der Zeit. Deswegen habe ich als Generalsekretär intensiv an unserem neuen Sozialstaatskonzept gearbeitet, das eine Idee von einem Sozialstaat in der heutigen Zeit entwirft. Einem Sozialstaat, der die Menschen in schwierigen Lagen auffängt und ihnen Orientierung gibt. Der sie fördert, aber ihnen auch etwas abverlangt.
Die Arbeitsmarktforschung belegt, dass Sanktionen das Bemühen um Beschäftigung fördern, das Bundesverfassungsgericht hat die Sanktionen zudem bereits begrenzt. Weshalb wollen Sie das Bringschuldprinzip gegen – scharf formuliert – eine Art Hängemattenangebot austauschen?
Was ist ein Hängemattenangebot?
Ein Angebot, bei dem man sich um Arbeit nicht einmal mehr bemühen muss. Also?
Sanktionen sind nicht schädlich. Ich kann von jemandem, der arbeitslos ist und vom Staat Geld bezieht, erwarten, dass er bestimmte Dinge wie Qualifizierungsangebote auch wahrnimmt. Das Bundesverfassungsgericht hat Sanktionen etwas eingeschränkt. Aber Sanktionen helfen Menschen dabei, auch Spielregeln zu lernen, die zum Funktionieren eines Staates gehören. Für den, der sich zwar nicht einmalig, aber dauerhaft verweigert, muss der Staat auch Sanktionsmöglichkeiten haben.
Muss die Gesellschaft vielleicht einfach hinnehmen, dass sie massiv Arbeitsunwillige versorgt, um sich auf andere Herausforderungen konzentrieren zu können?
Ich halte Arbeit für ganz zentral und sinnstiftend für Menschen. Es gibt ja auch Debatten über das bedingungslose Grundeinkommen. Ich finde aber, das Ziel unserer Gesellschaft sollte sein, allen ein Angebot auf dem Arbeitsmarkt machen zu können. Individuelle Schicksale können natürlich dazu führen, dass ein Erwerbsleben schwierig ist. Aber auch für diese Menschen muss es Möglichkeiten geben, sich zu beschäftigen. Mein Verständnis vom Staat ist: Wir dürfen niemanden zur Seite schieben und müssen auch sanften Druck ausüben können, dass Menschen ins Erwerbsleben kommen. Interview: bk
Fragen an Carsten Büttinghaus (CDU)
Was ist der wichtigste Hebel für eine auskömmliche Rente?
Betriebliche Altersvorsorge und die Pflicht für Selbstständige, in eine Rentenkasse einzuzahlen. Ich kenne viele junge Selbstständige, die keine Rentenbeiträge leisten. Spreche ich sie darauf an, sagen sie mir, dass das Geld in den Betrieb fließt. Das ist hochgefährlich. Vielleicht brauchen wir für eine Übergangsphase eine stärkere steuerliche Förderung der Rentenleistung. Aber die Beitragspflicht ist absolut notwendig. Außerdem will ich, dass Wohneigentum nicht angerechnet wird, wenn im Rentenalter Transferleistungen notwendig werden. Es ist eine Schande, wenn alte Menschen mit zu kleinen Renten keine Aufstockung beanspruchen, weil sie um ihre Wohnung oder ihr Haus fürchten.
War der Ausbau des Niedriglohnsektors in den 1990er Jahren mit Blick auf die Rentenentwicklung falsch?
Aus Sicht der 90er Jahre war das wahrscheinlich richtig.
Und rückblickend?
Wir sollten nach vorne schauen. Ich trete niemanden, der damals Verantwortung trug, heute vors Schienbein. Rückblickend sind wir die besten Fußballtrainer. Aber vor dem Spiel hätten wir nicht gewusst, mit welcher Aufstellung wir gewinnen.
Wer im Niedriglohnbereich arbeitet, bekommt später zu wenig Rente und hat vorher kaum Chancen zur privaten Vorsorge.
Natürlich kommt das auf uns zu. Das Rentenniveau wird für viele Menschen nicht ausreichen. Aber dafür gibt es Transferleistungen und Sicherungssysteme wie die Grundrente. Da hat man schon reagiert.
Eine Option zur Sicherung des Rentenniveaus ist die Anhebung des Eintrittsalters. Eine Kommission, die den Wirtschaftsminister berät, schlägt die Anhebung auf 68 Jahre vor. Gehen Sie da mit?
