Pro Schuldenbremse
Unser Gastautor Professor Dr. Jens Südekum lehrt und forscht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und ist wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Sparhaushalte kommen. Noch ist die Schuldenbremse zwar ausgesetzt. Auch 2022 wird der Ausnahmetatbestand wohl noch einmal gezogen. Damit kann der Staat fürs Erste die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt weiterhin stützen – was auch bitter nötig ist. Aber spätestens 2023 ist damit Schluss.
Dann setzen kurzfristig die Tilgungsverpflichtungen ein und die öffentlichen Haushalte werden unter enormen Spardruck geraten. Gerade auf kommunaler Ebene sagen bereits jetzt rund 70 Prozent aller Kämmerer, dass sie fortan mit sinken Steuereinnahmen bei gleichzeitig höheren Ausgabenbedarfen rechnen.
Es ist absehbar, was dann passieren wird: Die Kommunen werden den Rotstift ansetzen müssen. Dort, wo es rechtlich zulässig ist. Treffen wird das, wie schon in der Vergangenheit, vor allem die kommunalen Investitionen. Schon heute schieben die Städte und Gemeinden einen Investitionsstau von 150 Milliarden Euro vor sich her. Marode Schulen, Straßen und Funklöcher sind die Folge einer öffentlichen Finanzverfassung, die Investitionen zu einem Residuum gemacht haben. Wenn Geld da ist, versucht man zu investieren – was dann aufgrund der Kurzfristigkeit oft nicht klappt. Ist kein Geld da, schiebt man Reparaturen und neue Projekte auf die lange Bank.
Dabei war der Bedarf nach einer zukunftsgerechten Infrastruktur nie größer. Wie will Deutschland den Anschluss in der Digitalisierung halten, wenn nicht ohne moderne Netze? Wie will es die Klimaziele erreichen, ohne einen massiven Ausbau emissionsarmer Verkehrssysteme?
„Die nächste Rentenerhöhung auf Pump sollte verbaut sein"
Das alles wird sehr viel Geld kosten. Sparhaushalte auf Kosten von Zukunftsinvestitionen kann sich das Land nicht leisten. Deshalb müssen die Parteien direkt nach der Bundestagswahl endlich über eine Reform der Schuldenbremse diskutieren. Es geht nicht um deren Abschaffung. Es ist gut und richtig, dass der Staat laufende Ausgaben wie Transferzahlungen oder Gehälter mit laufenden Steuereinnahmen decken muss. Das Ansinnen, die nächste Rentenerhöhung auf Pump zu finanzieren und damit Wählerstimmen einzufangen, sollte von vorneherein verbaut sein.
Doch bei Zukunftsinvestitionen sieht das anders aus. Sie schaffen erst langfristig Erträge und kommen vor allem kommenden Generationen zugute. Die Möglichkeit der Kreditfinanzierung ist daher folgerichtig und ökonomisch sinnvoll. Ansonsten kommen Ausgaben für morgen im politischen Prozess allzu leicht unter die Räder. Eine Reform der Fiskalregeln sollte Investitionen – und nur diese – von der Schuldenbremse ausnehmen. Das Konzept darf dabei nicht ausufern. Nicht alles darf zur Investition erklärt werden, bloß um Schuldenaufnahme zu ermöglichen. Aber eine sinnvolle moderne Definition des Begriffs, die vor allem Klimaschutz, Digitalisierung und Bildung umfasst, sollte sich finden lassen.
Am Ende hängt alles am politischen Willen, denn eine Reform der Schuldenbremse benötigt eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Kommt diese nicht zustande, wird es zu endlosen Tricksereien kommen, um die Verfassungsregel effektiv zu umgehen. Schon heute haben alle Parteien – inklusive der Union – Konzepte dafür in der Schublade. So lassen sich selbstständige Investitionsfonds als Schattenhaushalte konstruieren, deren Kreditaufnahme nicht angerechnet wird. Doch wozu diese Intransparenz? Besser eine Reform mit offenem Visier. Die Schuldenbremse mag 2009 ihre Berechtigung gehabt haben, aber sie hatte auch erhebliche Konstruktionsmängel. Die gilt es jetzt zu beseitigen, um ihren wahren Kern zu erhalten.