Pro: Altersarmut wird steigen
Unsere Gastautorin Prof. Dr. Claudia Vogel lehrt und forscht an der Hochschule Neubrandenburg unter anderem mit dem Schwerpunkt Armut und soziale Ungleichheit
Die Armutsrisikoquote der Rentnerinnen und Rentner ist in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen: von 14 Prozent im Jahr 2010 auf 18 Prozent im Jahr 2018 laut aktuellem Armuts- und Reichtumsbericht, dem sechsten Armuts- und Reichtumsbericht, den die Bundesregierung erst im Mai 2021 vorgelegt hat.
Bemerkenswert ist daran, dass Renterinnen und Rentner heute deutlich schlechter dastehen als noch vor zehn Jahren, da ihre Armutsrisikoquote überdurchschnittlich hoch ist im Vergleich zum Schnitt in der Bundesrepublik (18 Prozent zu 15 Prozent). Im Jahr 2010 lag die Armutsrisikoquote der Rentnerinnen und Rentner noch unter dem Bundesdurchschnitt (damals: 14 Prozent zu 16 Prozent). Bestimmt werden die Armutsquoten anhand dieser Definition: Personen, die nach Einbezug staatlicher Transferleistungen ein Einkommen von weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung haben, gelten als armutsgefährdet.
Für Alleinlebende bedeutet dies derzeit, wer weniger als rund 1.100 Euro pro Monat zur Verfügung hat, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, gilt als armutsgefährdet (ob man tatsächlich finanziell Not leidet, hängt vor allem davon ab, wie hoch zum Beispiel Wohnkosten tatsächlich jeweils sind). Bislang hat die Politik nichts unternommen, um diesen Negativtrend für Rentnerinnen und Rentner zu stoppen, im Gegenteil. Dabei handelt es sich bei der Gruppe der älteren Menschen in Deutschland um eine sehr große Bevölkerungsgruppe, mehr als 18 Millionen Menschen sind laut Statistischem Bundesamt 65 Jahre alt und älter. Das bedeutet auch: Von allen Menschen in Deutschland, die in Armut leben, sind ein Drittel Rentnerinnen und Rentner. Dass anzahlmäßig immer mehr Rentnerinnen und Rentner von Armut im Alter betroffen sind, zeigt sich auch am Grundsicherungsbezug.
Ohne Kurskorrekturen wird Altersarmut zunehmen
Im Jahr 2020 haben bereits 0,6 Millionen Menschen Grundsicherung im Alter bezogen, im Jahr 2010 waren es erst 0,4 Millionen. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs, da viele ältere Menschen, denen Grundsicherungsleistungen zustehen würden, diese aus Scham nicht beantragen. Bei der Armut im Alter gibt es also eine hohe Dunkelziffer. Dabei bringt Armut gerade im Alter viele negative Folgen mit sich, die von Dauer sind. Die Wohnung kann beispielsweise nicht angemessen geheizt werden oder es droht gar Wohnungslosigkeit; zudem: Mangelnde soziale Teilhabe, Einsamkeit und Krankheit bis hin zu einer mangelhaften gesundheitlichen Versorgung und einer weit unterdurchschnittlichen Lebenserwartung.
Zwei Entwicklungen befördern den Anstieg der Altersarmut: Erstens erwirtschaften Menschen, deren Erwerbsbiografien durch Phasen der Arbeitslosigkeit, Beschäftigung im Niedriglohnsektor oder Teilzeitarbeit und diskontinuierliche Erwerbsarbeit geprägt sind, keine ausreichenden Rentenanwartschaften. So steigt die Altersarmut etwa bei Frauen, wenn sie aus familiären Gründen nicht dauerhaft vollzeiterwerbstätig sind, und bei Ostdeutschen, die in der Transformationsphase der 90er-Jahre von langanhaltender Arbeitslosigkeit betroffen waren. Zweitens hat der mit der Reform 2002 vollzogene Paradigmenwechsel in der Alterssicherungspolitik (gekennzeichnet durch eine Stärkung der betrieblichen und der – staatlich geförderten – privaten Vorsorge und der Abkehr von der Lebensstandardsicherung durch die gesetzliche Rentenversicherung) eine Absenkung des Leistungsniveaus der gesetzlichen Rentenversicherung zur Folge.
Diese Absenkung spüren besonders Neurentnerinnen und Neurentner, also Personen, die in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen. Armutsrisiken entstehen hierbei vor allem für die- jenigen, die sinkende Alterseinkommen aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht durch betriebliche oder private Vorsorge kompensieren können. Die geringe Altersarmut um die Jahrtausendwende war hingegen auch ein Erfolg der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung, die zu einem Schritthalten der Alterseinkommen mit der wirtschaftlichen Entwicklung beigetragen hat. Ohne politische Kurskorrekturen – und dazu gehört auch, das Rentenalter nicht weiter anzuheben – werden soziale Ungleichheiten und Altersarmut daher künftig weiter deutlich zunehmen.