Es ist das passiert, was immer vor Wahlen passiert. Das Thema Rente wird aus dem Hut gezaubert und alle stürzen sich darauf und versichern: Das fassen wir nicht an. Aber auch die Rente unterliegt einer Dynamik. Wir werden immer älter und bleiben länger gesund. Ich kenne viele Menschen, auch Beamte, die möchten gerne länger arbeiten. Ich bin im Personalrat der Polizei und sehe die Anträge auf Verlängerung der Dienstzeit. Das geht nur befristet und maximal dreimal. Warum diese Begrenzung bei Leuten, die fit sind und deren Erfahrung wertvoll ist? Natürlich müssen wir anerkennen, dass es Berufe gibt, die das körperlich nicht zulassen.
Wer dort arbeitet, sollte abschlagsfrei früher in Rente gehen dürfen?
Er sollte jedenfalls eine Rente bekommen, von der er vernünftig leben kann, ob abschlagsfrei oder nicht.
Im CDU-Programm steht der schöne Satz: „Eine Vermögenssteuer würde uns alle treffen“. Der hat in den sozialen Medien für reichlich Spott gesorgt.
Warum eigentlich?
Wahrscheinlich, weil viele Leute auf Twitter von einer Vermögenssteuer eher nicht betroffen wären. Oder allenfalls positiv, weil mehr Geld in die öffentlichen Kassen flösse.
Glauben Sie das wirklich?
Sie haben nach dem Grund für den Spott gefragt. Es ist der Eindruck, die CDU lebe in einer Welt der Reichen.
Ich glaube das überhaupt nicht. Ich glaube, dass hinter so einem Twitter-Shitstorm nicht der hart arbeitende Maurer steht, der auf der Baustelle zwischen Zement anrühren und Steine setzen mal eben einen Tweet absetzt. Sondern eher Leute, die sehr gutes Geld verdienen. Das höchste Lohnniveau in ihrer Partei haben die Grünen. Die CDU ist die Partei des kleinen Mannes und des stabilen Mittelstandes, die wahre Arbeitnehmerpartei. Weil wir wirtschaftsliberal denken. Dass der zitierte Satz Spott auslöst, ist in Wahrheit ein Zeichen von Arroganz. Wohlstand gilt als selbstverständlich. Da sage ich klassisch konservativ: Unseren Wohlstand und unser hohes Lohnniveau haben wir der Wirtschaftsleistung dieses Landes zu verdanken. Wer in Hamburg-Winterhude wohnt, bei Airbus 7000 Euro netto verdient und die Grünen wählt, ist ein Besserverdiener. Wenn er spottet, dann eigentlich über sich selbst. Weil er von dem Wirtschaftssystem profitiert, das die CDU verantwortet und er verspottet. In den vergangenen 16 Jahren CDU-Regierung hatten wir den größten Lohnzuwachs der vergangenen Jahrzehnte. Deutschland hat sich hervorragend entwickelt, auch im Niedriglohnsektor. Produktivität, Leistungsbereitschaft und Disziplin haben dieses Land stark gemacht. Dabei sollten wir bleiben. Andere mögen spotten, aber die CDU hat mit ihren Satz zur Vermögenssteuer recht.
Ihre kurzfristigen Maßnahmen zum Erhalt einer auskömmlichen Rente wären?
Wie gesagt, die Stichworte sind betriebliche Altersvorsorge, Beitragspflicht für Selbstständige und keine Anrechnung von Wohneigentum. Zudem muss private Vorsorge stärker gefördert werden. Die Idee der Riester-Rente war gut, die Umsetzung aber viel zu bürokratisch. Da noch mal neu nachzudenken hielte ich für richtig.
Wie sehen Ihre mittelfristigen Pläne aus?
Ich will einen deutschen Rentenfonds zur Absicherung der Rente. Wenn wir nichts verändern, wird die Rente den gesamten Staatshaushalt auffressen. Dann können wir alle anderen Themen vergessen.
Sollten wir nach Ihrer Vorstellung in 25 Jahren mehr oder weniger Sozialstaat haben? Ab- oder Ausbau?
Wir werden, wenn finanzierbar, mehr Sozialstaat haben. Das ist dann auch gut so. Künstliche Intelligenz und Robotik werden Arbeitsplätze ersetzen. Es wird produktive Unternehmen geben, die keine Personalkosten haben und keine Sozialversicherungsbeiträge leisten. Vor dem Hintergrund werden wir über ganz andere Steuersätze und ein Grundeinkommen nachdenken müssen, um der Gesellschaft den erwirtschafteten Mehrwert zu sichern. Auch die Wirtschaft braucht Konsumenten und sozialen Frieden. In anderen Zusammenhängen diskutiere ich nicht über das sogenannte bedingungslose Grundeinkommen. Da gilt für mich immer noch das Leistungsprinzip. Interview: ari
Fragen an Dr. Michael Kopatz (GRÜNE)
Was ist der wichtigste Hebel, um eine auskömmliche Rente gegen Altersarmut zu sichern?
Eine Bürgerversicherung, in die alle einzahlen, und eine gute Ausbildung der jungen Generation, damit entsprechend gute Einkommen erzielt werden können.
Also keine Ausnahmetatbestände mehr für Selbstständige, Beamte und Politiker?
Ja, auch Beamte, Selbstständige, Unternehmer und Abgeordnete beteiligen sich mit einkommensabhängigen Beiträgen, ohne fiktive Mindesteinkommen. Die Beiträge sollen auf alle Einkommensarten erhoben werden, zum Beispiel neben Löhnen und Gehältern auch auf Kapitaleinkommen. Wir verbessern die Versorgung gesetzlich Versicherter – zum Beispiel bei der Erstattung von Brillen. Außerdem wollen wir die Benachteiligung gesetzlich versicherter Beamter durch einen beihilfefähigen Tarif beenden und privat Versicherte, die sich nur den Basistarif leisten können, besser absichern. In einem ersten Schritt zur Bürgerversicherung sorgen wir dafür, dass Selbstständige ohne obligatorische Absicherung, zum Beispiel in berufsständischen Versorgungswerken, und Abgeordnete verpflichtend in die gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen werden.
Welche weiteren Hebel für mehr soziale Gerechtigkeit sehen Sie als relevant an?
In einem reichen Land wie Deutschland darf eigentlich kein Kind in Armut aufwachsen – doch vor allem bei Ein-Eltern-Familien, Geringverdienenden mit Kindern oder Familien mit mehr als zwei Kindern reicht das Geld oft vorn und hinten nicht. Kinderarmut bedeutet auch Ausgrenzung, Diskriminierung und schlechtere Bildungschancen. Daher werden wir eine Gesamtstrategie zur Prävention und Bekämpfung von Kinderarmut entwickeln und umsetzen.
Und wie?
Neben hervorragender Infrastruktur werden wir Familien mit einer einfachen und gerechten Kinder und Familienförderung stärken: der Kindergrundsicherung. Unser Vorhaben: Kindergeld, Kinderfreibeträge, Kinderzuschlag, das Sozialgeld für Kinder und die Bedarfe für Bildung und Teilhabe in eine neue, eigenständige Leistung zusammenzufassen.
Welche Ziele und Maßnahmen streben Sie in den ersten vier Jahren an?
Die Bürgerversicherung und die Kindergrundsicherung stehen ganz oben auf der Agenda. Aber grundsätzlich muss auch Arbeit gerecht bezahlt werden. Und die Menschen brauchen gute Arbeitsbedingungen. Aber in unserem reichen Land arbeiten noch immer Millionen Menschen im Niedriglohnsektor mit schlechten Löhnen und in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen. Besonders oft sind davon Frauen und Menschen mit Migrationsgeschichte betroffen. Das wollen wir ändern. Den gesetzlichen Mindestlohn werden wir sofort auf 12 Euro anheben. Anschließend muss der Mindestlohn weiter steigen, um wirksam vor Armut zu schützen und mindestens der Entwicklung der Tariflöhne zu entsprechen.
Welche Ziele und Maßnahmen streben Sie in den kommenden zehn Jahren an?
Wir wollen Vollbeschäftigung. Dazu müssen wir gute und sichere Jobs schaffen und damit auch verhindern, dass Corona langfristige Spuren am Arbeitsmarkt hinterlässt. Mit dauerhaft höheren öffentlichen Investitionen, mehr Gründungsgeist und Forschung sowie auf Umwelt- und Klimaschutzziele einzahlende Innovation wollen wir ein Umfeld für viele neue Jobs schaffen. Wir müssen zudem die geschlechtsspezifische Ungleichbezahlung für gleichwertige Arbeit aufheben. Deswegen setzen wir uns auf europäischer Ebene für eine ambitionierte EU-Richtlinie für Lohngleichheit ein und werden national ein effektives Entgeltgleichheitsgesetz einführen, das auch für kleine Betriebe gilt und die Unternehmen verpflichtet, von sich aus über die Bezahlung von Frauen und Männern und über ihre Maßnahmen zum Schließen des eigenen Pay-Gaps zu berichten. Dieses Gesetz muss auch ein wirksames Verbandsklagerecht enthalten.
Welche langfristigen Ziele und Maßnahmen sind wichtig, um Ihre Vision von sozial-ökologischer Gerechtigkeit umzusetzen?
Die langfristige Sicherung des Rentenniveaus bei mindestens 48 Prozent hat für uns hohe Priorität. Bei einem weiteren Absinken wären immer mehr Menschen auf Grundrente angewiesen und die Akzeptanz der gesetzlichen Rente wäre gefährdet. Um das Rentenniveau zu sichern, wollen wir die Frauenerwerbstätigkeit unter anderem durch ein Recht auf Rückkehr in Vollzeit erhöhen, ein echtes Einwanderungsgesetz schaffen und die Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmer verbessern. Um die Belastungen der Versicherten und der Arbeitgeber zu begrenzen, sollen bei Bedarf die Steuerzuschüsse erhöht werden. Prekäre Beschäftigung muss überwunden werden, denn nur armutsfeste Löhne führen auch zu einer auskömmlichen Rente.
Statt Hartz IV mit Sanktionen wollen Sie eine Garantiesicherung ohne Zwang, obwohl Arbeitsstudien die Motivationskraft der Sanktionen, die das Bundesverfassungsgericht zudem noch begrenzt hat, bestätigt haben. Soll, wenn ich mal scharf formulieren darf, Lustlosigkeit belohnt werden?
Zwang motiviert niemanden. Außerdem kostet das sehr viel Bürokratie. Ich finde es viel wichtiger, die Ressourcen der öffentlichen Verwaltung dafür einzusetzen, zum Beispiel die Steuerhinterziehung zu bekämpfen, statt einen riesigen Aufwand zu betreiben, den Bezieherinnen und Beziehern von Arbeitslosengeld II hinterherzuschnüffeln und sie für dieses oder jenes zu sanktionieren, was dann wieder beklagt und nicht selten von Gerichten gekippt wird. Selbst wenn man solche Sanktionen für ein probates Mittel hielte – was ich ausdrücklich nicht tue: Effektiv ist es auf keinen Fall. Interview: bk
Fragen an Alexander Künzle (FDP)
Was ist der wichtigste Hebel, um eine auskömmliche Rente gegen Altersarmut zu sichern?
Ganz klar eine kapitalgedeckte Aktienrente. Das aktuelle System funktioniert nicht mehr, sein Scheitern war schon vor Jahrzehnten absehbar. Wir brauchen den Systemwechsel. Dabei geht es nicht darum, Rentnern etwas wegzunehmen.
Für eine kapitalgedeckte Rente brauche ich aber Kapital. Oder?
Grundsätzlich schon. Das muss zur Verfügung gestellt werden. Als Einstieg schlagen wir vor, dass man zwei Prozent des Rentenbeitrags, den man sowieso zahlt, künftig freiwillig in einen Aktienfonds investieren kann, der vom Bund gemanagt wird. Auch derjenige, der am Monatsende von seinem Nettolohn nichts übrig hat, um privat vorzusorgen, kann auf diese Art in die kapitalgedeckte Rente einsteigen. In Schweden funktioniert so ein System ziemlich gut.
Die Lebenserwartung steigt weiter. Eine Expertenkommission, die das Bundeswirtschaftsministerium berät, schlägt als Konsequenz vor, das Renteneintritts- alter perspektivisch nochmals anzuheben, von 67 auf 68 Jahre. Eine gute Idee?
Es ist unvermeidbar. Das ist eine einfache mathematische Rechnung. Die Frage ist, was das im Einzelfall bedeutet. Ein Dachdecker kann nicht bis zu einem Lebensalter von 67 oder 68 Jahren auf dem Dach arbeiten. Darum sagen wir: Jeder sollte in Rente gehen dürfen, wann er möchte. Es wird allerdings nicht abschlagsfrei gehen, wenn der Dachdecker mit 60 in den Ruhestand geht. Da sind wir bei den Themen Umschulung und lebenslanges Lernen. Wenn er lieber länger arbeiten und abschlagsfrei in die Rente gehen will, muss er in der Lage sein, ab einem bestimmten Alter zum Beispiel Bürotätigkeiten auszuüben. Volle Rente ohne längere Lebensarbeitszeit wird es nicht geben, das muss man so klar sagen. Wir bezuschussen das System schon heute mit rund 20 Prozent des Bundeshaushaltes. Wenn wir so weitermachen, sind wir irgendwann bei 50 Prozent. Das wäre eine Versündigung an der jüngeren Generation.
Also volle Rente künftig erst mit frühestens 68 Jahren.
Das kommt drauf an.
Rente mit 67 ist bereits beschlossen, eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit hieße, darüber hinauszugehen.
Jein. Zum Teil gilt ja auch wieder die Rente mit 63. Die Große Koalition hat einiges zurückgedreht, sehr zu Lasten der jüngeren Generation.
Im FDP-Programm ist von einer „enkelfitten“ Rente die Rede, überhaupt steht dort viel von Generationengerechtigkeit. Man kann den Eindruck gewinnen, Ihnen liegen die Jungen grundsätzlich mehr am Herzen als die Alten.
So ist es nicht. Auch wir werden mal alt sein. Aber man muss sehen, dass in den vergangenen Jahren sehr viel einseitig für die ältere Generation getan wurde. Ich erinnere an die Grundrente und die Rente mit 63. Wir brauchen einen Ausgleich mit den Interessen junger Menschen.
Altersarmut will die FDP mit einer Basis-Rente bekämpfen, die Beitragszahlern ein höheres Altersgeld garantiert als denjenigen, die nie etwas eingezahlt haben. Wo liegt der Unterschied zur Lebensleistungsrente der Großen Koalition?
Unser Konzept kostet weniger, ist zielgenauer und gerechter. Bei der Grund- oder Lebensleistungsrente von Hubertus Heil gibt es die Grenze von 33 Beitragsjahren. Wer es nur auf 32 bringt, hat Pech. Auf der anderen Seite profitiert die gut gestellte Zahnarztgattin, die 33 Jahre in der Praxis ihres Mannes gejobbt hat, vom steuerfinanzierten Rentenzuschlag. Wir schlagen stattdessen vor, im Bereich der Grundsicherung 20 Prozent des gesetzlichen Rentenanspruchs nicht mit der Grundsicherung zu verrechnen. So erhalten Menschen, die im Alter trotz Beitragszahlungen in die Rentenkasse auf Grundsicherung angewiesen sind, mehr Geld ausbezahlt als jene, die nie eingezahlt haben.
Ausgerechnet die Zahnarztpartei FDP will, dass die Zahnarztgattin leer ausgeht?
Damit haben wir kein Problem (lacht). Wir haben uns auch schon mit den Apothekern angelegt.
Der Niedriglohnsektor wurde in den 90er Jahren stark ausgebaut und zählt heute zu den größten Europas. War das mit Blick auf die Renten ein Fehler?
Ich weiß nicht, ob man sagen kann, dass die Politik den Niedriglohnsektor ausgebaut hat. Jedenfalls ist er ein Problem. Wo nicht genug Geld verdient werden kann, rutschen Menschen in Altersarmut. Das hat nicht nur mit dem Niedriglohnsektor an sich zu tun, sondern auch mit Hartz-4. Wenn ich sage, bevor du Leistungen bekommst muss erst fast dein gesamtes Vermögen aufgebraucht sein, fördere ich Altersarmut. Damit habe ich persönlich ein massives Problem. Das Schonvermögen muss deutlich steigen. Die Probleme sind vielschichtig, aber lösbar. Bildung und Qualifikation sind wichtige Bausteine, damit Menschen mehr verdienen.
Die Gastronomie klagt schon lange über Personalmangel, trotzdem scheinen die Löhne dort nicht anzuziehen.
Ein Gastronom hat mir gesagt, er würde gerne höhere Löhne zahlen, aber seine Kunden seien nicht bereit, mehr Geld auszugeben. Da muss auch bei uns Verbrauchern ein Umdenken stattfinden. Wir wollen, dass vernünftige Löhne gezahlt werden. Dann müssen wir bereit sein, Arbeit wertzuschätzen und fürs Schnitzel statt 9,90 Euro 19,90 oder 25 Euro auszugeben.
Welche kurzfristigen rentenpolitischen Maßnahmen würden Sie unterstützen?
Den schnellen Einstieg in ein kapitalgedecktes Rentensystem. Es ist wie beim Klimawandel: Je länger wir warten, desto teurer wird es.
Was muss innerhalb von zehn Jahren passieren?
Wenn die Menschen Vertrauen in die kapitalgedeckte Rente gefasst haben, muss sie ausgebaut werden.
Wo landen wir in 25 Jahren?
Bis dahin könnte der Systemwechsel in der Rente komplett vollzogen sein. Interview: ari
Fragen an Volker Körlin (AfD)
Was ist der wichtigste Hebel, um eine auskömmliche Rente gegen Altersarmut zu sichern?
Im Gegensatz zu früheren Zeiten mit Kapitaldeckung haben wir heute ein umlagefinanziertes Verfahren. Doch wir hatten die Kosten der Wiedervereinigung, und zur Bewältigung wurde Geld aus der Rentenkasse entnommen. Daher kann man jetzt mit Fug und Recht verlangen, dass Zuschüsse in die Rentenkasse aus Steuermitteln gegenfinanziert werden. Der Bundeshaushalt muss liefern. Er steuert schon heute 30 Prozent zur Rentenkasse bei. Der Bundeszuschuss muss weiter erhöht werden. Bei Rentnern in Grundsicherung sollten 25 Prozent der Altersrente als Freibetrag nicht auf die Grundsicherung angerechnet werden. So stellen wir sicher, dass derjenige, der gearbeitet hat, mehr Geld bekommt als ein anderer, der nie in die Rentenkasse eingezahlt hat. Das ist die Entsprechung zum Lohnabstandsgebot in der Erwerbsarbeit. Damit wird die Lebensleistung eines Menschen im Alter anerkannt.
Die AfD will Steuerzuschüsse für die Alterssicherung, gegenfinanziert ohne Steuererhöhung „durch konsequente Streichungen von ideologischen Politikmaßnahmen, beispielsweise in der Migrations-, Klima- und EU- Politik“. Wollen Sie behaupten, das sei das ein seriöses Rentenkonzept?
Der Politiker aus dem Arbeitskreis Steuern und Finanzen, der diesen Programmpunkt verfasste, hat sich angeschaut, wo im Bundeshaushalt Kostenpunkte sind, die wir nicht haben wollen, die für den Staat entbehrlich sind. So ist diese Liste der Einsparungen möglicherweise entstanden. Das ist auch eine Art der Gegenfinanzierung.
Einfach mal alle Posten streichen, die einem nicht passen? Das ist nicht seriös.
Wir sind im Wahlkampf. Das sind erst einmal politische Forderungen. Natürlich können wir das nicht allein umsetzen. Man wird nach der Wahl sehen, was geht und was nicht geht. Auf jeden Fall sind das Baustellen, an die man rangehen könnte. Denken Sie an die Quersubventionen innerhalb der EU. Alleine da ließe sich eine Menge einsparen. Aktuell fließt ein festgelegter Anteil des deutschen Steueraufkommens direkt nach Brüssel, das wissen viele gar nicht. Der Betrag wird direkt abgezogen und taucht gar nicht erst im Haushalt auf. Darüber wird nicht diskutiert, das wird einfach so gemacht.
Jetzt klingen Sie wie Boris Johnson in London.
Ich finde das einfach nicht in Ordnung, was da gemacht wird. Das ist wie an meinem Wohnort mit der Regionsumlage, die die Gemeinden der Region Hannover zahlen. Da wird auch nicht gefragt, wofür das Geld eigentlich benötigt wird.
Eine Möglichkeit zur Kostensenkung bestünde darin, das gesetzliche Renteneintrittsalter weiter anzuheben. Die Lebenserwartung steigt. Eine Expertenkommission rät dem Wirtschaftsministerium, von 67 auf 68 Jahre hochzugehen.
Wenn Menschen länger leben, kann man von ihnen auch erwarten, länger zu arbeiten. Das war schon immer so. In einem umlagefinanzierten System macht das durchaus Sinn. Aber man kann nicht pauschal sagen, dass alle Menschen erst mit 68 Jahren in Rente gehen sollen. So einfach ist es nicht. Wer als Dachdecker oder auf dem Bau schwer körperlich arbeitet, kann nicht mit jemanden gleichgesetzt werden, der im Büro sitzt. Aber von der Tendenz her muss man darüber nachdenken, das Renteneintrittsalter weiter anzuheben.
Die AfD lehnt Zuwanderung weitgehend ab. Wären Rentenkürzungen und die immer weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters nicht der logische Preis einer alternden Gesellschaft für den Verzicht auf Zuwanderung?
Wenn wir qualifizierte Zuwanderung haben, also Menschen, die in der Lage und willens sind, hier zu arbeiten und sich zu integrieren, dann ist das nach meiner Auffassung kein Problem. Diejenigen sollten auch mit ihren Familien kommen dürfen. Es darf aber keine Masseneinwanderung geben. Jedes Jahr so viele Zuwanderer, wie die Stadt Kassel Einwohner hat, können wir nicht bewältigen.
War der starke Ausbau des Niedriglohnsektors in den 1990er-Jahren mit Blick auf die Rentenentwicklung ein Fehler?
Das ist ambivalent. Bezogen auf die Rentenentwicklung kann man sagen, das war ein Fehler. Bezogen auf die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts war das kein Fehler. Zudem trägt in einem Umlagesystem auch geringfügige Arbeit, die Beiträge zur Rentenversicherung leistet, direkt zur Finanzierung der jeweils aktuellen Renten bei. Der Niedriglohnsektor hat seine Berechtigung. Die Arbeitsplätze dort gingen bei höheren Löhnen aufgrund internationaler Konkurrenz verloren. In dem Sektor wird bis auf dem Cent genau gerechnet.
Was müsste innerhalb von fünf Jahren geschehen, um das Rentensystem zukunftsfest zu machen?
Wir wollen die Rente für alle, ähnlich dem Schweizer Modell. Dafür müssten auch Beamte in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, statt Pensionen zu erhalten. Das ließe sich schnell erreichen, aber ich glaube nicht, dass die anderen Parteien mitmachen. Der Finanzminister fordert lieber, auch kleine Selbstständige unbedingt zu Zahlungen in die Rentenversicherung zu verpflichten. Da will sich jemand selbstständig machen und bevor er überhaupt ein Einkommen erzielt, ist der Staat da und fordert Beiträge. Das funktioniert nicht. Dann gründet keiner mehr eine Firma.
Welche Weichen müssten in den kommenden zehn Jahren gestellt werden?
Die umlagefinanzierte Rente bleibt. Das heißt auch, dass das Renteneintrittsalter parallel zur Lebenserwartung steigen muss.
Was ist auf längere Sicht, innerhalb von 25 Jahren, notwendig?
In den Parteigremien denken wir nach und entwickeln unsere Vor- stellungen zur Rente weiter. Man könnte einen staatlichen Rentenfonds auflegen. So ein kapitalgedecktes Element ließe sich in ein grundsätzlich weiter umlagefinanziertes System integrieren. Interview: ari
Fragen an Kathrin Otte (DIE LINKE)
Was ist der wichtigste Hebel, um eine auskömmliche Rente gegen Altersarmut zu sichern?
Der wichtigste Hebel gegen Armut im Alter ist ein ausreichendes Einkommen in der Zeit der Erwerbstätigkeit. Deshalb setzen wir uns für einen entsprechenden Mindestlohn ein. Privatisierungen öffentlicher Einrichtungen lehnen wir ab, weil sie regelmäßig mit Verschlechterungen der Verdienste einhergehen. Die Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten von Frauen wollen wir verbessern durch besseren Zugang zu Kinderbetreuungsangeboten und ein Zurückdrängen befristeter Beschäftigung, weil diese Frauen in die Erwerbslosigkeit drängt, sobald sie Kinder bekommen.
Welche ganz konkreten Maßnahmen wollen Sie in den ersten vier Jahren in der Renten- und Sozialpolitik ergreifen?
Unsere Maßnahmen zur Stärkung der gesetzlichen Rente sind zum größten Teil in unseren Vorhaben zur Arbeitsmarktpolitik enthalten: Zurückdrängen des Niedriglohnsektors, Stärkung von Gewerkschaften und Tarifverträgen, stärkere Beteiligung der Lohnabhängigen an den Produktivitätsgewinnen. Wiederanhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent. Einführung einer einkommens- und vermögensgeprüften solidarischen Mindestrente. Sie wird als steuerfinanzierter Zuschlag auf das vorhandene Alterseinkommen gezahlt, mit dem Ziel, dass niemand von weniger als 1.200 Euro netto im Monat leben muss. Auch die für vor 1992 geborene Kinder geleistete Erziehungsarbeit in der gesetzlichen Rente wollen wir anerkennen lassen. Außerdem: Erweiterung der Pflegeversicherung zu einer Vollsicherung.
Welche Ziele und konkreten Maßnahmen streben Sie mittel- und langfristig an?
Da wir voraussichtlich keine absolute Mehrheit erreichen werden, ist nicht abzusehen, dass wir sämtliche Vorhaben aus unserem aktuellen Wahlprogramm zeitnah werden umsetzen können. Die nächsten Jahre bringen vorhersehbare, bestimmt aber auch überraschende Ereignisse und Entwicklungen mit sich. Mit Prognosen wollen wir aber vorsichtig sein, zumal wenn sie die Zukunft betreffen.
Die von Ihnen geforderten 1.200 Euro Mindestrente sind schon heute wenig und genügen nicht für die Finanzierung eines Pflegeheimplatzes. Wie stehen Sie dazu?
Die durchschnittliche Altersrente lag im Jahr 2019 bei 946 Euro für Männer, bei 784 Euro für Frauen. Unsere Mindestrente würde also für viele eine deutliche Aufstockung bedeuten. Die monatlichen Kosten für einen Pflegeheimplatz lagen bundesdurchschnittlich bei 3.500 Euro, der Eigenanteil bei 2.000 Euro. Zur Bezahlung der Unterbringung in Pflegeheimen wird schon heute die extra dafür eingerichtete Pflegeversicherung herangezogen. Allerdings deckt diese nur einen Teil der Kosten ab, weshalb wir sie zu einer Vollversicherung ausweiten wollen. Dabei wollen wir die Beitragsbemessungsgrenzen abschaffen und alle Arten von Einkommen versicherungspflichtig machen. Die so entstehenden Mehreinnahmen wollen wir zur Finanzierung der Leistungsverbesserung der Pflegeversicherung einsetzen. Die Unterbringungskosten von Personen, die diese nicht aus eigenen Einkünften oder Vermögen bezahlen können, werden in der Regel von unterhaltspflichtigen Angehörigen, ab einem Bruttojahreseinkommen von 100.000 Euro, oder dem Sozialamt übernommen.
2030 werden nur noch 45 Prozent der Deutschen im arbeits- und leistungsfähigem Alter sein. Ist die genannte Mindestrente bei einem Ruhestandseintritt mit 65 Jahren da nicht eher unrealistisch?
Ohne deutliche Anpassungen und Veränderungen im Rentensystem droht Generationen künftiger Rentner, also Menschen, die gegenwärtig im Erwerbsleben stehen oder dafür ausgebildet werden, relative und absolute Armut im Alter. Eine Mindestsicherung im Alter wird in einem der produktivsten und reichsten Länder der Welt möglich sein. Dazu wollen wir die Arbeitgeber wieder voll paritätisch an der Rentenversicherung beteiligen. Wir wollen die vier Prozent ihres Einkommens, die Arbeitnehmer in Riester-Verträge und ähnlich zweifelhafte Finanzprodukte stecken sollen, besser in der gesetzlichen Rentenversicherung verwalten, die keine Gewinne an ihre Anteilseigner abzuführen hat wie private Versicherer. Der aktuelle Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung ist historisch niedrig; mit einer Erhöhung auf etwa 20 Prozent wäre die Finanzierung eines Rentenniveaus von 53 Prozent problemlos möglich. Gleichzeitig würde die teure und ausschließlich vom Arbeitnehmer zu finanzierende Teilprivatisierung der Altersvorsorge überflüssig.
Sie wollen einen einklagbaren Rechtsanspruch auf Erwerbsarbeit durchsetzen. Gegen wen?
Unsere Forderung zielt darauf, den Staat langfristig auf eine Politik der Vollbeschäftigung zu verpflichten, um das in den Artikeln 23 und 24 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) verankerte und in der Europäischen Sozialcharta enthaltene Recht auf Arbeit, freie Berufswahl (auch Art. 12 GG), auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie eine gerechte Entlohnung zu realisieren und konkret erfahrbar zu machen. Die Umsetzung kann auf unterschiedliche Weise geschehen und in die Verantwortung verschiedener staatlicher Akteure, Einrichtungen und Agenturen gelegt werden. Es wäre nicht sinnvoll und schwer umzusetzen, wenn Kommunen oder andere öffentliche Arbeitgeber unendlich viele Mitarbeiter in irgendeinem Bereich einstellen würden. Wir halten allerdings einen deutlichen Stellenaufbau im öffentlichen Dienst für angebracht. Selbst wenn man alle Stellen herausrechnet, die im Zuge von Privatisierungen aus dem öffentlichen Dienst in den privaten Sektor verschoben wurden, bleibt der Personalbedarf der öffentlichen Hand enorm. Interview: bk